• Julian Joswig, Mitglied des Bundestages

Gespräch mit Julian Joswig, MdB

„Europa wirkt – konkret und nah“

dbb europathemen

Julian Joswig spricht über die Rolle der EU als Gesetzgeberin, den Bürokratieabbau und wie europäische Impulse helfen können, Verwaltung praxisnäher zu gestalten.

dbb europathemen: Welche Bedeutung hat die EU als Gesetzgeber für Deutschland?

Joswig: Die EU ist weit mehr als eine Gesetzgeberin. Sie wurde vor über 70 Jahren gegründet, um Frieden und Sicherheit zu schaffen – und sie hat uns Wohlstand und starke Bürgerrechte gebracht. Heute prägt sie unseren Alltag ganz konkret: ob beim einheitlichen Ladekabel, klaren Regeln für Flugausfälle oder beim Zugang zu einem fairen Binnenmarkt für Unternehmen.

Gleichzeitig ist die EU ein politisches Projekt. Sie stärkt Demokratie, Menschenrechte und unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Damit setzt sie ein klares Gegenmodell zum wachsenden Nationalismus. Viele Herausforderungen machen an Grenzen nicht halt. Deshalb brauchen wir eine handlungsfähige EU, auch als Gesetzgeberin.

dbb europathemen: Welchen Anteil hat EU-Recht an der Bürokratielast in Deutschland? 

Joswig: EU-Recht macht einen relevanten Teil der Regulierung in Deutschland aus, aber es ist nicht der einzige Faktor für Bürokratielast. Schätzungen gehen davon aus, dass rund 40 bis 50 Prozent unserer Gesetze auf EU-Vorgaben beruhen, in Bereichen wie Umwelt oder Verkehr noch mehr.

Wichtig ist: Diese Gesetze sind keine Fremdkörper „aus Brüssel“. An diesen Gesetzen arbeiten Mitgliedstaaten, Parlamente und Verbände aktiv mit. Sie schaffen gleiche Standards und schützen Verbraucher, Umwelt und Wettbewerb.

Natürlich bringen sie auch Aufwand mit sich. Ein Beispiel: die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Sie stärkt die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, sorgt aber auch für viel Dokumentationspflicht. Ähnliches gilt für die Nachhaltigkeitsberichte nach CSRD. Die Frage ist deshalb: Wie setzen wir diese Regeln so um, dass sie wirksam und gleichzeitig unbürokratisch sind.

dbb europathemen: Muss bei den Nachhaltigkeitsberichtspflichten abgespeckt werden? 

Joswig: Nachhaltigkeitsberichte sind kein Selbstzweck. Sie liefern Unternehmen, Investoren und der Öffentlichkeit vergleichbare Informationen über Klima- und Umweltauswirkungen. Aber der Aufwand ist viel zu hoch, gerade für den Mittelstand. 

Deshalb brauchen wir gezielte Entlastungen. Erstens: eine starke Reduktion der Datenpunkte. Statt hunderte Einzeldaten abzufragen, sollte sich der Bericht auf wesentliche, aussagekräftige Informationen fokussieren. Das spart Aufwand und erhöht die Verständlichkeit. Zweitens: die Öffnung der Prüferlaubnis. Heute dürfen nur Wirtschaftsprüfer Nachhaltigkeitsberichte testieren. Wenn – wie in Frankreich – auch qualifizierte Prüfdienstleister zugelassen werden, entsteht Wettbewerb. Das senkt die Kosten und gibt Unternehmen mehr Wahlfreiheit. So bleibt das Ziel erhalten, die Umsetzung wird praxisnäher und tragfähig.

dbb europathemen: Was kann der deutsche Gesetzgeber im Umgang mit EU-Recht tun, um Bürokratie abzubauen?

Joswig: Aufgabe des deutschen Gesetzgebers ist es, die EU-Regeln so umzusetzen, dass sie verständlich, digital nutzbar und möglichst unbürokratisch sind.

Dabei braucht es Augenmaß und eine klare Vereinfachungsagenda. Das Ziel muss es sein, gezielt dort zu entlasten, wo Prozesse unnötig kompliziert sind – und gleichzeitig wichtige europäische Standards zu sichern, die unsere Umwelt, die Bürgerinnen und Bürger aber auch Unternehmen schützen.

dbb europathemen: Welche Bedeutung spielt die EU bei der digitalen Modernisierung der deutschen Verwaltung?

Joswig: Die EU ist ein wichtiger Treiber. Mit dem digitalen Binnenmarkt und der Single Digital Gateway-Verordnung wurden zentrale Weichen gestellt. Vom Ende des Geoblockings über Roaming-Freiheit bis hin zur Pflicht, zentrale Verwaltungsverfahren wie Steuern oder Unternehmensgründungen digital anzubieten. Für Bürgerinnen und Bürger heißt das weniger Bürokratie, für Unternehmen mehr Planungssicherheit. Deutschland profitiert, wenn wir diese europäischen Standards auch wirklich umsetzen.

dbb europathemen: Kann Europa bei der Staatsmodernisierung hilfreich sein?

Joswig: Viele EU-Mitgliedstaaten sind weiter als wir. Estland etwa ermöglicht Unternehmensgründungen vollständig online. Von solchen Vorreitern können wir lernen.

Auch auf EU-Ebene passiert viel: Mit Projekten wie der europäischen Cloud-Infrastruktur, dem Once-Only-Prinzip (Behörden müssen Daten nicht mehrfach abfragen) oder einen EU-weiten Datenraum. Diese Impulse helfen uns, die Verwaltung einfacher, schneller und bürgerfreundlicher zu machen.

 

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