• Zwei Frauen mit EU-Fahne blicken auf eine Landschaft in Serbien

Gespräch mit dem Westbalkan-Beauftragten der Bundesregierung

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Manuel Sarrazin gibt Einblick in die aktuelle Lage der Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan.

Europathemen: Wie schätzen Sie die zeitlichen Beitrittsperspektiven der Westbalkan-Staaten ein?

Sarrazin: Auf meinen Reisen in die Region betone ich bei meinen Gesprächen stets, dass die Zukunft des Westlichen Balkans in der Europäischen Union liegt. Der EU-Beitrittsprozess ist an viele Voraussetzungen geknüpft, folgt aber stets einem leistungsbasierten Ansatz. Die Geschwindigkeit des Beitrittsprozesses liegt also in erster Linie in den Händen der Beitrittskandidaten und wir setzen bewusst kein Zieldatum. Um zügig voranzukommen ist es daher unerlässlich, dass die Länder der Region ihre Reformbemühungen weiter intensivieren und ausstehende Reformen mit Entschlossenheit angehen. Hierbei können sie auf unsere Unterstützung zählen. Wir wollen die sechs Länder des Westbalkan so schnell wie möglich in der EU sehen, aber die Erweiterung ist kein Selbstzweck, sondern sie muss auch zur Stärkung unseres gemeinsamen Europas beitragen.

Europathemen: Was sagen Sie zu der Forderung, die EU müsse sich zuerst reformieren, um neue Staaten aufnehmen zu können?

Sarrazin: Ich bin dagegen, die Erweiterung gegen die Reform der EU auszuspielen. Das Erweiterungsversprechen von Thessaloniki gilt in jedem Fall. Die EU-Erweiterung liegt in unserem Interesse. Die Bundesregierung hat dies immer betont. Es ist uns natürlich aber auch wichtig, dass die EU bereit ist, neue Mitglieder aufzunehmen und nach einer Erweiterung handlungsfähig zu bleiben. Die EU muss aus der Erweiterung gestärkt hervorgehen. Bundesministerin Annalena Baerbock hat hierzu im Rahmen ihrer Europakonferenz im vergangenen Herbst wichtige Impulse gesetzt. Erweiterung und Reformen sind zwei parallele Prozesse, die Hand in Hand gehen müssen. Das hat der Europäische Rat auch so formuliert, der im Sommer einen Fahrplan zu EU-internen Reformen annehmen wird.

Europathemen: Wie wirkt der Ukrainekrieg auf die Erweiterungsfrage? Wie nehmen die Partner auf dem Westbalkan die schnelle Verleihung des Kandidatenstatus an die Ukraine und Moldau wahr?

Sarrazin: Die Verleihung des Kandidatenstatus an die Ukraine und Moldau hat die Bereitschaft der EU unterstrichen, sich zu erweitern. Es ist ein deutliches Signal, nicht nur an die Ukraine und Moldau, sondern auch an die Länder des Westlichen Balkans, dass die Tür zur EU offensteht. Es ist falsch zu versuchen, die Interessen der Ukraine und Moldaus gegen die Interessen des Westlichen Balkans zu stellen. Eine glaubwürdige Perspektive für die Mitgliedschaft in der EU nutzt immer allen Kandidaten direkt oder indirekt. Wie bereits ausgeführt, kommt es am Ende immer auf den Prozess und auf die Reformpfade der einzelnen Länder an.

Europathemen: Wie groß ist der Einfluss von Drittstaaten auf dem Westbalkan?

Sarrazin: Die sechs Westbalkan-Länder liegen mitten in Europa und sind uns in vielerlei Hinsicht sehr nah. Natürlich interessieren sich andere Staaten aufgrund der strategischen Relevanz der Region mitten in Europa ebenfalls für sie. Wen meine ich damit?

Allen voran Russland und China, die andere Vorstellungen von der internationalen Ordnung haben und unsere Wertvorstellungen nicht teilen. Russland arbeitet daran, vor allem durch hybride Aktivitäten, breite Desinformationskampagnen und Unterstützung dafür empfänglicher politischer Akteure seinen Einfluss in der Region zu stärken. China verfolgt vor allem wirtschaftliche Interessen im Westlichen Balkan. Es ist teilweise wichtiger Kreditgeber, unter anderem in Bosnien und Herzegowina, Serbien und Montenegro. Letzteres geriet sogar kurzzeitig wegen Verbindlichkeiten gegenüber China in Zahlungsschwierigkeiten und wandte sich mit der Bitte um Unterstützung 2021 an die EU. Andere Staaten, wie zum Beispiel die Türkei haben kulturell und historisch gewachsene Verbindungen in die Region, die zugleich für sie ein Investitionsstandort ist.

Das bedeutet für uns bilateral und als EU, dass wir der Region attraktive Angebote machen und den Ländern und Menschen zeigen, dass Fortschritte auf dem Weg zur EU möglich sind und unsere Werte auch in ihrem Interesse sind. Wir stehen ihnen dabei mit Rat und Tat zu Seite. Zu diesen Angeboten gehören der von Deutschland initiierte Berlin Prozess, der dieses Jahr 10-jähriges Jubiläum feiert, oder der Wachstumsplan der EU-Kommission, der den als Projekt im Rahmen des Berlin Prozesses geschaffenen Gemeinsamen Regionalen Markt integriert. Auch unsere Stabilisierungsmaßnahmen in der Region werden wir fortsetzen.

Europathemen: Sehen Sie mit Blick auf Serbien die Gefahr eines neuen bewaffneten Konflikts? Welche Rolle spielt Russland hier?

Sarrazin: Wir sollten einen bewaffneten Konflikt nicht herbeireden. Eine umfassende Normalisierung des Verhältnisses zwischen Kosovo und Serbien würde beiden Ländern nutzen, die Lebensbedingungen der Menschen verbessern und viel Potenzial für die ganze Region freisetzen.  Natürlich beobachten wir die Spannungen in der Region mit Sorge, ebenso wie die Einflussnahme Russlands. Serbien schließt sich (als einziger Beitrittskandidat) Sanktionen gegen Russland weiterhin nicht an. Politisch ist für Serbien in der Kosovo-Frage Russlands Unterstützung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wichtig und auch energiepolitisch besteht zwischen Serbien und Russland eine enge Verbindung. Gleichzeitig unterstützt Russland Milorad Dodik, den Präsidenten der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina, der regelmäßig durch nationalistische Rhetorik und Sezessionsdrohungen auffällt. RS-Präsident Dodik trifft immer wieder den russischen Präsidenten Putin.  Das Engagement von KFOR, EUFOR Althea und EULEX bleibt unter anderem aus diesen Gründen weiterhin wichtig. Gleichzeitig hat sich die serbische Regierung klar zur EU-Integration und dem EU geführten Dialog zwischen Serbien und Kosovo bekannt. Wir erwarten daher eine mit der EU-Integration kompatible Politik.

Europathemen: Welche Bedeutung hat der Westbalkan für die europäische Sicherheit?

Sarrazin: Ein starker, stabiler und auf Frieden fußender westlicher Balkan im Südosten Europas ist im Interesse Deutschlands und der EU. Wenn wir hier in Europa dauerhaft in Frieden leben wollen, müssen die Staaten des westlichen Balkans integriert werden. Davon bin ich fest überzeugt. Deswegen engagieren wir uns auch gemeinsam mit unseren Partnern in NATO und EU für Sicherheit in den Ländern der Region: Sicherheit durch EUFOR Althea in Bosnien und Herzegowina und Sicherheit durch NATOs KFOR in Kosovo. Deutschland steht zu seinem langjährigen Engagement für Frieden und Sicherheit auf dem westlichen Balkan, nicht zuletzt durch die Bereitstellung zusätzlicher Bundeswehrsoldatinnen und -Soldaten bei KFOR im Frühsommer 2024. Das EUFOR-Mandat werden wir ebenfalls robuster ausgestalten müssen.

 

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