• Oliver Röpke

Neuer Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Interview mit Oliver Röpke

dbb europathemen

Oliver Röpke ist der neue Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA). Hier spricht der österreichische Gewerkschafter über sein Programm und seine Ziele.

dbb europathemen: Welche Ziele setzen Sie sich für Ihren Vorsitz?

Röpke: Für mein Mandat als EWSA-Präsident habe ich ein ambitioniertes Arbeitsprogramm aufgestellt, das die Stärkung der Demokratie an vorderste Stelle setzt. Wir werden beim EWSA unsere einzigartige Position als Schnittstelle zwischen Bürger:innen, Zivilgesellschaft und EU-Institutionen ausbauen. Ich möchte dafür sorgen, dass die Stellung des Ausschusses als offene, inklusive und zukunftsorientierte Plattform gefestigt wird. Eines ist sicher, die Türen unseres Hauses werden für einen faktenbasierten, demokratischen und wenn nötig kontroversen Dialog zwischen verschiedenen sozialen, wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und institutionellen Akteuren offenstehen. Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir einen wesentlichen Beitrag zu einer widerstandsfähigeren, inklusiveren und demokratischeren EU leisten. Nicht zuletzt lautet der Leitsatz meiner Präsidentschaft: „Stand up for democracy, speak up for Europe!". Die Zukunft der Union ist aber eng mit der Stabilität und dem Wohlstand unserer Nachbarn verknüpft, daher werde ich mich auch aktiv für mehr Kooperation mit den EU-Kandidatenländern einsetzen.

dbb europathemen: Was kann die Europäische Union konkret tun, damit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihren Mitgliedstaaten erhalten bleiben? Wie kann die EU selbst demokratischer werden?

Röpke: In den letzten Jahren war Europa mit beispiellosen Krisen konfrontiert, die soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten verstärkt und das Vertrauen der EU-Bürger:innen in demokratische Institutionen in Frage gestellt haben. In diesen schwierigen Zeiten ist die Unterstützung und Mitsprache der organisierten Zivilgesellschaft von entscheidender Bedeutung, um die Europäische Union und die Bürger:innen einander näher zu bringen und partizipative Demokratie zu stärken. Die Zivilgesellschaft ist ein wichtiges Schlüsselelement für eine gesunde Demokratie. Sie spielt eine maßgebliche Rolle bei dem Aufbau demokratischer Widerstandsfähigkeit, der Festigung unserer Grundwerte und der Gestaltung der Zukunft Europas. Gleichzeitig muss aber die Zivilgesellschaft selbst stärker geschützt werden. Es ist besorgniserregend, dass der Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft zunehmend schrumpft und zivilgesellschaftliche Organisationen eingeschränkt werden, legitime Arbeit in der EU und darüber hinaus zu leisten. Eines ist klar, überall dort, wo Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedroht werden und der Raum der Zivilgesellschaft schrumpft, werden wir als EWSA lautstark unsere Stimme erheben.

dbb europathemen: Welchen Einfluss hat der EWSA auf die europäische Politik? Welchen Beitrag leistet er zur Verteidigung offener Gesellschaften?

Röpke: Der EWSA ist eine tragende Säule der EU. Er wurde 1957 durch den Vertrag von Rom errichtet, um die EU-Entscheidungsträger zu beraten und sicherzustellen, dass Organisationen und Netze der Zivilgesellschaft von überall in der EU ein Mitspracherecht bei der Entwicklung Europas haben. Er besteht aus 329 Mitgliedern, die sich auf drei etwa gleich große Gruppen aufteilen: Arbeitgeber:innen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen. Wir erarbeiten Stellungnahmen zu fast allen EU-Gesetzesvorschlägen aus Sicht der Zivilgesellschaft. Konsultation, Dialog und Konsensfindung stehen dabei für uns an vorderster Stelle. Damit ist der EWSA sozusagen ein Gegengewicht zum Lobbyismus-Dschungel in Brüssel, weil bei uns Gewerkschaften, Arbeitgeber:innen und zivilgesellschaftliche Organisationen auf Augenhöhe agieren. Und deshalb werden wir von den anderen EU-Institutionen ernst genommen. Ich sehe sogar eine deutlich zunehmende Bedeutung des EWSA. So haben die letzten Jahre gezeigt, dass unsere Stellungnahmen immer öfter auch vom EU-Parlament und den jeweiligen Ratspräsidentschaften genutzt werden, um neue Initiativen zu starten. Das jüngste Beispiel ist der spanische EU-Ratsvorsitz, der gemeinsam mit dem EWSA im zweiten Halbjahr 2023 in über 20 Themenbereichen neue Vorschläge erarbeiten möchte, unter anderem für mehr Arbeitnehmer:innen-Mitbestimmung.

Darüber hinaus wollen wir als EWSA partizipative Bürgerforen einrichten und die Standpunkte der Unionsbürger:innen zu den wichtigen europäischen Themen einholen und auf EU-Ebene vermitteln. Wir wollen sozusagen als Tor für Demokratie und Grundrechte und auch als „demokratischer Watchdog“ auftreten. Insbesondere haben wir vor, junge Menschen aktiver in die Politikgestaltung einzubinden. Die Entscheidungen zur Zukunft Europas werden heute getroffen. Deshalb ist es unerlässlich, dass junge Menschen ihre Meinung zu den Entscheidungen äußern können, die sie jetzt und in Zukunft betreffen werden.

dbb europathemen: Wo sehen Sie neben der Demokratiefrage die größten Risiken für Europa, wo die größten Chancen?

Röpke: Im nächsten Jahr werden wir das Europäische Parlament wählen, das Herzstück der Demokratie. Die Wahl wird zu einem entscheidenden Zeitpunkt stattfinden, an dem wichtige europäische Themen wie der europäische Green Deal, die Zunahme von Extremismus und Populismus, die Rechtsstaatlichkeit, die künftige wirtschaftspolitische Steuerung vor dem Hintergrund zunehmender Ungleichheiten sowie die aus den geopolitischen Unsicherheiten erwachsenden Herausforderungen ganz oben auf der Agenda stehen. Zweifellos stellt uns Russlands anhaltender Angriffskrieg gegen die Ukraine  vor eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Solch schwierige Zeiten sollte man aber nicht nur als Stolpersteine sehen, sondern auch als Chance zu wachsen sowie europäische Solidarität und Einigkeit zu zeigen. Ob es sich um den digitalen oder grünen Wandel handelt, die Stimme der Europäer:innen, insbesondere der Jugend, sollte im Mittelpunkt jeder EU-Politik und -Entscheidung stehen. Angesichts der bevorstehenden Europawahlen müssen wir der Zeit einen Schritt voraus sein und neue Prioritäten wie den Blue Deal auf die EU-Agenda setzen. Zunehmende Dürreperioden und Wasserknappheit als Folge des dramatisch fortschreitenden Klimawandels haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Grundbedürfnisse der Menschen, auf Unternehmen und ganze Regionen, hier brauchen wir dringend global koordinierte Maßnahmen. Es kann aber keinen Blue oder Green Deal ohne einen Social Deal geben, wir müssen die soziale Dimension Europas stärken, sodass niemand zurückgelassen wird.

dbb europathemen: Sie waren Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe im EWSA. Was bedeutet das soziale Europa für Sie?

Röpke: Als Gewerkschafter und Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe habe ich mich für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für Arbeitnehmer:innen und Bürger:innen in Europa und natürlich in Österreich eingesetzt. Europa darf jetzt nicht in seinen Bemühungen nachlassen, eine ambitionierte soziale Agenda zu verfolgen und auch konkret umzusetzen. Beim kürzlich in Porto stattgefundenen Sozialgipfel, an dem ich den EWSA vertreten durfte, wurde dieses Bekenntnis zur weiteren Umsetzung der Sozialen Säule nochmals nachdrücklich bekräftigt. Ich setze mich weiterhin für eine starke soziale  Dimension ein, die ein integrativer Teil der EU sein muss. Nur so kann die EU stärkeren Rückhalt bei den arbeitenden Menschen gewinnen.

Als EWSA-Präsident lege ich weitere Schwerpunkte meiner Arbeit auf Demokratie, Grundrechte und Rechtstaatlichkeit, und möchte damit ein wichtiges Zeichen für ein Europa der lebendigen Zivilgesellschaft, des sozialen Zusammenhalts und eine starke europäische Sozialpartnerschaft setzen. Mehr denn je muss die EU ihre Bemühungen auf eine soziale und wirtschaftliche Aufwärtskonvergenz konzentrieren, die den Zusammenhalt stärkt und niemanden zurücklässt. Hier sehe ich den EWSA auch als Anwalt der zukünftigen EU-Erweiterungsländer: Wir können nicht den Westbalkanstaaten, Moldau oder der Ukraine den EU-Kandidatenstatus zubilligen und diese Länder sich dann selbst überlassen. Im Gegenteil, wir müssen dort bereits jetzt proaktiv die zivilgesellschaftlichen und rechtsstaatlichen Strukturen stärken und die dortige Zivilgesellschaft schon heute in unsere Arbeit im EWSA einbinden.

Ich bin überzeugt, dass nur ein pro-europäischer Ansatz wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und soziale Rechte sichern kann, menschenwürdige Arbeitsmarktbedingungen gewährleistet und Armut und soziale Ausgrenzung bekämpft. Als Präsident des EWSA bin ich entschlossen, auf diese Ziele hinzuarbeiten und zur Weiterentwicklung der Sozialagenda der EU beizutragen.

 

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