Gespräch mit Prof. Dr. Andrea Wechsler MdEP
Impulse und Ideen für Europa
Die neue Präsidentin der Europa-Union Deutschland wirbt für einen europäischen Bundesstaat.
dbb Europathemen: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl als Präsidentin der überparteilichen Europa-Union Deutschland. Was wollen Sie für diese proeuropäische Bürgervereinigung erreichen?
Wechsler: Herzlichen Dank für die Glückwünsche. Mein Ziel ist es, die Europa-Union Deutschland als starke Impuls- und Ideengeberin für die europäische Einigung zu positionieren. Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, Europa zu verwalten – wir müssen es weiterdenken. Unser Ziel ist ein handlungsfähiges, demokratisches und bürgernahes Europa, das sich seiner Werte und seiner Verantwortung bewusst ist. Für uns Europäische Föderalistinnen und Föderalisten bedeutet das: Wir streben eine echte europäische Demokratie an, in der gemeinsame Institutionen die großen Zukunftsfragen wirksam gestalten können. Die Europa-Union soll dabei Motor und Brückenbauerin zugleich sein – mit Ideen, die verbinden, und mit der klaren Vision eines europäischen Bundesstaates als Ziel unserer gemeinsamen politischen Arbeit.
dbb Europathemen: Welche Aufgaben haben Sie als CDU-Politikerin im Europäischen Parlament?
Wechsler: Im Europäischen Parlament setze ich mich dafür ein, dass Europa seine wirtschaftliche Stärke, seine Innovationskraft und seine soziale Verantwortung miteinander verbindet. Als Mitglied im Industrie-, Forschungs- und Energieausschuss arbeite ich daran, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit sichern, den grünen und digitalen Wandel gestalten und unsere Energieversorgung unabhängig und nachhaltig machen. Europa muss technologisch souverän werden – von Künstlicher Intelligenz bis Wasserstoffwirtschaft. Zugleich dürfen wir die Menschen dabei nicht vergessen: Innovation braucht Akzeptanz, und Fortschritt braucht Gerechtigkeit. Mein Ziel ist ein Europa, das Chancen schafft, Sicherheit bietet und mit einer Stimme in der Welt spricht. Denn nur ein geeintes, demokratisches und föderales Europa kann seine Werte und Interessen wirksam vertreten – nach innen wie nach außen.
dbb Europathemen: Die Wirtschaft schwächelt in weiten Teilen Europas, besonders in Deutschland. Was kann die EU tun, damit sie wieder wächst und damit unseren Wohlstand sichert?
Wechsler: Die Europäische Union kann entscheidend dazu beitragen, dass unsere Wirtschaft wieder wächst – wenn sie entschlossen und zugleich mit Weitblick handelt. Sie muss den Binnenmarkt vollenden, besonders in Energie, Dienstleistungen und Digitalem, damit Unternehmen überall in Europa faire Chancen haben und Innovation sich entfalten kann. Wir brauchen weniger Bürokratie, verlässliche Rahmenbedingungen und eine echte Kapitalmarktunion, die Investitionen erleichtert und Kapital dort mobilisiert, wo es Zukunft schafft – in Forschung, Start-ups und nachhaltige Infrastruktur. Doch Wachstum darf kein Selbstzweck sein: Es muss den Menschen zugutekommen. Deshalb gehört zur wirtschaftlichen Erneuerung auch soziale Verantwortung – Investitionen in Bildung, Qualifizierung und Teilhabe, damit niemand den Wandel fürchten muss. Europa kann zeigen, dass wirtschaftliche Stärke, sozialer Zusammenhalt und ökologische Nachhaltigkeit kein Widerspruch sind, sondern sich gegenseitig stärken. Ein solidarisches, innovatives und nachhaltiges Europa ist die beste Investition in unseren gemeinsamen Wohlstand.
dbb Europathemen: Welche Rolle spielen dabei Bürokratiekosten und welchen Anteil hat die EU an zu viel Regulierung?
Wechsler: Bürokratie ist einer der größten Wachstumsbremsen in Europa. Gerade kleine und mittlere Unternehmen leiden darunter, dass zu viel Zeit in Verwaltung statt in Innovation fließt. Auch wenn vieles auf nationaler Ebene entsteht, trägt die EU ihren Teil dazu bei, wenn gut gemeinte Ziele in überkomplexe Verfahren münden. Wir brauchen deshalb eine europäische Kehrtwende hin zu Deregulierung und Vereinfachung. Wir müssen zurückkehren zu einer Regelkultur, die Vertrauen schafft und Raum für Unternehmertum lässt – mit klaren, verständlichen und praxistauglichen Vorgaben. Dabei gilt aber ebenso: Bessere Rechtsetzung darf nicht zulasten sozialer Gerechtigkeit oder der internationalen Nachhaltigkeitsziele gehen – und wenn sie klug gemacht ist, muss sie das auch nicht. Es geht nicht um weniger Europa, sondern um ein besseres Europa: eines, das handlungsfähig bleibt, fair regelt und den Menschen wie Unternehmen gleichermaßen Zukunftschancen eröffnet.
dbb Europathemen: Sind die öffentlichen Verwaltungen in Ihren Augen mitverantwortlich für ein Übermaß an Bürokratie?
Wechsler: Unsere öffentlichen Verwaltungen tragen nicht die Verantwortung für ein Übermaß an Bürokratie – sie sind oft selbst die Leidtragenden davon. Die Beamtinnen, Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst leisten tagtäglich Enormes, um komplexe Vorschriften umzusetzen und das Gemeinwesen am Laufen zu halten. Wenn Bürokratie zur Belastung wird, liegt das selten an denen, die Gesetze anwenden, sondern an der Qualität der Gesetze. Zu viele, schlecht aufeinander abgestimmte Regelungen und unklare Zuständigkeiten erzeugen Aufwand, statt Wirkung. Wir brauchen deshalb nicht Misstrauen gegenüber der Verwaltung, sondern bessere Gesetze, klarere Verfahren und digitale Strukturen, die Vertrauen und Effizienz fördern. Eine starke, gut ausgestattete öffentliche Verwaltung ist kein Teil des Problems – sie ist Teil der Lösung für ein handlungsfähiges, bürgernahes und modernes Europa.

