Leitantrag Gesundheitspolitik

Positionen des dbb in der Gesundheitspolitik

Ausgangssituation und Herausforderungen

Das deutsche Gesundheitssystem bietet auch wegen der Reformmaßnahmen der vergangenen Jahre im internationalen Vergleich ein sehr hohes Schutzniveau für alle Bürgerinnen und Bürger. Dies zu erhalten und langfristig zu sichern muss oberstes Ziel der Gesundheitspolitik sein. Dabei sind zahlreiche, teils gravierende Herausforderungen im Blick zu behalten:

Bereits aktuell entwickelt sich das zahlenmäßige Verhältnis von Beschäftigten im Gesundheitswesen und die Zahl der Patientinnen und Patienten immer stärker in Richtung eines Versorgungsengpasses. Die Pandemie hat dies mehr als deutlich gezeigt: es mangelt nicht an Betten, sondern an Personal. Die demografischen Effekte, die Deutschland in den nächsten Jahrzehnten bevorstehen, werden den Fachkräftemangel weiter verstärken und die Zahl der zu Versorgenden steigern. Hiervon ist in besonderem Maße die Pflegeversicherung betroffen. Notwendige Leistungsausweitungen treffen auf eine steigende Zahl an Pflegebedürftigen. Die Angehörigenpflege als eine wichtige Säule der Pflegeversicherung erfährt nach wie vor zu wenig Unterstützung während in der stationären Versorgung die Eigenanteile stark steigen.

Die Krankenhäuser sind chronisch unterfinanziert, weil die Länder ihrer Verpflichtung zur Tragung der Investitionskosten nicht hinreichend nachkommen. Dies führt zu Rationalisierungstendenzen seitens der Betreibenden zu Lasten der Beschäftigten und Patientinnen und Patienten. Arbeitsbedingungen und Versorgungsqualität leiden. Gesetzlich verordnete Personaluntergrenzen in einzelnen Versorgungsbereichen können die Lage weiter verschärfen.

Die Kosten im Gesundheitssystem werden durch den medizinisch-technischen Fortschritt und die steigende Lebenserwartung weiter steigen. Die Einführung einer so genannten solidarischen Einheitsversicherung würde nicht zu einer mittel- bis langfristigen Entlastung, sondern zu einer Gefährdung des bewährten dualen Systems von privater und gesetzlicher Kranken- und Pflegeversicherung führen. Ein vermeintliches Wahlrecht für Beamtinnen und Beamte zum Wechsel in die GKV mit einer pauschalen Beihilfe wird den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen in den meisten Fällen nicht gerecht und entlastet das System mittel- bis langfristig nicht.

Forderungen des dbb

Die künftige Entwicklung des deutschen Gesundheitssystems wird in den nächsten Jahrzehnten von zunehmendem Finanzbedarf und einem fortschreitenden Fachkräftemangel geprägt sein. Die Aufrechterhaltung eines qualitativ hochwertigen medizinischen und pflegerischen Versorgungsniveaus, unabhängig von der individuellen finanziellen Situation und dem Versicherungsstatus des Einzelnen, erfordert entschiedenes, prospektives Handeln. Das Solidarprinzip, d.h. die Solidarität zwischen Gesunden und Kranken, Gutverdienenden und Einkommensschwachen, Jungen und Alten muss hierbei erhalten bleiben.

Verbesserungen in der ambulanten und stationären Pflege

In der Pflegeversicherung ist ein stärkerer Fokus auf die Gruppe der pflegenden Angehörigen zu richten. Durch eine entsprechende steuerfinanzierte Entgeltersatzleistung können Betroffene deutlich entlastet und die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf verbessert werden. Es gilt, unbürokratische, passgenaue Anreize zu etablieren, die die Partnerschaftlichkeit in der pflegerischen Sorgearbeit fördern. Hierbei gilt es auch den unterschiedlichen familiären Konstellationen Rechnung zu tragen.

Analog zur Kinderbetreuung ist ein Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kurzzeitpflege zu schaffen. Hierzu bedarf es eines flächendeckenden Ausbaus der Pflegeinfrastruktur. Durch stärkere Pauschalierung ambulanter Leistungen zu einem Pflegebudget kann dem Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen besser Rechnung getragen werden als mit der derzeitigen Vielfalt an unterschiedlichen Leistungen, die zudem ein hohes Maß an Beratung erfordern. Kommunale Beratungsangebote sind weiter auszubauen.

In der stationären Pflege gilt es, die zaghaft begonnene Deckelung der pflegebezogenen Eigenanteile konsequent auszubauen. Die derzeitige Zuschussregelung ist gerade in den ersten zwei Jahren einer stationären Unterbringung unzureichend.

Die Bewertung der Heimqualität muss transparenter werden. Das Instrument der unangekündigten Heimprüfungen ist auszubauen.

Finanzierung und ergänzende Kapitaldeckung

Das Umlagesystem in der Sozialversicherung hat in der Vergangenheit für eine stabile Finanzgrundlage gesorgt. Mit dem demographischen Wandel wird die Umlagefinanzierung vor neue Herausforderungen gestellt. Nach Dafürhalten des dbb muss am Umlagesystem grundsätzlich festgehalten werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der anhaltenden Niedrigzinsphase, deren Ende nicht absehbar ist. Allerdings ist eine Stabilisierung der Finanzgrundlagen durch die Fort- bzw. Einführung einer Teilkapitaldeckung insbesondere in der Pflegeversicherung durchaus zielführend. Der zu diesem Zwecke bereits eingeführte Pflegevorsorgefonds bildet hierfür eine solide Grundlage, die es auszubauen gilt.

Ergänzende, staatlich geförderte private und betriebliche Zusatzvorsorge muss allen Bürgern zugänglich gemacht werden. Mitnahmeeffekte müssen ebenso vermieden werden wie hohe Abschluss- und Verwaltungskosten.

Der dbb fordert die Finanzierung von Zuzahlungen für Hilfs-, Heil- und Arzneimittel sowie die Rezeptgebühren und die Tagespauschale für stationäre Aufenthalte über die Krankenversicherung abzuwickeln. Hierdurch wird ein weiterer Schritt hin zu einer umfassenden paritätischen Finanzierung der Sozialversicherungsbeiträge durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer begangen.

„Bürger- und/oder Erwerbstätigenversicherung“ sind der falsche Weg

Die Einbeziehung von Beamten in das System der gesetzlichen Krankenversicherung (die sog. „Bürgerversicherung“) lehnt der dbb entschieden ab. Deren Finanzen würden dadurch wegen der spezifischen Risikostruktur keine nennenswerte Entlastung erfahren; gleichzeitig wäre damit der Weg in eine Einheitsversicherung vorgezeichnet, der das wegen der Altersrückstellungen zukunftsfeste System der privaten Krankenversicherung ohne Grund preisgeben würde. Beamte sind weiter über das Beihilfesystem abzusichern. Vermeintliche „Wahlrechte“, die Beamtinnen und Beamten den Wechsel von der PKV in die GKV ermöglichen, höhlen das duale System ohne Not aus und bieten nur in Einzelfällen reale Vorteile. Zudem würden die Anstrengungen zur Kapitaldeckung mittels Altersrückstellungen in der privaten Kranken- und Pflegeversicherung zunichte gemacht.

Krankenhausfinanzierung

Die Länder müssen bei der Investitionskostenfinanzierung der Krankenhäuser stärker in die Pflicht genommen werden. Das System der Fallpauschalen ist zu überarbeiten und um eine erlösunabhängige Basisfinanzierung zu ergänzen, um beispielsweise die Vorhaltekosten abzudecken. Personaluntergrenzen in einzelnen Bereichen sind kein probates Mittel, Versorgungsqualität zu Erhöhung und Beschäftigte zu entlasten, sofern nicht genügen Fachkräfte zur Verfügung stehen. Die Gewinnung von qualifiziertem Personal muss oberste Priorität haben. Hilfskräfte können die Lücke nicht schließen.

Ein ausgewogenes Verhältnis von Wirtschaftlichkeit und finanzieller Unterstützung verbessert die Arbeitsbedingungen und verhindert nicht medizinisch erforderliche Eingriffe.

Prävention

Prävention ist nach wie vor einer der entscheidenden Faktoren, um künftige gesundheitliche Risiken zu minimieren und die sozialen Sicherungssysteme dadurch mittel- bis langfristig finanziell zu entlasten. Die Einbeziehung aller beteiligten Akteure, wie etwa der Sozialversicherungsträger, Arbeitgeber und Versicherten, Ländern und Kommunen, sowie der Unternehmen der privaten Kranken- und Pflegeversicherung müssen integraler Bestandteil künftiger Präventionsstrategien sein.

Die Erfahrungen der Pandemie sowie die geopolitische Lage erfordern aus Sicht des dbb darüber hinaus die Einrichtung einer strategischen Reserve, die neben Arzneimitteln, Medizin- und Hygieneprodukten auch deren Produktion im Inland umfassen muss.

Zusammenfassung

  • Das duale System in der Kranken- und Pflegeversicherung hat sich bewährt und ist beizubehalten. Eine so genannte solidarische Bürgerversicherung wird vom dbb abgelehnt.
  • Der beschrittene Weg zu einer vollständig paritätischen Finanzierung in der GKV ist konsequent fortzusetzen und muss künftig auch Zuzahlungen und Rezeptgebühren umfassen.
  • Die finanzielle Situation der Krankenhäuser ist zu verbessern. Die Länder müssen stärker in die Pflicht genommen werden, sich an den Investitionskosten zu beteiligen. Das Fallpauschalensystem ist zu überarbeiten und um eine erlösunabhängige Basiskomponente zu erweitern.
  • Der dbb fordert die Einrichtung einer strategischen Reserve an Arzneimitteln, Impfstoffen, Medizin- und Hygieneprodukten sowie den Aufbau und die Förderung entsprechender inländischer Produktionsstätten, um die Abhängigkeit von Importen in Krisenzeiten zu verringern.
  • Die Herausforderungen in der Pflegeversicherung werden zunehmen. Der dbb fordert ein konzertiertes Reformprogramm für die Pflege:
    • Die ergänzende Kapitaldeckung in der sozialen Pflegeversicherung (Pflegevorsorgefonds) ist auszubauen und um staatlich geförderte, private und betriebliche Zusatzvorsorge zu ergänzen. Hierbei gilt es, Mitnahmeeffekte zu minimieren.
    • Die Angehörigenpflege ist deutlich aufzuwerten. Hierzu fordert der dbb eine steuerfinanzierte Entgeltersatzleistung für pflegende Angehörige sowie eine stärkere Pauschalierung bestehender Leistungen zu leichteren und individualisierteren Inanspruchnahme.
    • Der dbb fordert einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in der Kurzzeitpflege. Entsprechende Angebote sind flächendeckend auszubauen.
    • Der dbb bekennt sich zum Leitsatz: „Prävention vor Reha vor Pflege“. Entsprechende Angebote sind auszubauen. Die geriatrische Rehabilitation ist zu stärken.
    • Die Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen sind zu verbessern: Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, bessere Bezahlung, Begrenzung der Nacht- und Wechseldienste sowie die Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg müssen priorisiert werden. Der Einsatz von Hilfskräften kann nur als zusätzliche Entlastung verstanden werden und darf Fachkräfte nicht substituieren.

Begründung:

bei Bedarf mündlich

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