Leitantrag Familienbesteuerung

A) Reform des Existenzminimums von Kindern

In Deutschland gelten etwa 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche als armutsgefährdet. Kinderarmut ist seit Jahren ein ungelöstes strukturelles Problem in Deutschland. Die Corona-Krise könnte die Situation weiter verschärfen. Da Armut häufig auch mit einer Benachteiligung bei den Bildungschancen einhergeht, ist die Behebung von Armut ein erster Schritt um auch die Bildungschancen ärmerer Bevölkerungsschichten zu verbessern. Zur Behebung dieses negativen Zustands gehören Strukturen für eine konsequente Beteiligung von Kindern und Jugendlichen und eine Absicherung ihrer finanziellen Bedarfe durch eine Grundsicherung.

Berechnungen des DIW haben ergeben, dass von der steuerlichen Ungleichbehandlung durch Kindergeld und Freibeträge vor allem Haushalte mit hohen Einkommen profitieren. In 2022 gilt dies erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 70.000 Euro. Der Kinderfreibetrag beträgt 8.388 Euro, das Kindergeld für das erste Kind liegt bei 219 Euro im Monat oder 2.628 Euro im Jahr.

In seiner Spitze erreicht der Steuervorteil bei einem Kind von Eltern mit hohen Einkommen 1.354 Euro im Jahr gegenüber der reinen Kindergeldzahlung (unter Berücksichtigung des Solidaritätszuschlags).

Dieses Ergebnis ist Ausfluss des progressiven Besteuerungssystems. Ausgehend von der Prämisse, dass nach Meinung des dbb alle Kinder dem Staat gleich viel wert sein müssen, bedarf es einer grundlegenden Korrektur des bisherigen Systems. Mit der Einführung einer sog. Kindergrundsicherung kann der bisherigen Ungleichbehandlung entgegengesteuert werden. So sollte die Kindergrundsicherung an den bisher geltenden höchsten steuerlich möglichen Vorteil anknüpfen. Mit 290 Euro (Garantie-Betrag) für jedes Kind und einem ergänzenden zusätzlichen Betrag für Kinder von Familien mit geringem Einkommen wird zum einen die Bevorzugung von Familien mit höheren Einkommen beendet. Zum anderen führt der Zusatzbetrag dazu, dass Kinder aus Familien mit niedrigeren Einkommen eine bessere Teilhabemöglichkeit gewährt wird. Durch den Garantiebetrag wird jedenfalls auch erreicht, dass die verfassungsrechtliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes gewährleistet ist. Zusammengefasst heißt dies, dass derGarantie-Betrag unabhängig vom Haushaltseinkommen gewährt wird, der Zusatz-Betrag wird mit einer sog. Abschmelzrate versehen, sobald das Bruttoerwerbseinkommen der Eltern über eine definierte Höhe steigt.

Je nach Gestaltung ergeben sich zahlreiche Variationsmöglichkeiten dieses Reformvorschlags. Festhalten lässt sich, das die Leistungshöhe relativ einfach zu berechnen ist. Als Folge würden die niedrigen und mittleren Einkommen profitieren. Das Armutsrisiko würde erheblich gesenkt.

B) Reform des Ehegattensplittings

Von der Tatsache ausgehend, dass die steuerliche Berücksichtigung des Instituts Ehe aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht vollständig abgebaut werden kann, ist ein Umbau aufgrund des gesellschaftlichen Wandels bzw. eine Anpassung an die gesellschaftliche Realität jedoch nach Ansicht des dbb angezeigt und möglich. Das derzeitige Problem beim gelten Recht ist, dass es aus ökonomischer Sicht für die Zweitverdienenden, in der Regel Frauen, starke Anreize gibt, keiner Erwerbsarbeit nachzugehen.

Eine reine Individualbesteuerung der Ehepartner hätte aus arbeitsmarktpolitischen Erwägungen und Gleichstellungsaspekten insoweit den größten positiven Effekt. Jedoch müssen aus verfassungsrechtlichen Gründen auch Unterhaltsverpflichtungen innerhalb der Ehe berücksichtigt werden. Daher fordert der dbb ein Konzept der Individualbesteuerung unter Berücksichtigung von Unterhaltsverpflichtungen. Der geringste Betrag, der übertragen werden könnte, wäre ein Betrag in Höhe des Grundfreibetrags. Hiermit wäre das Existenzminimum des Partners, der Partnerin gewährleistet. Allerdings könnten auch höhere Beitrage analog zum heute gültigen Unterhaltsrecht ausgewählt werden. Dann wären 13.805 Euro zu übertragen. Läge bei einem Ehepartner das Einkommen unter dem Grundfreibetrag oder gar kein Einkommen vor, könnte der nicht ausgeschöpfte Teil bzw. der gesamte Grundfreibetrag beim Partner vom zu versteuernden Einkommen abgezogen werden.

Der Koalitionsvertrag vom 7. Dezember 2021 enthält die Absicht, die Steuerklassen 3 und 5 abzuschaffen. Dies hätte zwar keine direkten Auswirkungen auf das Ehegattensplitting, würde aber die Steuerverteilung innerhalb eines Veranlagungsjahres verändern. Klar muss sein, dass bereits eingegangene Ehen bzw. eingetragene Lebenspartnerschaften keine finanziellen Nachteile aufgrund einer geänderten Familienbesteuerung erwachsen.

Gesamtfazit:

Der dbb fordert, die skizzierte Kindergrundsicherung, die zu einer spürbaren Verbesserung der Situation von Kindern beiträgt, mit einer Reform des Ehegattensplittings zu kombinieren, die positive Arbeitsanreizeffekte setzt und die gleichzeitig die Splittingvorteile von Besserverdienenden kürzt.

Allerdings muss beachtet werden, dass sich ein Teil der Ehepartnerinnen und Ehepartner auf die derzeitige Rechtslage verlassen und ihre Lebensplanung darauf eingerichtet haben. Viele verheiratete Paare müssten mehr Steuern zahlen. Die Steuererhöhung könnte auch viele Ehepaare treffen, die sich im Vertrauen auf die gelten Regelungen auf die „klassische“ Arbeitsteilung eingerichtet haben. Eine nachträgliche Korrektur dieser Lebensentscheidungen, sprich die Aufnahme einer Erwerbsarbeit ist vielfach nicht (mehr) möglich. Aus Gründen des Vertrauensschutzes müssten die bisherigen Regelungen für existierende Ehen fortbestehen.

Der dbb fordert im Bereich der Freistellung des Existenzminimums von Kindern:

  • Zur Vermeidung von Kinderarmut und der Verbesserung von Bildungschancen von Kindern müssen in einer modernen, sich wandelnden Gesellschaft Prioritäten gesetzt werden. Bildungschancen für Kinder sollten nicht vom Einkommen und Bildungsgrad der Eltern abhängen. Insofern müssen Maßnahmen ergriffen werden, die die derzeitige Situation verbessern. Hierzu sollte die Einführung einer Kindergrundsicherung im Zusammenspiel mit einem Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten kombiniert werden.
  • Die Maßnahmen zum Ausbau der Kinderbetreuung sind aber auch Voraussetzung für die angestrebten Ziele der Gleichstellung von Mann und Frau und der Setzung von Anreizen für Frauen stärker am Erwerbsprozess teilzunehmen.
  • Durch das derzeitige System von Kindergeld und Kinderfreibeträgen werden Familien mit höheren Einkommen bevorzugt. Sie erhalten in der Spitze 1.354 Euro mehr im Jahr pro Kind, als Familien, die (nur) Kindergeld beziehen. Nach Ansicht des dbb darf dem Staat kein Kind mehr wert sein als ein anderes.
  • Insofern sollte eine Kindergrundsicherung in Höhe von 290 Euro pro Monat und Kind ausgezahlt werden. Mit diesem Betrag wäre das Existenzminimum eines jeden Kindes abgedeckt. Zusätzlich sollten Kinder von Familien mit geringerem Einkommen zur Verbesserung der Teilhabe einen Zusatzbetrag erhalten. Dieser wird mit zunehmenden Bruttoeinkommen der Eltern abgeschmolzen.

Der gesellschaftliche Wandel macht es zudem notwendig, das bestehende System des Ehegattensplittings zu verändern:

  • Das Ehegattensplitting bevorzugt Spitzenverdienerinnen und Spitzenverdiener mit hohen Splittingvorteilen; diese Vorteile – insbesondere, wenn nur ein Ehegatte/Lebenspartner berufstätig ist – sind schon aus Gerechtigkeitsgründen abzuschaffen.
  • Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Das bestehende Ehegattensplitting setzt Fehlanreize in Bezug auf Gleichstellung und Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt. Das Ehegattensplitting fördert die Alleinverdienerehe, da sich die Arbeitsaufnahme bei stark differierenden Einkommen finanziell oft nicht lohnt. Dies ist nicht zuletzt auch aufgrund des demografischen Wandels nicht mehr zeitgemäß.
  • Der dbb setzt sich insofern für eine Ablösung des derzeitig gültigen Ehegattensplittings ein. Hierbei kann beim (höher)verdienenden Partner ein zu bestimmender Betrag von dessen zu versteuerndem Einkommen in Abzug gebracht werden, um den Unterhaltsverpflichtungen in einer Ehe/eingetragener Lebenspartnerschaft Rechnung zu tragen. Ehen/eingetragene Lebenspartnerschaften, die zukünftig geschlossen werden, fallen unter das neue Recht.
  • Für bereits eingegangene Ehen/eingetragene Lebenspartnerschaften, die sich auf die geltende Rechtslage eingestellt haben, besteht ein Wahlrecht. Sie können an der derzeitigen Rechtslage festhalten oder die Individualbesteuerung mit Übertragung eines Unterhaltsbetrags wählen.
  • Die Kombination der Reform des Ehegattensplittings mit einer armutsvermeidenden Kindergrundsicherung und dem dringenden Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten ist geeignet, um die verschiedenen Ziele und insbesondere das Ziel, Familien besser zu stellen, zu erreichen.
  • Das neue Recht würde zudem verständlich und relativ einfach zu administrieren sein.

Begründung:

bei Bedarf mündlich

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