Leitantrag Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung

A) Vorbemerkungen / Präambel

Die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, wie wichtig die Digitalisierung der Verwaltung für unsere Gesellschaft ist. Digitale Technologien haben unter anderem maßgeblich dazu beigetragen, dass die Verwaltungen ihren Betrieb aufrechterhalten konnten. Dabei hat die Pandemie auf der einen Seite zu einem erheblichen Digitalisierungsschub geführt und auf der anderen Seite den Rückstand sowie die Versäumnisse bei der Digitalisierung schonungslos offengelegt. Auf die bestehenden Defizite bei der Digitalisierung der Verwaltung hat der dbb lange vor und auch während der Pandemie regelmäßig hingewiesen.

In internationalen E-Government-Rankings schneidet Deutschland seit Jahren unterdurchschnittlich ab. Ein Grund dafür ist, dass viel zu wenig in die digitale Infrastruktur, die technische Ausstattung und das Personal investiert wurde – das hat Deutschland bei der digitalen Transformation zurückgeworfen.

Der dbb unterstützt grundsätzlich den Modernisierungs- und Digitalisierungsprozess in der öffentlichen Verwaltung. Die Digitalisierung bietet Chancen das Leistungsangebot für Bürgerinnen und Bürger und Wirtschaft wie die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu verbessern. Im Mittelpunkt der digitalen Transformation müssen die Beschäftigten stehen, denn sie sind am Ende für ihre Umsetzung zuständig. Die Digitalisierung der Verwaltung wird nur erfolgreich verlaufen, wenn sie mitgenommen, eingebunden und zeitgemäß technisch ausgestattet werden.

Zu den Themen Mitbestimmung sowie Fort- und Weiterbildung für das digitale Zeitalter wird auf die Leitanträge mit den Nummern Z31, Z97 und S192 verwiesen.

Um die Digitalisierung der Verwaltung voranzubringen sind Maßnahmen in verschiedenen Bereichen und auf allen föderalen Ebenen umzusetzen.

B) Positionen des dbb

Konsequent umgesetzte interne Verwaltungsdigitalisierung

  • Eine Baustelle bei der Digitalisierung ist immer noch die fehlende oder mangelhafte Digitalisierung der internen Verfahren und Arbeitsweisen in der Verwaltung. Es muss sichergestellt werden, dass alle Verfahren von Anfang bis zum Ende vollständig digital sind. Auf einen digitalen Antrag auf Bürgerseite darf kein analoger Prozess in der Verwaltung folgen.
  • Die Registermodernisierung ist eine tragende Säule der Verwaltungs-digitalisierung. Für die Umsetzung des Prinzips der nur einmaligen Erfassung von personenbezogenen Daten („Once Only“) ist sie zentral und sollte daher schnellstmöglich vorangetrieben werden. Es muss eine Modernisierung der IT-Fachverfahren geben. Die Verwaltungen arbeiten zum großen Teil mit überalterten Fachverfahren, die teilweise nicht über notwendige Schnittstellen für den Datenaustausch verfügen.
  • Bund und Länder müssen den Kommunen bei der Modernisierung, Vereinheitlichung und Standardisierung der Fachverfahren die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen.
  • Die Anstrengungen zum Aufbau einer föderalen Verwaltungscloud, die aktuell mit der Deutschen Verwaltungscloud-Strategie des IT-Planungsrates voran-getrieben werden, müssen intensiviert werden. Eine Cloud der öffentlichen Verwaltung muss offene Schnittstellen sowie strenge Sicherheits- und Transparenzvorgaben gewährleisten.
  • Um allen Mitarbeitenden einen problemlosen Zugriff auf Server- und Netzinfrastrukturen ihrer Behörde zu gewährleisten, muss sichergestellt werden, dass alle Verwaltungen über leistungsfähige Glasfaserkabelanbindungen verfügen, die sie je nach Nutzungsintensität skalieren können.
  • Um die digitale Souveränität der Verwaltung zu stärken und die Abhängigkeit von proprietärer Software zu verringern, ist der verstärkte Einsatz von Open-Source Eigenentwicklungen zu prüfen.
  • Perspektivisch muss der FIT-Store zu einem App-Store für die Verwaltung bzw. zu einem IT-Kaufhaus ausgebaut werden, über das Behörden aller Ebenen standardisierte, Portalverbund kompatible IT-Produkte einfach finden und leicht beschaffen können. (Der FIT-Store wird von der FITKO betrieben und bietet den Bundesländern Leistungen des Onlinezugangsgesetzes zur Nachnutzung an. Mit einer Weiterentwicklung des FIT-Stores zu einem App-Store sollen Bund, Länder und Kommunen Online-Dienste direkt herunterladen und nutzen können, ohne aufwendige Vergabeverfahren oder Antragswege.)

Aufgabengerechte Personalausstattung

  • Angesichts der großen digitalen Transformationsaufgaben, die mit OZG, Registermodernisierung und anderen IT-Großprojekten einhergehen, ist nicht ausreichend Personal in der öffentlichen Verwaltung vorhanden. Bund, Länder und Kommunen müssen für eine aufgabengerechte Personalausstattung sorgen. Eine adäquate Personalausstattung ist eine zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche digitale Transformation.

Digitale Verwaltungsdienstleistungen für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen

  • Digitale, online nutzbare Dienste dienen dazu, den Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft zu verbessern, das Leistungsangebot für beide zu optimieren und die Leistungsfähigkeit der Verwaltung zu verbessern. Es muss daher sichergestellt werden, dass alle Verwaltungsdienstleistungen vollständig online zu Verfügung stehen.
  • Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) darf nicht dazu führen, dass analoge Zugangswege für die Beantragung von öffentlichen Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger erschwert oder verschlossen werden.
  • Beim OZG müssen sich alle beteiligten Bundesländer an das sogenannte „EfA“ Prinzip („Einer für Alle“) halten. Der Grundgedanke hinter EfA ist, dass Länder und Kommunen nicht jedes digitale Verwaltungsangebot eigenständig neu entwickeln, sondern sich abstimmen und die Arbeit aufteilen. Das EfA-Prinzip spart Zeit, Ressourcen und Kosten. Ohne ein hohes Maß an Gemeinschaftsentwicklung und einem Fokus auf die Nachnutzbarkeit dezentraler Lösungen kann eine Flächendeckung in absehbarer Zeit und zu vertretbaren Kosten nicht gelingen. Um eine spätere Nachnutzung zu ermöglichen, müssen zudem die EfA-Mindestanforderungen, welche offene und standardisierte Schnittstellen bei der Entwicklung von Dienstleistungen einfordern, mehr Verbindlichkeit erhalten und zwingend Berücksichtigung finden.
  • Der OZG-Servicestandard, der den Aspekt der Nutzerorientierung ins Zentrum rückt und Prinzipien für das Design von digitalen Verwaltungsleistungen definiert, muss in Zukunft ebenfalls größere Verbindlichkeit erhalten und Ausgangspunkt jedes Entwicklungsprozesses sein.
  • Hohe Datenschutz- und Datensicherheitsstandrads sind für die Akzeptanz von E-Government Angeboten essentiell und müssen bei allen Entwicklungen stets berücksichtigt werden.
  • Auch für die Verwaltung des Bildungsbereichs sind zeitgemäße und passgenaue Lösungen erforderlich, die insbesondere den Anforderungen des Datenschutzes und Datensicherheit bei Kindern und Jugendlichen gerecht werden, die Übergänge der Bildungsbiografie erleichtern sowie Schnittstellen mit anderen Verwaltungsstellen ermöglichen.
  • Es muss ein vertrauenswürdiges, allgemein anwendbares Identitäts-management schnellstmöglich eingeführt werden. Bei der Einführung müssen alle Vorgaben aus der eIDAS-Verordnung, die digitale Identitäten und Vertrauensdienste in Europa regelt, erfüllt und berücksichtigt werden.

Interoperabilität durch Standardisierung

  • Klare Vorgaben für einheitliche offene Standards und offene Schnittstellen müssen zügig erfolgen und verbindlich sein, um eine gemeinsame Datennutzung und Kommunikation zu ermöglichen.
  • Um Insellösungen und eine zersplitterte föderale IT-Landschaft zukünftig zu verhindern, müssen auf allen Ebenen die Bemühungen zur Standardisierung verstärkt werden. Im Interesse einer gesamtstaatlichen IT-Infrastruktur im föderalen Gefüge steht der Bund in der Pflicht, notwendige Vorhaben – organisatorisch und finanziell – zu fördern. Nötig ist zudem ein staatlich verantwortetes Standardisierungsregime, das bei jeder Softwareentwicklung für oder durch die öffentliche Hand befolgt werden muss.
  • Auf Bundesebene sollte das OZG, das nach Art. 91 Absatz 5 GG bereits Verfassungsrang besitzt, genutzt werden, um Standardisierungen voranzu-treiben. Hierfür muss der Bund die Norm in § 4 (1) Satz 1 OZG noch stärker als in der Vergangenheit anwenden.

Governance der Digitalisierung

  • Eine Beschleunigung der Digitalisierung der Verwaltung wird nur durch eine klare Zuweisung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu erreichen sein.
  • Um die ebenenübergreifende Zusammenarbeit zu fördern und die Chancen einer verstärkten föderalen Kooperation zu nutzen, muss der IT-Planungsrat unter Einbeziehung der Kommunen weiter gestärkt werden. Im IT-Planungsrat müssen schneller, stringente und verbindliche Entscheidungen getroffen werden. Hierfür muss der IT-Planungsrat in einer hohen Taktrate tagen, operative Entscheidungen stärker an die FITKO delegieren und seine Entscheidungs-mechanismen vereinfachen. Damit die FITKO zu einer Koordinierungsstelle in der ebenenübergreifenden Zusammenarbeit werden kann, muss sie personell, technisch und finanziell deutlich besser ausgestattet werden. Perspektivisch sollte es das Ziel sein die FITKO zu einer echten Digitalagentur nach internationalem Vorbild weiterzuentwickeln. Die Kompetenzen und Durchgriffsrechte einer solchen Digitalisierungsagentur müssten in einem Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern festgelegt werden.
  • Auf Bundesebene muss für eine bessere Koordinierung von Digitalisierungs-vorhaben die Rolle des Bundes-CIO weiter gestärkt werden. Hierfür muss dieser über ausreichend Ressourcen verfügen und mehr Kompetenzen erhalten.

Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Verwaltung

  • Bei dem Einsatz von KI in der öffentlichen Verwaltung ist eine verantwortungsvolle Datennutzung unabdingbar, bei welcher der Mensch nicht zum bloßen Objekt digitaler Prozesse werden darf.
  • KI und Algorithmen können Entscheidungen unterstützen, menschliche Entscheider aber nicht ersetzen. Wo es um Ermessen, Gesetzesauslegung und die Berücksichtigung von Einzelfällen geht, müssen auch in der digitalen Welt Handlungs- und Entscheidungsspielräume erhalten bleiben und Verantwortlichkeiten nachvollzogen werden können. Inhaltliche Entscheidungen müssen auch weiter dem Menschen vorbehalten bleiben.
  • Es muss für die Bürgerinnen und Bürger und für die Mitarbeitenden in der Verwaltung transparent sein, bei welchen Verwaltungsvorgängen KI-Systeme eingesetzt werden.
  • Künstliche Intelligenz und Automatisierung sind kein Mittel, pauschalen Stellenabbau zu legitimieren. Die Übernahme von Routine-Aufgaben durch KI führt dazu, dass die Beschäftigten mehr Zeit für anspruchsvolle Arbeit und Beratung von Bürgerinnen und Bürgern haben. Der durch KI erzielte Digitalisierungsgewinn muss vor allem in eine zeitgemäße technische Ausstattung und in die Fort- und Weiterbildung der Mitarbeitenden investiert werden.
  • Bereits in der Ausbildung und im Studium muss ein breites Wissen zu Digitalisierung und KI-Systemen vermittelt werden, um möglichst vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung ein Verständnis für die Funktionsweisen, Vorteile und Herausforderungen von KI-Systemen und ihre Risiken in Bezug auf unerwünschte Diskriminierung zu vermitteln.
  • Ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz mit einem risikobasierten Ansatz, nach der sich der Regulierungsgrad einer Anwendung nach seinem Risiko bemessen soll, ist der richtige Ansatz und muss schnellstmöglich umgesetzt werden.

Begründung:

bei Bedarf mündlich

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