• Digitalisierung

Mehr digitale Teilhabe für europäische Schülerinnen und Schüler an „Europas digitaler Dekade“

Das erste Smartphone eines berühmten US-amerikanischen Technologieunternehmens wurde 2007 vorgestellt. Seitdem sind gerade einmal 14 Jahre vergangen und unzählige technische Neuerungen auf den Markt gekommen.

Die Innovationszyklen für neue Technologien verkürzen sich stetig und wirken sich immer weiter auf die Art und Weise aus, wie wir miteinander kommunizieren, arbeiten und leben.

Zahlreiche Arbeitsplätze werden durch die zunehmende Automatisierung wegfallen, aber auch neu geschaffen. Die notwendigen Kompetenzen für die Teilhabe an der digitalisierten Arbeitswelt werden dabei immer wichtiger. Um den Mehrwert digitaler Technologien vollständig ausschöpfen zu können, bedarf es nicht nur derer, die sie entwickeln, sondern auch der Menschen in der breiten Bevölkerung, die mit ihnen kritisch-produktiv umgehen können.  Dem steht gegenüber, dass weniger als 60 Prozent der EU-Bevölkerung über grundlegende digitale Kompetenzen verfügen – der DESI-Bericht belegt einen europaweit verbreiteten Fachkräftemangel im IKT-Bereich. Um die digitale Transformation erfolgreich zu begleiten, ist die digitale Souveränität der Nutzerinnen und Nutzer jedoch von großer Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Wirtschaftsstandort Europa.

Der digitalen Unterstützung von Bildungsprozessen kommt in diesem Zusammenhang eine bedeutsame Rolle zu. Seit Pandemiebeginn wird ihr große Aufmerksamkeit zuteil - Stärken in diesem Bereich haben sich bezahlt gemacht, die Schwächen wurden in aller Härte offenbart. Wenngleich viele der internationalen und europaweiten Erhebungen wie die ICILS Studie (International Computer and Information Study) und der Monitor für die allgemeine und berufliche Bildung der Europäischen Kommission sich auf die Zeit vor der Pandemie beziehen, geben sie dennoch Aufschluss über die fragmentierte Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten. So weisen in Deutschland über 30 Prozent, in Frankreich über 43 Prozent und in Italien sogar über 60 Prozent der Lernenden unterdurchschnittliche Leistungen im Bereich der Informationskompetenz auf.

Dabei ist auch die soziale Herkunft entscheidend für den Zugang zu digitalen Technologien. Ein eigener Computer, der insbesondere bei Schulschließungen die Grundlage für eine digitale Unterstützung der schulischen Bildung war, war 2018 noch nicht für alle EU-Bürgerinnen und Bürger selbstverständlich. Insbesondere in Spanien, Italien und Portugal war dies der Fall, oder auch EU-weit für nahezu 13 Prozent aller armutsgefährdeten Haushalte. Gleiches gilt für den Internetzugang: Während sich der Breitbandzugang im EU-Durchschnitt auf einem hohen Niveau bewegt, gibt es mit 97 Prozent in den Niederlanden, 87 Prozent in Italien und 79 Prozent in Bulgarien große regionale Unterschiede bei der Versorgung. Zudem hat die TALIS-Umfrage 2018 ergeben, dass im EU-Durchschnitt weniger als die Hälfte der Lehrkräfte vor der Pandemie digitale Medien im Schulunterricht nutzten und für etwas mehr als die Hälfte die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien Bestandteil ihrer formalen Aus- oder Fortbildung war.

Diese Faktoren – der Zugang zu schnellem Internet und digitalen Endgeräten, die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte sowie ein adäquater Datenschutz und angepasste Curricula und Unterrichtsmethoden - wirken sich maßgeblich auf die Entwicklung digitaler Souveränität der Schülerinnen und Schüler von heute und die der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von morgen aus. Sollten sich landesspezifische Unterschiede manifestieren, würden sich diese zum einen auf die digitale Teilhabe des Individuums und zum anderen auf die jeweilige Wirtschaftskraft des Landes auswirken und die langfristige Harmonisierung der europäischen Wirtschaft hindern. Daher muss der Zugang zu digital unterstützten Bildungsangeboten jedem Menschen gleichermaßen ermöglicht werden und darf nicht von der geografischen und sozialen Herkunft abhängen.

Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Kommission den Aktionsplan für digitale Bildung aufgesetzt, der eine Anpassung der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung an das digitale Zeitalter anstrebt. Dabei soll zum einen ein leistungsfähiges digitales Bildungsökosystem bis 2027 geschaffen werden. Dieses soll die notwendige digitale Infrastruktur und Ausstattung, die Planung und Entwicklung digitaler Kapazitäten, die Förderung der digitalen Kompetenzen der Lehrkräfte sowie hochwertige digitalisierbare Lerninhalte beinhalten. Zum anderen sollen die erforderlichen Kompetenzen für den digitalen Wandel gefördert werden. Dies soll mit gut ausgebildeten Lehrkräften für den Informatikunterricht auch das Verständnis von datenintensiven Technologien wie Künstlicher Intelligenz umfassen. Bei der Ausbildung der digitalen Fachkräfte von morgen soll zudem auf eine angemessen ausgewogene Vertretung von Mädchen und Jungen, Männern und Frauen geachtet werden.

Die eingangs beschriebenen, immer kürzer werdenden Innovationszyklen führen zu einem massiven Bedeutungszuwachs von Kompetenzen für das digitale Zeitalter. Der Aktionsplan für digitale Bildung erkennt den dringenden Handlungsbedarf und stellt einen ganzheitlichen Ansatz für eine Stärkung auch digital unterstützter Bildungsprozesse dar. Das Ziel muss die digitale Souveränität der Nutzerinnen und Nutzer sein, es kann nicht nur um die Förderung purer Anwendungskompetenzen gehen. Insbesondere in Zeiten zunehmender Polarisierung der Gesellschaft ist es elementar, die (digitale) Teilhabe aller sicherzustellen und sie gemeinsam für die Herausforderungen unserer Zeit zu sensibilisieren.

Susanne Lin-Klitzing ist Professorin für Schulpädagogik an der Philipps-Universität Marburg, Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbands (DPhV) und Vorsitzende der Fachkommission Schule, Bildung und Wissenschaft des dbb beamtenbund und tarifunion.

 

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