Europäisches Semesterdbb kritisiert mangelhafte Beteiligung
Der dbb setzt sich für eine bessere Beteiligung von Sozialpartnern und Zivilgesellschaft am Europäischen Semester ein.
Die Bundesregierung behandelt das Herbstpaket des Europäischen Semesters am Rande der Vorstellung des deutschen Jahreswirtschaftsberichts. Eine echte Konsultation der Sozialpartner oder der organisierten Zivilgesellschaft findet nicht statt. Dabei läge ein politischer Diskurs über die Entwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und eine Verständigung über wichtige wirtschaftspolitische Ziele im Interesse Deutschlands, für das die WWU nicht nur wesentliche Vorteile mit sich bringt, sondern nachgerade von existenzieller Bedeutung ist. Hinzu kommt, dass das im Zuge der Pandemie aufgelegte 750 Milliarden Euro schwere Aufbauprogramm „Next Generation EU“ hinsichtlich der nationalen Aufbaupläne mit dem Europäischen Semester und den darin festgestellten Zielsetzungen beziehungsweise den konkreten länderspezifischen Empfehlungen verbunden wurde. Insoweit hätte das Europäische Semester eigentlich spätestens seit 2022 größere Aufmerksamkeit verdient.
Aber auch hier hat es zumindest in Deutschland praktisch keine nennenswerten Beteiligungsverfahren gegeben, keinen Austausch darüber, wie die Zuschüsse, die Deutschland aus dem Programm erhält, am sinnvollsten einzusetzen wären. Dabei wäre dies besonders für den öffentlichen Sektor wichtig, denn dort bestehen die größten Investitionsstaus. Zu den attraktiven Rahmenbedingungen für Unternehmen und Voraussetzungen für private Investitionsentscheidungen gehören neben der Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte, für die neben der demografischen Entwicklung und der Migrationspolitik die Qualität des Bildungswesens maßgeblich ist, und dem Steuerrecht, das Anreize setzen kann, nicht zuletzt auch die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Infrastruktur (Energie- und Verkehrsnetze) sowie Rechtsklarheit und Rechtssicherheit und, hinsichtlich unter anderem von Berichtspflichten und Wartezeiten, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung allgemein.
Die deutsche Debatte über die Schuldenbremse im Grundgesetz erfordert eigentlich eine Blickweitung auf die europäische Dimension der deutschen Ausgabenpolitik. Die wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Mitgliedstaaten bedingen einander. Das Europäische Semester ist der Versuch, dies transparent zu machen und mehr nachhaltiges Wirtschaftswachstum durch eine bessere Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken zu ermöglichen.
Der dbb fordert die Bundesregierung in einer aktuellen Entschließung seines Bundeshauptvorstands auf, dem Europäischen Semester mehr politische Beachtung zu schenken und mehr Öffentlichkeit zur makroökonomischen Entwicklung in Europa zu ermöglichen,
das Europäische Semester im Rahmen einer gestärkten europapolitischen Koordinierung der Bundesregierung effektiver und über die Befassung einzelner Referate in Fachressorts hinaus strategisch zu begleiten;
die Sozialpartner, darunter den dbb beamtenbund und tarifunion (dbb) als gewerkschaftliche Spitzenorganisation für den öffentlichen Dienst, besser in die Phasen des Europäischen Semesterzyklus einzubeziehen;
Öffentlichkeit herzustellen für die Diskussion des mittelfristigen strukturellen finanzpolitischen Plans für Deutschland bzw. die jeweiligen jährlichen Fortschrittsberichte;
nach Veröffentlichung des Herbst- und des Frühjahrspakets eine effektive Konsultation der sozialpartnerschaftlichen Spitzenorganisationen und repräsentativer zivilgesellschaftlicher Verbände zu ermöglichen, wobei das Netzwerk der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD) eine moderierende Rolle spielen könnte;
die Befunde des jährlichen Länderberichts Deutschland transparent zu machen und Schlussfolgerungen für die deutsche Regierungspolitik zu ziehen;
den gesamteuropäischen Horizont des Europäischen Semesters über die deutsche Entwicklung hinaus in seiner Bedeutung für die deutschen Interessen hinsichtlich der Wirtschafts- und Währungsunion und des Binnenmarkts aufzuzeigen.
Der dbb appelliert an den Deutschen Bundestag,
über den Ausschuss für Europäische Angelegenheiten regelmäßig öffentliche Anhörungen zum Europäischen Semester zu organisieren;
zum jeweiligen Länderbericht Deutschland eine aktuelle Stunde zu ermöglichen;
Einfluss auf die Formulierung der länderspezifischen Empfehlungen zu nehmen, um Transparenz und demokratische Legitimation zu stärken.
Der dbb fordert die Europäische Kommission auf,
einen Vorschlag für die bessere Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft inklusive der Sozialpartner an den Phasen des Europäischen Semesters auf EU-Ebene auszuarbeiten;
die Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft inklusive der Sozialpartner bereits während der Erarbeitung wichtiger Bestandteile des Europäischen Semesters wie den Empfehlungen für den Euro-Währungsraum oder dem Beschäftigungsbericht zu ermöglichen;
in Zusammenarbeit mit den beratenden EU-Organen Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) und Ausschuss der Regionen (AdR) öffentliche Anhörungen zum Herbst- und zum Frühjahrspaket zu organisieren.