„In manchen Städten steht das System vor dem Kollaps“

Interview mit dem dbb Bundesvorsitzenden Klaus Dauderstädt in der Rheinischen Post vom 15. September 2015.

 

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Droht angesichts Hunderttausender Flüchtlinge auch in Deutschland der Kollaps?

 

Klaus Dauderstädt: Das lässt sich nicht für die gesamte staatliche Verwaltung gleich beantworten. In manchen Kommunen, wo die Behörden unmittelbar den Zustrom bewältigen müssen, steht das System vor dem Kollaps. Auch an manchen Schulen wächst die Gefahr kollabierender Verhältnisse, denken Sie nur an die vielenvom Krieg traumatisierten Kinder und Jugendlichen, die integriert werden müssen. Die Gesundheitsbehörden sind mit den nötigen Untersuchungen völlig überfordert, weil in diesem Bereich schon vor der Zunahme der Flüchtlingszahlen viel Personal fehlte. Überall wird die Funktionsfähigkeit der Strukturen auf eine harte Probe gestellt.

 

Dann entwickelt sich mit den Flüchtlingszahlen auch der Bedarf an zusätzlichen Mitarbeitern im öffentlichen Dienst dynamisch?

 

Natürlich. Wenn wir noch vor einem Monat von mindestens 10.000 weiteren Stellen sprachen, brauchen wir die nun schon allein an den Schulen. Inzwischen müssen wir davon ausgehen, dass wir mehr als 20.000 zusätzliche Mitarbeiter im öffentlichen Dienst brauchen, um der Flüchtlingsproblematik Herr zu werden. Und zwar in Ergänzung zu dem bereits zugesagten Aufwuchs etwa bei der Bundespolizei oder beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

 

Müssten hier nicht dringend mehr Entscheider beschäftigt werden?

 

Es wurden ja schon mehr als 2000 weitere Stellen genehmigt. Man kann das Fachpersonal aber nicht aus dem Boden stampfen. Für den mittleren und gehobenen Dienst, in dem wir jetzt die meisten Menschen brauchen, ist in der Regel eine Ausbildung von drei Jahren nötig. Das BAMF akzeptiert inzwischen schon Bewerber mit jedem Bachelor-Abschluss. Und auch Mitarbeiter aus der Zollverwaltung helfen bereits aus. Wichtig wäre jetzt vor allem, die Verfahren zu vereinfachen.

 

Könnten schon integrierte Flüchtlinge eingestellt werden, damit sie sich um ihre Landsleute kümmern?

 

Das ist ein interessanter Ansatz. Sie werden vermutlich nicht als Beamte eingesetzt werden können, aber Flüchtlinge könnten sicherlich wertvolle Hilfe als Dolmetscher leisten. Wir sollten ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Da gibt es ein ungeheures Potenzial, das wir nicht vernachlässigen lassen dürfen.

 

Wo muss am meisten geschehen?

 

Einerseits müssen wir mehr an die Ursachen heran. Vielleicht ist es besser, einen Brunnen in Mali zu finanzieren, als uns auf die Aufnahme malischer Flüchtlinge zu konzentrieren. Andererseits wird auch immer klarer: Mit unseren innerstaatlichen Zuständigkeiten werden wir der Flüchtlingsdynamik nicht mehr gerecht. Der Bund und die Kommunen sind bei der Flüchtlingsaufnahme in erster Linie gefragt, dann müssen sie auch direkt zusammen arbeiten können. Wir sollten den aktuellen Entscheidungsdruck deshalb dringend nutzen, um dafür auch die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.

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