"Wir wollen die Verwaltungen nicht zu Festungen ausbauen"

Interview mit dem dbb Bundesvorsitzenden Klaus Dauderstädt in der Rheinpfalz vom 11. Januar 2015.

 

Herr Dauderstädt, Anfang Dezember wurde im Jobcenter in Rothenburg ob der Tauber ein Gutachter erstochen. Ist das nur ein tragischer Einzelfall oder schrecklicher Ausdruck allgemein wachsender Gewalt gegen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes?

 

Klaus Dauderstädt: Rothenburg ist glücklicherweise kein alltägliches Vorkommnis. Aber Fälle von Gewalt haben doch deutlich zugenommen. Besonders betroffen davon waren in letzter Zeit die Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern. Es gab ja vor dem von Ihnen erwähnten Fall bereits einen Todesfall in Neuss und eine Reihe anderer Attacken. Morgen werden die dbb Gewerkschaften deshalb zu einer Gedenkminute in allen Jobcentern aufrufen.

 

Lässt sich die von Ihnen beklagte Zunahme von Gewalttaten anhand von Studien oder Statistiken belegen?

 

Das ist schwierig. Wir haben das versucht, aber offen gesagt, ist es uns bisher nicht gelungen, entsprechende auswertbare Daten zu bekommen. Eigentlich ist das auch eher Aufgabe der Arbeitgeberseite, so etwas zu erfassen. Ich plädiere dafür, gemeinsam die Anstrengungen zu intensivieren, um präzisere Aussagen zu bekommen, was die Entwicklung gewalttätiger Vorfälle angeht.

 

Gibt es Beschäftigtengruppen, die besonders gefährdet sind?

 

Die Teile des öffentlichen Dienstes, die sich mit Kriminalität auseinandersetzen, sind immer gefährdet, also etwa Polizisten oder Justizvollzugsbeamte. Auch wo es darum geht, Geld zu zahlen oder zu bekommen, gibt es immer Konfliktherde. Das betrifft etwa die Gerichtsvollzieher oder die Arbeits- und Sozialverwaltung. Hinzu kommen Lehrer und Beschäftigte mit Kontrollaufgaben, etwa in der Lebensmittel- oder der Arbeitsschutzkontrolle. Wir können aber nicht allen Beschäftigten Leibwächter zur Seite stellen. Stattdessen müssen wir versuchen, die Konfliktherde zu lokalisieren und mögliche kritische Situationen schon präventiv zu entschärfen.

 

Worauf führen sie die wachsende Gewaltbereitschaft zurück?

 

Das beschränkt sich ja nicht auf den öffentlichen Dienst, hierbei handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliches Problem. Viele Menschen fühlen sich nicht mehr richtig wahrgenommen und verstanden, können vieles nicht mehr nachvollziehen. Die Menschen gehen nicht mehr zu den Wahlen, weil sie Politik nicht mehr für wichtig halten. Diese wachsende Distanz des Bürgers zum Staat führt auch dazu, dass er sich gegenüber den staatlichen Institutionen rabiater verhält. Da zeigt sich bei manchen zudem das Gefühl einer gewissen Ausweglosigkeit, die dann in Gewalt mündet. Auf dieses Gefühl der Ausweglosigkeit hat unsere Gesellschaft bisher keine Antwort. Dazu kommen andere Entwicklungen, etwa der Konsum brutalster Computerspiele oder die Darstellung unmenschlicher Verhaltensweisen im Fernsehen. Und dann passiert es eben, dass plötzlich Menschen, die mit Messern oder Pistolen bewaffnet sind, vor einem Gerichtsgebäude gestoppt werden müssen.

 

Wie wollen Sie die Beschäftigten wirksamer gegen Attacken schützen?

 

Dazu braucht es eine ganze Palette von Maßnahmen. Das eine sind technische Lösungen, etwa Baumaßnahmen. Viele Büros sind abgeschlossen, so dass es kein Dritter mitbekommt, wenn sich jemand vor dem Schreibtisch aufbaut. Natürlich eignen sich Großraumbüros nicht für sensible Themen. Aber schon durch gläserne Wände lässt sich besserer Kontakt zu angrenzenden Büros herstellen. Sinnvoll sind auch mehr Alarmeinrichtungen, also der Alarmknopf, den wir im Juwelierladen oder am Bankschalter für selbstverständlich halten.

 

Dann ist der Aggressor aber schon im Gebäude.

 

In großen Justizbehörden gibt es inzwischen Sicherheitsschleusen. Wir müssen darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, diese auch andernorts vermehrt zu installieren.

 

Im öffentlichen Raum werden immer mehr Videokameras installiert. Wäre deren Einbau in Büros eine Maßnahme?

 

In einer akuten Eskalationslage wird das niemanden abschrecken. Aber mit solchen Kameras ließe sich die Überwachung und Kontrolle so organisieren, dass ein Überwachungsinstrument mehrere Büros oder Verwaltungseinheiten gleichzeitig kontrollieren kann. Wir müssen uns aber auch personell besser auf die neue Lage einstellen.

 

Das heißt Sicherheitskräfte vor allen Büros?

 

Nein, mir geht es nicht um den flächendeckenden Einsatz von Sicherheitskräften. Wir wollen die öffentlichen Verwaltungen nicht zu Festungen ausbauen, in denen der Bürger gefilzt wird und mehrere Kontrollpunkte passieren muss. Das kann nicht Ziel einer bürgernahen Verwaltung sein. Aber es müssen Kräfte da sein, die im Ernstfall rasch vor Ort helfen können. Zudem sollten die Mitarbeiter besser auf solche Situationen vorbereitet werden. Das heißt schulen, wie sich bedrohliche Situationen rechtzeitig deeskalieren lassen. Und wie man sich verhält, wenn die Eskalation nicht zu vermeiden ist. Mir macht auch Sorge, wie die Beschäftigten reagieren, wenn sie Angst haben müssen, attackiert zu werden. Wir haben zum Glück nicht die Situation wie in den USA, wo einer nur in die Tasche greifen muss, und der andere schießt schon. Aber die Reaktion der Beschäftigten müssen wir schon im Auge behalten. Deshalb müssen wir gemeinsam dafür Sorge tragen, dass unsere Dienstleistungsgesellschaft nicht gefährdet wird durch solche Ereignisse, sondern dass wir wieder eine andere Kultur des Umgangs miteinander schaffen.

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