"Alles Bisherige nur Kinderkram"

Interview mit dem Zweiten Vorsitzenden des dbb Willi Russ in der Süddeutschen Zeitung von Detlef Esslinger.

 

Sind Sie froh, dass die Bahn und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) nun endlich konstruktiv miteinander verhandeln?

 

Willi Russ: Ich fürchte, die Ruhe ist trügerisch. Mag sein, dass dies auch die Absicht der Bahn ist: die Öffentlichkeit vor Weihnachten etwas einzulullen. Der Beamtenbund (DBB) aber ist hoch besorgt, dass die Stimmung Anfang Januar brutal umkippen wird. Im Vergleich zu dem, was uns dann bei der Bahn bevorstehen wird, war alles Bisherige nur Kinderkram.

 

Bitte?

 

Sie wissen, dass der DBB diesen Arbeitskampf intensiv im Hintergrund begleitet hat. Wir waren im Schulterschluss mit den Kollegen der GDL und haben auch Einfluss ausgeübt, ob weitergestreikt oder unterbrochen wird. Außerdem haben wir die GDL gedrängt, in der Vorweihnachtszeit nicht mehr zu streiken. Damit verbunden ist aber die Erwartung, dass die Bahn bis zum 17. Dezember endlich ein echtes Angebot vorlegt - ohne Vorbedingungen.

 

Das hat der Konzern doch längst getan. Was Sie "Vorbedingung" nennen, ist lediglich die Erklärung der Bahn, am Ende mit beiden Gewerkschaften zu identischen Abschlüssen zu kommen.

 

Eben nicht. Bahn-Vorstand Ulrich Weber hat gesagt, die Verhandlungen seien so zu führen, dass kollidierende Regelungen für ein und dieselbe Berufsgruppe definitiv ausgeschlossen seien.

 

Das sagt er seit Monaten.

 

Dann werden wir nicht weiterkommen. Vor wenigen Stunden hat das BundeskabiBundeskabinett den Gesetzentwurf zur Tarifeinheit beschlossen. Dies ist ohnehin der schwärzeste Tag in der Geschichte der betrieblichen Demokratie in Deutschland. Und wir werden nicht tatenlos zuschauen, wie der Bahn-Vorstand nun in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Arbeitsministerin Andrea Nahles in seinem Unternehmen die Tarifeinheit einführen will. Die GDL und wir werden da sehr phantasievoll in den Aktionen sein, und vielleicht bringen wir das Gesetz auch schon vor das Bundesverfassungsgericht, bevor es in Kraft ist. Unsere Juristen sagen, diese Möglichkeit gebe es. Denn bereits jetzt gibt es in manchen Betrieben Signale an kleinere Gewerkschaften des DBB, dass mit ihnen gar nicht mehr verhandelt werden soll, wegen der künftigen Tarifeinheit.

 

Sie glauben, der Bahnvorstand will nur Zeit schinden, bis das Gesetz in Kraft ist?

 

Anders ist sein Verhalten doch gar nicht mehr zu erklären. Der Bund ist Eigentümer der Bahn. Wenn es ihm darum ginge, diesen Konflikt zu beenden, könnte er den Vorstand ja anweisen, endlich die Vorbedingungen aufzugeben. Aber es scheint der Regierung in den Kram zu passen, die GDL in diesen inszenierten Arbeitskampf zu zwingen, den sie für ihr Gesetz gerade braucht. Die Arbeitskämpfe haben die Bahn bisher angeblich 200 Millionen Euro gekostet. So viel Geld schmeißt der Vorstand nur zum Fenster hinaus, weil er an den Seilen der Bundesregierung hängt.

 

Nochmal: Wo ist im Angebot der Bahn die Vorbedingung? Selbst GDL-Chef Claus Weselsky hat vor zwei Monaten in der SZ einem Arbeitgeber das Recht zugestanden, für ein und dieselbe Berufsgruppe identische Regelungen auszuauszuhandeln.

 

Ich führe seit Jahrzehnten Tarifverhandlungen. Und noch nie habe ich erlebt, dass mir ein Arbeitgeber penetrant erklärt: Es wird nur dann einen Vertrag geben, wenn am Ende alles auf Punkt und Komma genau identisch ist. Das kann zwar am Ende das Ergebnis sein. Aber nur, wenn es sich im Laufe der Verhandlungen so ergibt.

 

Ist es nicht einfach ein Akt der Ehrlichkeit, wenn die Bahn ihre unumstößliche Bedingung so offen formuliert?

 

Wenn sie die nicht ändert, könnte dieses Land einen der schlimmsten Arbeitskämpfe aller Zeiten erleben.

 

Noch schlimmer als die 81 Stunden vom November?

 

Die Streikrhetorik verlangt nach Steigerung. Spätestens seit 2008hat es unter den Beschäftigten eine große Wanderbewegung gegeben. Viele Zugbegleiter und Bordgastronomen sind von der EVG zur GDL gewechselt oder waren bisher in keiner Gewerkschaft und gingen dann gleich in die GDL. Jetzt sagen die zu Weselsky: Wir wollen, dass du etwas für uns tust, und nicht nur Beiträge einnimmst. Das macht er. Man hörtja immer, es gehe ihm nur um seine persönliche Macht. Dummes Zeug.

 

Es sind aber nach wie vor viel mehr Zugbegleiter in der EVG als in der GDL.

 

Und deshalb soll die GDL gar nicht erst für die eigenen Leute verhandeln dürfen? Sie wollen wohl, dass wir uns auf die Intention des Tarifeinheits-Gesetzes einlassen. Das werden wir niemals tun.

 

Werden Sie eigentlich gegen die Bahn streiken oder gegen den Gesetzgeber?

 

Natürlich gegen die Bahn. Wir werden doch nicht zu einem politischen Streik aufrufen. Aber ob die Bahnüberhaupt die Herrin über ihre eigene Position ist, das muss ten Sie mal den Bundesverkehrsminister fragen.

 

Könnte die Lokführergewerkschaft freundlicherweise mal so streiken, dass sie überwiegend die Bahn, nicht aber die Bahnfahrer trifft?

 

Wenn Lokführer und Zugbegleiter streiken, treffen sie zwangsläufig die Kunden.

 

Wir hätten da eine Idee.

 

Ja, sagen Sie mal.

 

Sie könnte auf Streiks im Nahverkehr verzichten. Die Monatskarten der Kunden sind jeweils alle bezahlt. Der Bahn kann also ein Streik dort relativ egal sein - den Kunden aber nicht.

 

Okay. Nehm' ich mal mit und geb' das weiter. Die GDL hat ja auch nicht vor, von Februar bis Mai zu streiken. Das würde dieses Land nicht überleben.

 

Die Streikkasse des DBB auch nicht. Ausdem werden die Streiks finanziert

 

Am Geld, das sag' ich Ihnen ganz klar, wird dieser Streik nicht scheitern. Es geht hier um eine existenzielle Frage. Das schweißt alle Gewerkschaften im Beamtenbund zusammen. Da wackelt keiner einen Millimeter.

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