»Wir werden wieder das Florett kreuzen« - Interview mit dbb Chef Klaus Dauderstädt im Schwarzwälder Boten vom 8.12.2014

Bahnfahrer atmen auf. Die Lokführer wollen bis Januar nicht mehr streiken. Dafür eingesetzt hat sich auch der Vorsitzende von Beamtenbund und Tarifunion (DBB), Klaus Dauderstädt. Im Interview in Lauterbad im Schwarzwald spricht der 66-Jährige über seinen Anteil an der Streikpause, über unbesetzte Stellen und einen Gang vors Verfassungsgericht.

 

Herr Dauderstädt, die Bundesregierung hat erstmals die »schwarze Null« im Haushalt beschlossen. Es sollen keine neuen Schulden aufgenommen werden. Können Sie als Vorsitzender des Beamtenbundes sich darüber freuen?

 

Klaus Dauderstädt: Wir betrachten die Verschuldungssituation der öffentlichen Hände als eines der größten Probleme unserer Gesellschaft. Es sind über Jahrzehnte hinweg im blinden Vertrauen darauf, dass die zukünftigen Generationen das schultern können, immer neue Kredite aufgenommen worden. Wir haben deswegen schon vor Jahren angeregt, die Schulden von Bund, Ländern und Kommunen in einem Altschuldenfonds zusammenzulegen und das Problem gemeinsam zu lösen. Wir sind uns bewusst, dass es hierbei verfassungsrechtlich hohe Hürden gibt. Es ist gut, wenn es jetzt durch die Schuldenbremse eine Perspektive gibt, Haushalte zu machen, ohne Neuaufnahme von Krediten.

 

Sie bemängeln, dass im öffentlichen Dienst 170.000 Stellen besetzt werden müssten. Mit Sparpolitik wird es da aber kaum Verbesserungen geben.

 

Wir sehen sogar 700.000 freie Stellen in den nächsten 15 Jahren, die nicht besetzt werden könnten. Das wäre dramatisch und würde die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes gefährden. Ist der Staat stark verschuldet, tut er sich schwer, die Arbeits- und Bezahlungsbedingungen für seine Beschäftigten zu verbessern. Diesen Zusammenhang sehen wir natürlich auch für die Zukunft: Hier muss die Politik abwägen: Was ist wichtiger? Für welche Aufgaben geben wir unser Geld aus? Und da sehen wir, dass den Staatsaufgaben, die der öffentliche Dienst erledigen muss, leider nicht ausreichend Priorität zugebilligt wird.

 

Sehen Sie dennoch Möglichkeiten, Verbesserungen herbeizuführen?

 

Sparen heißt immer, sich den gesamten Haushalt anzugucken. Und dann ist es eben eine Güterabwägung. Brauche ich einen neuen geteerten Fahrradweg oder will ich lieber mehr Polizei haben, damit bei mir nicht eingebrochen wird? Das müssen die Bürger definieren. Diesen Bürgerwillen müssen die Politiker wahrnehmen und entsprechend in den Haushalten umsetzen.

 

Sparpolitik ist auch in Baden-Württemberg angesagt, wodurch die Stimmung zwischen dem Beamtenbund und Grün-Rot angespannt angespannt ist. Der DBB Landesverband hatte sogar überlegt, seine Mitglieder anzuschreiben, möglichst Grün-Rot abzuwählen. Wie bewerten Sie die Lage?

 

Wir mischen uns erstens nicht in die Tagespolitik auf Landesebene ein. Und zweitens gibt der DBB seinen Mitgliedern keine Empfehlung ab, welche Partei zu wählen ist. Aber wir sehen schon, dass Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes bitter enttäuscht sind, wie Kretschmann und die jetzige grün-rote Regierung mit dem öffentlichen Dienst umgegangen sind. Es ist ein gefährliches Zeichen, wenn der Staat seine Verpflichtung nicht erfüllt, den Beamten eine angemessene Bezahlung zu bieten. Ich verstehe, dass die Maßnahmen, die getroffen worden sind, wie die Absenkung der Eingangsbesoldung oder die Verschlechterung der Beihilfe, auf Widerspruch und Widerstand stoßen. Dass wird sich sicher auch im Wahlverhalten auswirken. Beamte haben ein langes Gedächtnis.

 

Ein weiteres Streitthema ist die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren, die nicht auf Beamte übertragen werden soll. Wo Pensionäre gegenüber Rentnern doch sonst Vorteile genießen: Warum wollen Sie diesen Unterschied nicht in Kauf nehmen?

 

Das sind zwei Paar Schuhe. Natürlich ist es richtig, dass die durchschnittliche Pension etwa drei Mal so hoch ist wie die durchschnittliche Rente. Dafür gibt es Gründe: Die Beamten haben in aller Regel eine lebenslange Beschäftigung. Dreiviertel der Beamten haben eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung. Bei den Rentenversicherten ist dieser Anteil viel niedriger. Und die Arbeitnehmer, die eine vergleichbare Ausbildung haben, verfügen meist über eine Zusatzversorgung, die man zur Rente dazurechnen muss. Und dann kommt man in vergleichbare Größenordnungen wie bei den Pensionen. Außerdem hat man über Jahrzehnte hinweg Verschlechterungen in der Rente auch auf die Beamten übertragen. Also die Anhebung der Altersgrenze in Richtung 67 Jahre oder die Absenkung des Versorgungsniveaus von 75 auf 71,75 Prozent der letzten Bruttobezüge. Wenn jetzt mal etwas Positives kommt wie die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren mit 63 oder auch die Mütterrente, die verbessert worden ist, dann können wir nicht einfach so tun, als wären die Beamten jetzt nicht mit dabei. Entweder man macht generell wirkungsgleiche Übertragung oder man lässt es ganz. Wir sagen, das muss man parallel vollziehen, bei negativen und positiven Entwicklungen.

 

Viele Beamte, die 45 Dienstjahre aufweisen können, wird es kaum geben.

 

Dessen sind wir uns bewusst, eben wegen der Ausbildungen an Fachhochschulen. Außerdem haben wir zugegebenermaßen im Vollzugsdienst, bei der Polizei oder Feuerwehr Möglichkeiten, wegen der hohen Belastung früher in den Ruhestand zu gehen. Da gibt es unterschiedliche Voraussetzungen. Um die zu berücksichtigen, plädieren wir ja nicht für eine Eins-zu-eins-Übertragung, sondern für eine systemkonforme Lösung.

 

Wie sehen Sie die Aussichten auf Erfolg?

 

Es ist sehr schwer, das muss man zugeben. Hier muss man sehen, dass die Zuständigkeit für die Beamtenversorgung nicht bundeseinheitlich geregelt ist. In der Frage der Mütterrente haben wir in Bayern eine Umsetzung erreicht. Mit dem Bund streiten wir noch. Wir haben die Hoffnung gehabt, der Bund würde das auch nachvollziehen. Nun warten viele Bundesländer ab, was der Bund macht. Wir haben unsere Forderung aber keineswegs aufgegeben. Denn wie soll ich einer Frau erklären, dass ein Kind, das sie vor 1992 geboren hat, ihre Altersversorgung nicht erhöht, nur weil sie bei der Geburt Beamtin war? Das ist paradox. Der Innenminister hat zwar jetzt erklärt, er werde dazu kein Gesetz vorlegen. Aber wir sehen uns im Januar auf unserer Jahrestagung in Bonn, und ich habe ihm schon angekündigt, dass wir da wieder das Florett kreuzen werden. Ich würde es auch aushalten, wenn Verbesserungen erst im nächsten oder übernächsten Jahr eintreten. Dann aber mit Wirkung auf die Vergangenheit.

 

Um das Thema Bahnstreik kommt man derzeit nicht herum. Wie weit darf ein Streik gehen? Immerhin war durch dessen Ausmaß sogar die Berufsgruppe der Lokführer bloßgestellt.

 

Auch als überzeugter Gewerkschafter: Streik ist immer die allerletzte Lösung. Ultima ratio, wie wir sagen. Es wurde häufig gesagt, eine kleine Berufsgruppe wie die Lokführer darf das nicht mit dem Streik. In unserer Verfassung steht, die Berufe dürfen Gewerkschaften bilden, sie dürfen streiken und kämpfen. Und die Tatsache, dass das hier ein Beruf ist, der eng vernetzt ist, mit Wirkung auf die gesamte Bevölkerung, darf dieses Recht nicht beeinträchtigen. Man darf die Arbeitnehmer in ihrer gewerkschaftlichen Betätigung nicht nach Berufsgruppen differenzieren. Was den konkreten Streit angeht, ist das deswegen schwierig, weil der Eindruck in der Öffentlichkeit erweckt wurde, der GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) ginge es nur um die Expansion in andere Berufsgruppen auf Kosten der gewerkschaftlichen Konkurrenz. Das ist aber eine falsche Betrachtungsweise.

 

Sie kommen auf die geplante Tarifeinheit zu sprechen, die das Bundeskabinett in der nächsten Woche beschließen soll.

 

Dieses Gesetz ist Hintergrund für die Auseinandersetzung bei der Bahn. Demnach soll, wenn es in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften gibt, nur noch der Tarifvertrag der größeren zur Anwendung kommen. Sie können sich vorstellen, dass die EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft) von den Gesamtmitgliederzahlen im Bahnkonzern größer ist, weil sie nicht nur Lokführer organisiert, sondern die ganze Berufspalette der Bahn vor sich hat. Wenn dann gezählt würde, wäre logischerweise die GDL die kleinere Gewerkschaft. Nun ist die Frage: Was ist ein Betrieb? Wir haben eine Regelung, die die Eisenbahn in ein Verkehrs- und in ein Infrastrukturunternehmen teilt, dazu gehören Werkstätten und der Servicebereich. Im Verkehrsunternehmen möchte die GDL nun, vorsichtig wie sie ist, lieber die stärkere Gewerkschaft sein. Das kann sie mit den Lokführern alleine nicht. Viele Bahn-Mitarbeiter wie Schaffner, Servicepersonal oder Lokführer sind der GDL auch zugelaufen, wenn man das so sagen darf, weil sie die GDL für eine erfolgreiche Gewerkschaft halten und ihre Interessen von ihr wahrgenommen sehen möchten. Da geht es nicht um angestrebte Expansion. Die Kollegen sind schon bei der GDL. Die Bahn hat hier lange jede Verhandlung verweigert.

 

Das klingt nicht, als gebe es eine baldige Lösung.

 

Inzwischen hat die Bahn eingelenkt und ist bereit, auch für die Zugbegleiter und für die weiteren Personengruppen der GDL zu verhandeln. Ich muss zugeben, dass daran die Dachorganisation der GDL, der DBB, nicht ganz unschuldig war. Ich habe der Bahn Methoden vorgeschlagen, wie man mit konkurrierenden Gewerkschaften über dieselbe Personengruppe parallel verhandeln kann, und Ansprechpartner von Arbeitgeberseite vermittelt. Wir machen das in einigen Bereichen des öffentlichen Dienstes nämlich jetzt schon. Auch bei der Bundesbank, der Agentur für Arbeit oder in der Sozialversicherung ist das Praxis.

 

Daher hat die GDL also angekündigt, bis Mitte Januar nicht mehr zu streiken?

 

Das ist korrekt, aber noch nicht stabil. Die Bahn muss sich wirklich noch bewegen, weil sie in ihren Bedingungen bisher noch sehr hart ist. Ich habe erheblichen Einfluss auf die GDL ausgeübt, vor Weihnachten nicht nochmal zu streiken. Ich bin dankbar, dass die GDL das auch so beschlossen hat. Eigentlich stünde diese Woche wieder ein Streik an. Aber die GDL bleibt im Verhandlungsmodus und sagt dem Bahnvorstand nochmal ultimativ: Du musst dich in den Kernfragen bewegen. Sonst haben wir im Januar wieder Streik.

 

Und der soll drastischer als der bisherige ausfallen.

 

Es liegt in der Natur von Arbeitskampf, dass die nächste Stufe eskalieren muss. Das gehört zum Geschäft. Wir haben eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Frankfurt, dass die bisherigen Arbeitskämpfe nicht unverhältnismäßig waren. Bedauerlich ist aber, dass die Politik nur zusieht. Die Bahn ist ein Staatsunternehmen. Ich hätte erwartet, dass die Regierung sich überlegt, ob die absurde Weigerung des Bahn-Vorstands, mit einer Gewerkschaft für deren Mitglieder Tarifverhandlungen zu führen, unter die Lupe genommen würde und gesagt wird: Herr Grube, Herr Weber, bewegen sie sich mal ein bisschen.

 

Die angesprochene Tarifeinheit sehen viele Gewerkschaften als verfassungswidrig an. So auch der Beamtenbund. Sie planen einen Gang vor das Bundesverfassungsgericht.

 

Mit dem Gesetz erfolgt ein massiver Eingriff ins Streikrecht. Die Wirkung wäre, dass die Mitglieder kleinerer Gewerkschaften rechtlos sind. Auch würde es keine Konkurrenzgewerkschaften mehr geben. Das kann sich keine Gewerkschaft gefallen lassen. Außerdem wäre es schwer zu ermitteln, welche Gewerkschaft im Betrieb die größere ist. Immerhin hat der Arbeitnehmer das Recht, seine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft zu verschweigen. Im öffentlichen Dienst stellt sich auch die Frage: Was ist eigentlich ein Betrieb? Zählt das bundesweit als Einheit, oder doch jedes Amt und jede Schule für sich? Wir werden daher sehr schnell nach Inkrafttreten des Gesetzes nach Karlsruhe (vor das Verfassungsgericht) gehen. Gerade stimmen wir über dieses Vorhaben mit anderen Gewerkschaften ab.

 

Die Fragen stellte Andreas Hennings.

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