„Der ärztliche Dienst wäre mit Ebola überfordert“ - Interview mit dem Handelsblatt vom 06.10.2014

Tausende Stellen im öffentlichen Dienst sind unbesetzt. Der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes spricht im Interview über nötige neue Anreize für junge Menschen, um den Staatsdienst attraktiver zu machen.

 

Klaus Dauderstädt ist Chef des Gewerkschaftsdachverbandes dbb Beamtenbund und Tarifunion. Im Interview kritisiert er die mangelhafte Personalpolitik im Öffentlichen Dienst.

Der unkündbare und bestens abgesicherte Beamte ist sprichwörtlich. Warum findet der öffentliche Dienst keinen Berufsnachwuchs mehr?

Ganz einfach, weil viele junge Leute feststellen müssen, dass es in der Privatwirtschaft zum Teil bessere Arbeitsbedingungen und vor allem mehr Geld gibt. Deshalb zieht der öffentliche Dienst als Arbeitgeber im Wettbewerb um Berufsnachwuchs immer häufiger den Kürzeren.

Bei der Bezahlung verweisen Bund Länder und Kommunen aber schnell auf leere Kassen und die Schuldenbremse.

Die Spielräume sind hier tatsächlich begrenzt. Wenn ein privater Arbeitgeber merkt, dass er den begehrten Ingenieur, Arzt oder IT-Fachmann nicht bekommt, dann legt er im Zweifel noch einen Tausender drauf. Das kann die Kommunalverwaltung, die Sozialversicherung oder das Finanzamt nicht.

Was also tun?

Wir brauchen eine Debatte darüber, was wirklich wichtig ist für den Staat. Auf der Ausgabenseite lassen die Schuldenbremse und Tilgungs- und Zinszahlungen wenig Raum. Aber auf der Einnahmenseite sieht es derzeit bei den Steuereinnahmen ja gut aus. Das ist eine Herausforderung für die Politik, sie muss entscheiden, wofür sie dieses Geld ausgeben will.

In Nordrhein-Westfalen hat das Landesverfassungsgericht gerade die von der Regierung geplante Nullrunde für Beamte gekippt. Ein wichtiges Signal?

Wir glauben, dass das Resultat einer Einkommensrunde, das wir am Tariftisch unterschreiben, die Inflation und die wirtschaftliche Lage berücksichtigt und die Teilhabe der Beschäftigten sichert. Wenn sich Länder dann entscheiden, davon abzuweichen, wie wir das im vergangenen Jahr außer in Bayern und Hamburg nahezu flächendeckend erlebt haben, dann müssen sie sich bewusst sein, dass jede Abweichung die Attraktivität des öffentlichen Dienstes schmälert. Die Staatsverdrossenheit, die heute schon bei Richtern, Staatsanwälten, in der Lehrerschaft, den Finanzverwaltungen und vielen anderen Dienststellen zu beobachten ist, ist alarmierend. Denn Staatsverdrossenheit entsteht, wenn Beschäftigte sich von ihrem Dienstherrn nicht mehr angemessen wahrgenommen und respektiert sehen.

Union und SPD versprechen Abhilfe und versprechen im Koalitionsvertrag „eine demografievorsorgende Stellen- und Personalpolitik und „moderne, attraktive und familienfreundliche Arbeitsbedingungen“ im öffentlichen Dienst …

Das liest sich gut, aber wir müssen diese Schlagworte auch mit Leben erfüllen. Das ist nicht allein Sache des Gesetzgebers, auch die Dienststellenleitungen in den Verwaltungen, die Personalvertretungen, Betriebsräte und wir als Gewerkschaft sind gefragt.

Wie wollen Sie aktiv werden?

Viele junge Leute wollen als Arbeitnehmer nicht nur den Gewinn anonymer Aktionäre mehren, sondern eine wichtige Rolle in der Gesellschaft übernehmen. Wir müssen noch mehr vermitteln, dass sie dann im öffentlichen Dienst gut aufgehoben sind. Dazu dient unsere Nachwuchskampagne „Die Unverzichtbaren“. Wir haben sie unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel gestartet, obwohl es ja eigentlich Sache der Arbeitgeber ist, für ausreichend Berufsnachwuchs zu sorgen.

Nur mit Broschüren und Internetportalen wird sich der Nachwuchsmangel aber kaum beseitigen lassen …

Richtig. Wer sich dann für den öffentlichen Dienst entscheidet, muss auch die Chance haben, sich dort zu verwirklichen. Wir müssen die Arbeitsbedingungen verbessern. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt es im öffentlichen Dienst größere Gestaltungsspielräume als in mancher Privatfirma. Wir können über Telearbeit nachdenken, aber auch über Lebensarbeitszeitkonten.

Nun wird angesichts des demografischen Wandels ja nicht nur das Fachkräftereservoir kleiner, auch die Bevölkerung schrumpft. Brauchen wir öffentliche Dienstleistungen noch in dem Maße, wie Sie sie einfordern?

Es gibt ja keinen linearen Zusammenhang zwischen sinkender Bevölkerungszahl und der Ausstattung des öffentlichen Dienstes. Selbst wenn in einem Stadtviertel in zehn Jahren vielleicht zehn Prozent weniger Leute wohnen als heute, brauchen Sie dennoch eine funktionierende Polizei oder Feuerwehr. Sicher kann man fragen, ob es richtig ist, jede Grundschule auf dem platten Land zu erhalten. Aber auf der anderen Seite fehlen schon heute zehntausende Fachkräfte in den Kitas und im vorschulischen Erziehungsbereich. Wir wähnen uns in einem Sozial- und Rechtsstaat mit hohem Sicherheitsniveau, aber an vielen Stellen sind schon Lücken da.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Schauen Sie sich die Aufrufe an, Afrika im Kampf gegen Ebola zu unterstützen. Aber lassen Sie die Epidemie mal zu uns kommen. Ist der unterbesetzte ärztliche Dienst der öffentlichen Hand darauf vorbereitet? Ich glaube nein. Das liegt daran, dass Länder oder Kommunen Ärzten nicht so viel Geld anbieten können, dass ein Job im öffentlichen Dienst für sie attraktiv wäre.

Ist das nicht ein bisschen zu viel Panikmache?

Tatsächlich hören wir häufig aus der Politik, dass es noch genug Bewerbungen gebe. Aber schauen Sie sich an, was das zum Teil für Bewerbungen sind. Meine Kollegen vom Richterbund sehen die Abkehr von der bisherigen Praxis, nur Bewerber mit Prädikatsexamen einzustellen, äußerst skeptisch, weil das Niveau in der Justiz sinken wird. Ähnliches gilt für die Polizei oder den Schuldienst. Das ist das Gegenteil von dem Maßstab, den wir im öffentlichen Dienst eigentlich setzen wollen, und widerspricht dem, was die Bürger von ihrem öffentlichen Dienst zu Recht erwarten dürfen.

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