Gespräch mit Europa-Staatsminister Gunther Krichbaum
Nicht mehr Zuschauer am Spielfeldrand
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Gunther Krichbaum ist der neue Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Hier spricht er über die künftige deutsche Europapolitik.
dbb europathemen: Was ändert sich mit der neuen Bundesregierung an der deutschen Europapolitik?
Krichbaum: Deutschland stand in den letzten Jahren bei europapolitischen Entscheidungen aufgrund der Uneinigkeit der Ampel leider viel zu oft als Zuschauer am Spielfeldrand. Schon die ersten Tage nach dem Amtsantritt von Friedrich Merz haben gezeigt, dass sich das ändern wird. Die Europapolitik wird zu einer Priorität der Bundesregierung werden.
Unsere europäischen Partner erwarten von Deutschland als der größten Volkswirtschaft Europas, dass wir Initiative zeigen und zugleich daran arbeiten, Europa zusammenzuhalten. Friedrich Merz hat seinen politischen Weg im Europaparlament begonnen und er weiß, welch große Bedeutung die enge Abstimmung mit unseren Partnern in allen Hauptstädten hat, gerade auch in jenen der kleineren Mitgliedstaaten. Und unser Ziel ist es zudem, dass das in Brüssel berüchtigte „german vote“, also die Stimmenthaltung Deutschlands in den Ratssitzungen, der Vergangenheit angehört. Wenn wir Deutschlands Interessen in Brüssel kraftvoll vertreten wollen, müssen wir auch Farbe bekennen. Sonst werden wir weiterhin nicht ernst genommen.
dbb europathemen: Welche Bedeutung hat das Weimarer Dreieck für die Zukunft Europas?
Krichbaum: Im Weimarer Dreieck, also gemeinsam mit Frankreich und Polen, werden wir die enge Abstimmung zu allen relevanten Fragen der Europapolitik künftig sehr viel stärker suchen, um im Dienst der ganzen EU geeinter zu handeln. Dabei geht es nicht darum andere Länder auszuschließen. Vielmehr wollen wir mit „Weimar plus“ auch weitere Länder einbinden. Das Weimarer Dreieck ist aber sehr viel mehr als nur eine Initiative zur politischen Zusammenarbeit. So bekennen wir uns im Koalitionsvertrag dazu, das Dreieck um eine Wissenschaftsplattform zu erweitern, um die Zusammenarbeit in der Wissenschaft gerade mit Mittel- und Osteuropa auszuweiten.
dbb europathemen: Wird es möglich sein, die europäische Sicherheit gegenüber Russland mit allen 27 EU-Mitgliedstaaten herzustellen? Braucht es unterschiedliche Geschwindigkeiten der Integration?
Krichbaum: Wir Europäer leiden leider häufig an einer Selbstunterschätzung, weil wir der Meinung sind, wir könnten gegen andere globale Akteure nicht bestehen. Aber Europa ist wirtschaftlich und politisch sehr viel stärker, als wir selbst oft meinen und wird gerade im asiatischen Raum als verlässlicher, berechenbarer und wertebasierter Partner geschätzt. Der russische Überfall auf die Ukraine hat gezeigt, dass ein einiges Europa, das gemeinsam handelt und sich nicht auseinanderdividieren lässt, ernst genommen wird. Das muss man auch in Ungarn und in der Slowakei als Mehrwert verstehen.
Angesichts der Ungewissheit über den weiteren transatlantischen Kurs der USA ist es daher von größter Bedeutung, dass wir die Verteidigung unserer Freiheit und unserer Art zu leben, sehr viel stärker selbst in die Hand nehmen. Dabei ist eine enge Zusammenarbeit mit Großbritannien wichtig, das trotz des Brexits ein verlässlicher Partner geblieben ist, gerade bei der Unterstützung der Ukraine.
dbb europathemen: Welche Rolle spielt der deutsche öffentliche Dienst für die europäische Zusammenarbeit? Welche Bedeutung haben besonders Beamtinnen und Beamte für die Verteidigung der Demokratie in Europa?
Krichbaum: Unsere Demokratie steht unter großem Druck – von außen und auch von innen. Loyale Beamte, die in ihrer täglichen Arbeit die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigen und fördern, sind für unsere Demokratie von größter Bedeutung. Ich habe am 6. Mai das Amt als Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt übernommen und konnte mich bereits jetzt schon von der beeindruckend hohen Qualität, der unermüdlichen Einsatzbereitschaft und dem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein der dortigen Beamten persönlich überzeugen. Deshalb kann ich mit den ständigen Neiddebatten, beispielsweise hinsichtlich der Pensionen, nichts anfangen. Aber unser Staat muss auch reagieren, wenn sich Beamte in extremistischen Parteien aktiv für eine Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einsetzen. Dies können wir nicht einfach laufen lassen, sondern wir alle müssen wachsam sein.
dbb europathemen: Was sind Ihre persönlichen europapolitischen Schwerpunkte?
Krichbaum: Die Wiederbelegung des Weimarer Dreiecks ist mir persönlich ein großes Anliegen und meine erste Auslandsreise führte mich zu einem Doppelbesuch in Paris und Warschau. Zudem müssen wir die Entwicklungen in den Staaten des Westlichen Balkans sehr viel genauer begleiten. Die Menschen in diesen Ländern brauchen eine klare europäische Perspektive, damit dort nicht andere Mächte ihren Einfluss steigern können. Der Westbalkan darf kein Vorhof Chinas, Russlands oder der Türkei werden – wir haben ein klares geostrategisches Interesse, die Region erfolgreich in die EU zu integrieren.