• dbb dialog zur Zukunft Europas

dbb dialog zur Zukunft Europas

Handlungsfähige EU durch klare Zuständigkeiten

Digitalisierung, Klimaschutz, Sicherheitspolitik: Der dbb plädiert für eine föderale Ordnung Europas, in der die großen Themen der Zeit auf oberster Ebene angesiedelt sind.

Europa

„Für die dominierenden Fragen, denen wir uns heute konfrontiert sehen, braucht es mehr Europa“, betonte dbb Chef Ulrich Silberbach im dbb dialog am 3. Mai 2021, der sich der vom französischen Präsidenten Emanuel Macron ausgerufenen ‚Konferenz zur Zukunft Europas‘ widmete. „Gerade Herausforderungen, die die Nationalstaaten alleine nicht hinreichend bewältigen können“, fuhr der dbb Bundesvorsitzende fort, „erfordern eine verstärkte europäische Zusammenarbeit.“

Als Beispiel nannte Silberbach die äußere und innere Sicherheitspolitik. „Terroristische Gefahren oder organisiertes Verbrechen etwa können wir nur wirksam bekämpfen, wenn die Sicherheitsbehörden Europas gut zusammenarbeiten“, erklärte der dbb Chef. Ganz zu schweigen von geopolitischen Konflikten, die sich derzeit in unmittelbarer Nachbarschaft Europas entzündeten. Silberbach: „Wenn die EU hier nicht mit einer Stimme spricht, werden die Interessen der einzelnen Nationalstaaten im Zweifel nicht gehört.“

Auch die digitale Verwaltung müsse mit einer europäischen Cloud und Bürger ID zusammengedacht werden. „Hier geht es um die digitale Souveränität Europas, das derzeit noch von externen Anbietern abhängig ist“, so der dbb Chef, der sich an anderer Stelle hingegen explizit gegen ein kleinteiliges EU-Management ausspricht. „Wie genau etwa die soziale Sicherheit organisiert wird, muss bürgernah und demokratisch vor Ort entschieden werden“, sagte Silberbach. Entscheidend sei eine gut funktionierende föderale Ordnung, in der die Verantwortlichkeiten klar benannt sind, schloss er. „Hier können wir übrigens einiges aus den Fehlern des deutschen Föderalismus lernen.“

Herrmann: Fokus auf Jugendarmut und Klimawandel

Die Vorsitzende der dbb jugend, Karoline Herrmann, forderte von den Verantwortlichen einen stärkeren Fokus auf drängende Themen wie die immer noch grassierende Jugendarbeitslosigkeit in weiten Teilen des Kontinents und den Klimawandel. „Wir lassen zu viele Kinder und Jugendliche zurück“, betonte Herrmann. Ein Schlüssel für mehr soziale und politische Teilhabe liege in einem besseren Zugang zur Bildung. „Wir brauchen dringend besser ausgestattete Schulen und Universitäten“, so die Chefin der dbb jugend. „Auch die Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte müssen sich dramatisch verbessern, damit eine individuellere Betreuung und Förderung möglich ist.“

Bei der Bekämpfung der globalen Erwärmung sieht Herrmann die EU auf einem guten Weg. Das übergeordnete Ziel des Green Deal, die Netto-Emissionen von Treibhausgasen in der Europäischen Union bis 2050 auf null zu reduzieren und somit der erste klimaneutrale Kontinent zu werden, sei ein positives Beispiel, wie aktuelle Herausforderungen angegangen werden können. „Nun müssen diese Zielvorgaben mit konkreten Maßnahmen unterlegt werden“, forderte sie. „Auch hier erhoffen wir uns Impulse von der Zukunftskonferenz.“

Darüber hinaus müssten Jugendliche besser beim Übergang von der Schule in den Beruf unterstützt werden. „Die bestehenden Programme aus im ESF müssen gerade jetzt gestärkt werden“, so Herrmann, „sonst muss die junge Generation die Krise am Ende doppelt ausbaden.“

Bentele: Reform der europäischen Union braucht einen langen Atem

Hildegard Bentele (MdEP CDU), Mitglied im Entwicklungsausschuss sowie im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie des EU-Parlaments, beklagte merkliche Demokratiedefizite innerhalb der EU: „Die Integrationskräfte müssen wieder wirken.“ Als große Chance bezeichnete die Politikerin, die auch Entwicklungspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Gruppe, Vize-Koordinatorin der EVP im Entwicklungsausschuss sowie Vize-Vorsitzende der EVP-Arbeitsgruppe Auswärtige Angelegenheiten ist, das Projekt „Green Deal“, dessen Klimaschutzprogramme Europa wieder zusammenschweißen könnten. Zusammen mit den Innovationen durch Digitalisierung und Konjunkturprogramme, die „quasi als Nebenprodukte der Pandemie“ für weiteren Innovationsschwung sorgen, könne im Rahmen der EU-Zukunftskonferenz ein „historischer Schritt“ gemacht werden.

Weiter bedürfe es dafür aber auch mehr Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger der EU: „Wir Politiker dürfen nicht nur in unseren Institutionen denken, wir müssen wieder mehr auf die Menschen hören.“ Auch dafür sei die Zukunftskonferenz als Bürgerdialog eine Chance. Im Ergebnis wäre es wünschenswert, „dass der Bürgerwille in Europa stärker zur Geltung gelangt. Europapolitik sollte mehr von Bürgerinnen und Bürgern gemacht werden.“ Das erfordere allerdings entsprechende Änderungen in den europäischen Verträgen.

In Bezug auf Städtepartnerschaften, die im Laufe der Jahre etwas eingeschlafen sind, konnte sich Bentele vorstellen, die neuen digitalen Formate besser zu nutzen, um diese neu zu beleben und in die Zukunftskonferenz zu integrieren. Das sei auch in Sachen Bürgerbeteiligung eine gute Idee.

Damit die Empfehlungen der Zukunftskonferenz am Ende in konkrete Politik münden, müsse es auch in den Nationalstaaten ein Lobbying für den Kongress geben, wobei der EU-Rat ebenso einzubeziehen sei wie die Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten. „Das wird ein politischer Marathonlauf“, so Bentele, denn für eine mögliche Reform der europäischen Union brauche es einen langen Atem. „Dafür müssen alle Kräfte mobilisiert werden, die die EU zusammenhalten wollen, um den nötigen Druck aufbauen.“

Auf die Frage nach der bildungspolitischen Dimension europäischer Politik räumte Bentele ein, dass es diesbezüglich bisher wenige Kompetenzen gebe: „Wir müssen noch daran arbeiten, auch Bildungspolitik stärker in den europäischen Kontext zu rücken“. Beim Querschnittsthema Bildung müsse Europa als zusätzliche Ebene, auf der Politik gemacht werde, eigentlich immer mitgedacht werden, was zum Beispiel die Anerkennung von Abschlüssen und die Zukunftschancen der jungen Generation betrifft. „Absolut wichtig sind darüber hinaus Austausch und Sprachen. Alle Jugendlichen müssten eigentlich einmal an einem europäischen Austauschprogramm teilnehmen“, sagte Bentele und forderte dafür entsprechende Investitionen und darüber hinaus Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit im Hinblick auf Staatsschulden.

Nienaß: Europa-Parlament braucht ein Haushalts-und Initiativrecht

„Wir sind uns fraktionsübergreifend einig sein, dass die sich Zukunft Europas nicht ohne Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger gestalten lässt - auch wenn das ein ehrgeiziges Unterfangen ist, weil wir für diesen Prozess ein Jahr Zeit haben“, machte Niklas Nienaß von Bündnis 90/Die Grünen deutlich, der seit Juli 2019 Abgeordneter im Europäischen Parlament ist. „Wir haben den Dialog zur Zukunft Europas am 19. April 2021 begonnen. Auf der digitalen Plattform können sich alle einbringen, und tun dies auch – aber leider noch nicht in der Masse, die wir uns erhoffen“, bedauerte Nienaß. Die Zukunft Europas gehe alle an, nicht nur einen kleinen Zirkel von politisch Interessierten. „Derzeit haben sich auf der Website allerdings in der Mehrheit Deutsche, Franzosen und Italiener registriert, darunter zu zwei Dritteln Männer. Dieser Kreis muss sich dringend erweitern. Wenn genug Leute mitmachen, kommen auch antieuropäische Staaten wie zum Beispiel Ungarn und Polen nicht darum herum, den Willen ihrer überwiegend proeuropäischen Bevölkerung umzusetzen.“ Im Gegenzug müssten die europäischen Parlamentarier noch stärker bekräftigen, dass sie Veränderungen wirklich umsetzen und dem Bürgerwillen folgen wollen, räumte Nienaß ein.

Für Bevölkerungsgruppen ohne Digitalkompetenz seien unter anderem Bürgerforen als Präsenzveranstaltungen geplant, berichtete Nienaß: „In diese so genannten Agoren werden auch Teilnehmer hineingelost, um der Zusammensetzung der Gesellschaft Rechnung zu tragen.“ Die Ergebnisse dieser Agoren würden dann in den digitalen Dialog eingespeist. Er hoffe, dass die Menschen so europaweit miteinander ins Reden kommen.

„Wir sollten auch erreichen, dass wir mehr Kompetenzen in der EU für Bildung, Kultur und Jugendarbeit bekommen“, sagte Nienaß, der den parlamentarischen Ausschüssen für Regionale Entwicklung sowie Kultur- und Bildung angehört. Schließlich wollten alle Europäer eine gute Bildung für ihre Kinder. „Eine europäische Jugend-und Bildungsarbeit braucht Mindeststandards, die auch überwacht werden. Ich halte es deshalb für sehr sinnvoll, in Bildung und Umwelt zu investieren. Wenn wir als Europa in Zukunft unseren Kindern etwas mitgeben können, gehört dazu auch die Klärung der Frage, welche Rolle Europa in der zukünftig in der Welt einnehmen soll. Dazu muss der Euro eine Leitwährung der Welt werden. Dafür lohnt es sich aus meiner Sicht auch, Schulden zu machen, um Euro-Anleihen auszugeben. Und das wiederum kann nur die EU.“

Ob die Konferenz zur Zukunft Europas zum Erfolg wird, wusste auch der grüne Europarlamentarier nicht vorauszusagen. Er persönlich sei großer Unterstützer der Idee der europäischen föderalen Republik, bezweifle jedoch, dass man soweit vorankomme, um die Verträge entsprechen zu ändern, sagte Nienaß. Als näherliegendes Ziel nannte er eine demokratischere Gestaltung des Spitzenkandiatensystems und er halte es für überfällig, dass das Europa-Parlament als Vertretung der Bevölkerung endlich ein Haushalts- und Initiativrecht bekommt. „Am wichtigsten wäre mir aber, wenn am Ende des Beteiligungsprozesses europaweit in den Medien verbreitet würde, dass die EU alles umsetzt, was im Bürgerdialog vorgeschlagen wurde. Dann müssten die Mitgliedstaaten der EU aber auch bereit sein, nationale Kompetenzen abzugeben. Sonst ist der Reformprozess nicht durchführbar.“

Mitschnitt der Veranstaltung

 

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