Internationaler Tag des öffentlichen Dienstes

Herausforderung Gemeinwohl: „Wir brauchen die Besten der Besten“

Besser, schneller, smarter, digitaler. So soll der öffentliche Dienst nach Vorstellung von dbb Chef Ulrich Silberbach werden.

Digitalisierung

„Wenn wir den leistungsfähigen öffentlichen Dienst in Deutschland erhalten wollen, müssen wir die wachsende Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt annehmen: Wir brauchen die Besten der Besten!“ Mit diesem Appell hat sich der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am Internationalen Tag des öffentlichen Dienstes am 23. Juni 2021 an die staatlichen Arbeitgeber gewendet. Um die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu erhalten und sich noch besser auf zukünftige Krisen vorzubereiten, müssten sie in den nächsten Jahren enorme Anstrengungen unternehmen: „Der Staat in Deutschland ist ein guter, familienfreundlicher und gemeinwohlorientierter Arbeitgeber. Das sichert auch eine gewisse Attraktivität in der Konkurrenz um die ‚besten Köpfe‘. Bei den Themen Bezahlung, technische Ausstattung und politischer Regelungswut müssen wir aber besser, schneller, smarter und digitaler werden. Das wird nicht ohne Investitionen gehen und ich kann nur sehr davor warnen, die Konsequenzen aus dem Nach-Corona-Kassensturz durch neue Sparwellen und Nullrunden im öffentlichen Dienst kompensieren zu wollen. Dann fährt das System vor die Wand.“

Mit Blick auf das vergangene Jahr zog der dbb Chef zudem eine positive Leistungsbilanz. „Die Kolleginnen und Kollegen haben während der Pandemie flächendeckend Hervorragendes geleistet und sich oft über Monate bis an die Belastungsgrenze – und darüber hinaus - ‚reingehängt‘. Der öffentliche Dienst hat die Herausforderung Gemeinwohl auch in der Krise gemeistert. Das verdient Respekt, Anerkennung und Dankbarkeit“, so Silberbach. Vor allem auch im internationalen Vergleich stehe Deutschland sehr gut da. „Natürlich sind bei dieser einmaligen und riesigen Herausforderung auch Fehler passiert und Verzögerungen eingetreten, aber – und das zeigen alle Umfragen – die Gesamtperformance der staatlichen Dienstleister hat auch Bürgerinnen und Bürger überzeugt.“

dbb dialog „Spitzengespräch Öffentlicher Dienst“ mit Bundesinnenminister Horst Seehofer

Zum Internationalen Tag des öffentlichen Dienstes setzte der dbb am 23. Juni 2021 gemeinsam mit Bundesinnenminister Horst Seehofer ein Zeichen für die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst, die in den vergangenen Monaten unter schwierigen und sich ständig ändernden Bedingungen herausragende Arbeit geleistet haben. Im digitalen dbb dialog nahmen der Bundesinnenminister und dbb Chef Ulrich Silberbach die aktuellen und künftigen Herausforderungen für einen modernen, digitalen und bürgernahen öffentlichen Dienst in den Blick.

Horst Seehofer, Bundesminister des Innern für Bau und Heimat, nutzte die Gelegenheit, um die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Deutschland ausdrücklich zu loben. „Wir werden weltweit um unseren öffentlichen Dienst in Deutschland beneidet.“ Die Corona-Pandemie sei nur die jüngste epochale Aufgabe in einer langen Reihe von Herausforderungen gewesen, die der öffentliche Dienst geschultert habe, erläuterte Seehofer und nannte Flüchtlings-, Finanzkrise und den Prozess der deutschen Einheit als Beispiele. Kritik an bürokratischer Schwerfälligkeit des Staatsdienstes wies der Bundesinnenminister leidenschaftlich zurück. „Wir müssen endlich mit der Selbstbetrachtung, dass der öffentliche Dienst ein Handicap sei, aufhören und die Ursachen für Defizite beim Namen nennen“, so Seehofer. „Da, wo es hakt, ist meistens die Politik selbst schuld.“ Wenn man beispielsweise den öffentlichen Gesundheitsdienst über Jahre krank schrumpfe, dürfe man sich dann, wenn der Mangel wie während der Pandemie offensichtlich werde, nicht beschweren, sondern müsse Lösungen finden, führte der Bundesinnenminister durchaus selbstkritisch aus. „Der Bund hat in diesem Fall schnell reagiert und Finanzmittel für 5.000 neue Stellen in den Gesundheitsämtern bereitgestellt.“ Grundsätzlich gelte, dass die Bürokratie, die allenthalben beklagt werde, in erster Linie auf die Politik selbst zurückzuführen sei. „Bürokratie entsteht durch Gesetze, und die werden immer komplizierter. Deshalb sollten wir Politiker zusehen, dass wir Bürokratie durch weniger Reglementierung abbauen. Wenn die Schuldigen immer nur die Unschuldigen beschimpfen, ist das unredlich.“
 
Besonders beeindruckt hat den Bundesinnenminister das Engagement der Beschäftigten, die während der Pandemie „an vorderster Front“ standen und stehen: „Die Menschen im Rettungsdienst, in den Krankenhäusern und Pflegeheimen, in den Test- und Impfzentren, die Einsatzkräfte auf der Straße – das sind Frauen und Männer, die man als Helden bezeichnet. Sie bringen sich ein, arbeiten durch auch in der Not, auch wenn sie öfter als je zuvor mit tödlicher Gefahr und dem Tod konfrontiert sind. Sie hatten und haben die Kraft durchzuhalten. Das ist für mich das Größte.“ Umso inakzeptabler seien die wiederkehrenden Attacken auf Beschäftigte. Die unbelehrbaren Täter müssten mit aller Härte bestraft werden, forderte Seehofer und wies darauf hin, dass der Staat selbst auch in der Pflicht sei, Maßnahmen zur Prävention zu ergreifen. Im Bereich der Polizei habe man das durch die Einstellung zusätzlicher 32.000 Kräfte getan, weil man zu der Überzeugung gelangt sei, dass Präsenz auch eine präventive Wirkung habe. Konfliktpotenzial sieht Seehofer ebenso wie dbb Chef Silberbach in sozialen und regionalen Ungleichgewichten, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden: „Da sind wir noch nicht da, wo wir hinwollen.“ Neben greifbaren strukturellen Verbesserungen müsse die Politik ihr Handeln auch besser kommunizieren, verständlicher artikulieren. „Die Bürgerinnen und Bürger müssen verstehen, was wir tun“, so der Bundesinnenminister. Dies sei wichtiger als theoretische Reformdebatten etwa mit Blick auf die föderale Ordnung

Ohnehin sollte Seehofer zufolge stets der Ansatz der Fortentwicklung und Optimierung des Bewährten gewählt werden, anstatt immer „alles auf den Kopf stellen“ zu wollen. Auch der öffentliche Dienst müsse immer wieder bereit sein, sich zu optimieren und fortzuentwickeln. Mit Blick auf die Zukunft gelte es hier insbesondere, als Arbeitgeber noch attraktiver für den Berufsnachwuchs und spezialisierte Fachkräfte wie etwa solche aus dem IT-Bereich zu werden. „Wir haben in Deutschland seit Jahrzehnten die stabilste Demokratie und den stabilsten Rechtsstaat in unserer Geschichte. Daran hat der öffentliche Dienst einen wesentlichen Anteil. Um das zu schützen, brauchen wir einen starken Staat“, betonte der Bundesinnenminister. Bei der Digitalisierung, die Teil des modernen bürgernahen Staats sei, sieht Seehofer Deutschland auf einem guten Weg, im kommenden Jahr würden alle im Onlinezugangsgesetz vorgesehenen knapp 600 Dienstleistungen der öffentlichen Hand planmäßig digital angeboten, die Versorgung mit schnellem Internet komme voran.

Aktuelle Anhaltspunkte für Sparmaßnahmen zulasten des öffentlichen Dienstes kann der Bundesinnenminister von der CSU im Unionsprogramm zur Bundestagswahl nicht erkennen. „Wir sollten jede Diskussion vermeiden, die über öffentlichen Dienst herfällt. Ich wünsche mir Klarheit, dass wir an der Struktur des öffentlichen Dienstrechtes inklusive dem Berufsbeamtentum nichts verändern.“ Bürgerversicherungs-Fantasien teilt Horst Seehofer auch weiterhin nicht – „wenn wir Sozialversicherungsbeiträge für alle Beamtinnen und Beamten zahlen müssten, wäre der Staat am Ende“, rechnete er vor.

„Wir sind stolz auf das, was unsere Kolleginnen und Kollegen in den letzten 15 Monaten unter widrigsten Bedingungen geleistet haben. Und doch hat die Corona-Pandemie wie mit einem Brennglas auch die Fehler offengelegt, die unser Gemeinwesen aufweist“, stellte dbb Chef Ulrich Silberbach im Gespräch mit dem Bundesinnenminister fest. „Jetzt müssen wir gemeinsam daran arbeiten, die Dinge sowohl für die Beschäftigten als auch für die Bürgerinnen und Bürger besser zu machen.“ Der dbb Bundesvorsitzende dankte dem Bundesinnenminister, weil sein persönliches Interesse für die Belange des öffentlichen Dienstes in der Zusammenarbeit immer spürbar und sein besonderes Augenmerk auf die Situation der Beschäftigten stets präsent gewesen seien.

„Wir konnten in der Pandemie feststellen, dass die jungen Menschen wieder mehr Interesse am Gemeinwohl entwickelt haben und der Sinn stiftenden Tätigkeit für das Gemeinwohl wieder mehr Charme abgewinnen. Das ist nicht mehr die Null-Bock-Generation der vergangenen Jahre“, bilanzierte Silberbach einen eher positiven Effekt der gesellschaftlichen Ausnahmesituation „Zu dieser neuen Achtsamkeit gehört für mich auch, dass in der Pandemie – entgegen aller Querdenker-Aktivitäten – die Kritik an der zunehmenden Gewalt gegen die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes viel stärker und lauter geworden ist“, so der dbb Chef weiter. Eine weitere wichtige Erfahrung aus den vergangene 15 Monaten sei auch der gewachsene Stellenwert, der dem Thema Digitalisierung aktuell beigemessen wird: „Die Politik hat in der Pandemie gemerkt, dass wir hier noch sehr viel besser werden müssen. Das wird Unsummen kosten, aber ich glaube, dass Wirtschaft und Staat stark genug sind, den Umbau zu vollziehen“, zeigte sich der dbb Bundesvorsitzende überzeugt. Immerhin sei die Politik durch die Pandemie in vielen Bereichen agiler geworden: „Sie hat deutlich mehr PS auf die Straße gesetzt, aber das reicht noch nicht“, machte Silberbach auch mit Blick auf den Stand der Umsetzung des Online-Zugangs-Gesetz deutlich: „Das sind noch immer nur Modellprojekte, von einer flächendeckenden Versorgung sind wir noch weit entfernt“, kritisierte er und wies auch der Zögerlichkeit des deutschen Verwaltungshandelns eine Teilschuld zu: „Wir starten immer erst, wenn wir bei 99,9 Prozent sind. In den skandinavischen Ländern, zum Beispiel in Dänemark, starten Digitalisierungsprojekte, wenn sie zu 50 Prozent bereit sind, der Rest wird nach dem Prinzip ‚learning by doing‘ vervollständigt.“ Angesichts der rund 400 Gesetze, die in der laufenden Legislaturperiode verabschiedet wurden, sei es vor allem wichtig, Abschied zu nehmen von der herrschenden „überbordenden Ausgestaltungswut der Politik, die jedes Detail regeln möchte“. Auch deshalb sei es eine Überlegung wert, „unsere föderalen Strukturen an der einen oder anderen Stelle neu zu justieren“, so Silberbach.

Auf den aktuellen Abschluss des Digital-Tarifvertrags in der Bundesverwaltung müssten nun entsprechende Regeln bei Bund und Ländern folgen, forderte der dbb Bundesvorsitzende. „Wir erwarten, dass Länder und Kommunen dem Vertragswerk beitreten oder in eigener Regie entsprechende Vereinbarungen aushandeln. Es ist bekannt, dass im öffentlichen Dienst in den nächsten Jahren über 300.000 Beschäftigte fehlen werden. Wir brauchen viele neue Leute, da ist eine moderne digitale Arbeitswelt ein gutes Argument, wenn es darum geht, die Attraktivität des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber ins rechte Licht zu rücken.“ Mit Blick auf den enormen Personalbedarf des öffentlichen Sektors infolge der demografischen Entwicklung und den Anspruch, gut genug für die Besten der Besten zu sein, stellte der dbb Bundesvorsitzende erneut klar, dass auch bei der Bezahlung „noch deutlich Luft nach oben ist: Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes stehen täglich für unsere Verfassungswerte ein. Deshalb verdienen sie eine amtsangemessene Alimentation und keine Vertröstungen. Es ist nicht akzeptabel, dass der Anspruch der Beschäftigten allzu oft von der Politik zurückgestellt wird, um andere Schaukämpfe der Arbeitswelt zu befrieden“, so Silberbach. Besonders kritisch bewertete der dbb Chef die aktuelle Lage in der exekutiven Verwaltung: Zwar müsse anerkannt werden, dass im Bereich der Sicherheitskräfte ein massiver Personalzuwachs erfolgt ist. „Aber im Bereich der Justiz klafft nach wie vor eine gewaltige Personallücke. Unsere Justizkräfte werden angesichts der Aufgaben, die sie häufig nicht in den vorgegebenen Fristen erledigen können, demotiviert. Die Gesellschaft erwartet von einem starken Rechtsstatt auch ein entschiedenes Vorgehen gegen die Clan-Kriminalität. Es darf nicht länger geduldet werden, dass sich in unserer Gesellschaft Schattenwelten etablieren. Doch das ist derzeit nicht zu leisten.“

Am Ende der Diskussion wandte sich Ulrich Silberbach mit zwei Wünschen an den Bundesinnenminister, der nach der Bundestagwahl im September in den Ruhestand gehen wird: Erstens sollte er seinem Amtsnachfolger oder seiner Amtsnachfolgerin den Aktenordner zur Arbeitszeit der Bundesbeamtinnen und Beamten ganz besonders ans Herz legen: „Damit wir hier endlich weiter vorkommen.“ Und zweitens möge er sich auch in den letzten Monaten seiner Amtszeit dafür einsetzen, „dass die Politik – auch im bevorstehenden Wahlkampf – nicht davon ablässt, jegliche Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst zu geißeln.“ Abschließend dankte der dbb Chef dem Bundesinnenminister dafür, „dass Sie immer an unserer Seite gestanden haben“.

dbb dialog zum Tag des öffentlichen Dienstes: Das Spitzengespräch
 

 

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