• 28. Europäischer Abend
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    Der dbb Bundevorsitzende Ulrich SIlberbach eröffnet den 28. Europäischen Abend, eine Kooperationsveranstaltung von dbb beamtenbund und tarifunion, Europa-Union Deutschland, der Deutsch-Britischen Gesellschaft Berlin, dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement und der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland.
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    Wohin steuert Großbritannien? Darüber diskutierten Prof. Dr. Katrin Kohl (rechts im Bild) von der University of Oxford und Sir Graham Watson, Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss. Moderation: Tanja Samrotzki.
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    Dr. Katarina Barley, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz.
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    Dr. Rupert Graf Strachwitz, Stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Britischen Gesellschaft.
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    Thomas Hacker MdB, Medienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.
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    Dr. Klaus Günter Deutsch, Bundesverband der Deutschen Industrie.
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    Rainer Wieland MdEP, Präsident der Europa-Union Deutschland.

28. Europäischer Abend

Brexit: Alles im Dunkeln

Im Juni 2016 haben die Briten in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union gestimmt. Als „vote in the dark“ („Wahl in der Dunkelheit“) wurde die Abstimmung bezeichnet, weil kaum jemand die praktischen Folgen der Entscheidung in Gänze erfassen konnte. Dass sich daran bis heute kaum etwas geändert hat, zeigte auch der 28. Europäische Abend am 23. April 2018 im dbb forum berlin.

Europäischer Abend

Mit dem formalen Austrittsgesuch der britischen Regierung an die EU am 29. März wurde der zweijährige Austrittsprozess eingeleitet. Der Europäische Abend zum Thema „Soft Brexit, Hard Brexit oder Brexit-Exit?“ war damit so etwas wie eine Halbzeitbilanz der Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien. Schon in seiner Begrüßung brachte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach das auf den Punkt, was sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung ziehen sollte: Bedauern über die „Leave“-Entscheidung. Ungewissheit bezüglich des Ausgangs der Verhandlungen. Sorge wegen der wenigen verbleibenden Zeit. „Die Brexit-Entscheidung wirft viele Fragen auf – nicht nur für die Europäische Union, sondern auch für unser Land, für seine Wirtschaft, für die Gesellschaft insgesamt“, so der dbb Chef. Die Zeit dränge, um zu guten Antworten zu kommen, denn „auch wenn Übergangsfristen ins Auge gefasst werden für die Zeit zwischen dem juristischen Wirksamwerden des Austritts und dem effektiven Verlassen des gemeinsamen Rechtsraums, bleibt nicht mehr viel Luft.“

Ein Beispiel für die Komplexität der Verhandlungen sei die Grenze zu Nordirland, so Silberbach weiter. Sie stelle Briten und Europäer vor ein echtes Dilemma. „Schon um des erfolgreichen Friedensprozesses in Nordirland willen, da ist man sich einig, darf es keine harte Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland geben. Unsere Zollbeamten im dbb wissen aber, was manch ein Brexit-Anhänger nicht zu wissen scheint: Dass man nicht gleichzeitig an einen Drittstaat angrenzen und eine offene Grenze für Waren, Dienstleistungen und Arbeitnehmer haben kann. Es sei denn, der Drittstaat wäre durch bilaterale Verträge aufs Engste mit der EU verbunden. Aber gerade das wollen die Brexiteers nicht“, führte Silberbach aus und betonte: „Offene Binnengrenzen bleiben das weltweit Besondere, das der Europäischen Union und ihren eng assoziierten Partnern vorbehalten ist. London versucht sich ganz offensichtlich an der Quadratur des Kreises. Wie die gelingen soll, ist vollkommen offen.“

„Wohin steuert Großbritannien?“

Im ersten Podiumsgespräch gingen Katrin Kohl, Professorin für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Oxford, und Sir Graham Watson, Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, der Frage nach, wie es nun im Vereinigten Königreich weitergehen könnte. Kohl zeigte sich dabei wenig optimistisch, dass es doch noch zu einem Verbleib der Briten in der EU kommen könnte. Eine zweite Abstimmung, nach dem die konkreten Bedingungen des Austritts ausverhandelt sind, sei „vorstellbar, aber ein anderes Ergebnis ist nicht garantiert.“ Einen echten Stimmungsumschwung habe es nicht gegeben und auch die Gründe für den Austrittswunsch vieler Briten seien „komplex“. So gebe es etwa in bestimmten Landstrichen keine „Tradition der Internationalität“. Das zeige, so die Sprachwissenschaftlerin, etwa das Fehlen von Fremdsprachenunterricht an den Schulen. Anderseits verstünden sich viele Briten, etwa mit indischen oder pakistanischen Wurzeln, eher als Bürgerinnen und Bürger des Commonwealth, was eine globalere und weniger eurozentristische Perspektive mit sich bringe.

Wenig Hoffnung auf einen Rücktritt vom Brexit macht sich auch Sir Graham Watson. Der Politiker, der von 1994 bis 2014 dem Europäischen Parlament angehörte, rechnet vielmehr fest mit dem Austritt. „Premierministerin Theresa May und Oppositionsführer Jeremy Corbyn sind beide keine glühenden Europäer“, gab der britische Liberaldemokrat zu bedenken. Und auch er glaubt, dass sich die Meinungen seit dem Referendum nicht grundsätzlich geändert habe, weil die Stimmung in Großbritannien „von konservativen Medien vergiftet“ und Europa deshalb „immer noch als etwas Fremdes angesehen“ werde. „Die Briten denken immer noch, sie seien das Zentrum der Welt“, so Sir Graham. „Dabei könnte der Brexit künftig sogar das Ende des Vereinigten Königreichs besiegeln.“ Denn früher oder später könnten die proeuropäischen Schotten erneut die Unabhängigkeit anstreben – um somit wieder Teil der EU werden zu können.

„Was machen wir ohne die Briten?“ 

Im zweiten Teil der Veranstaltung standen die Folgen des Brexits für Europa und Deutschland im Fokus. Katarina Barley, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, skizzierte dabei die Verhandlungsposition der Bundesregierung: Einerseits müsse es natürlich einen spürbaren Unterschied geben, ob man Teil der EU sei oder nicht. Andererseits wolle man möglichst viele Gemeinsamkeiten erhalten: „Wir haben ein vitales Interesse an einer guten Lösung“. Das „Chaospotenzial“ sei bei einem Scheitern der Verhandlungen hoch, weil der Austritt so viele Lebensbereiche betreffe, nicht zuletzt die Sicherheit. „Europa ist unser Friedensgarant nach Innen und kann das auch nach Außen sein. Andere Bündnisse wie die Nato sind dafür kein Ersatz, denn Frieden bedeutet für mich mehr als die Abwesenheit von Krieg“, so die Tochter eines Briten und einer Deutschen.

Insbesondere über die wirtschaftlichen Folgen des Brexits sorgte sich Thomas Hacker, der im Deutschen Bundestag für die Freien Demokraten Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ist. „Die europäischen Unternehmen reagieren bereits jetzt und fahren ihre Investitionen in Großbritannien zurück.“ Allerdings gebe es eine klare Bringschuld des Vereinigten Königreichs, das den Austrittsbeschluss auf den Weg gebracht habe: „Die EU ist gar nicht am Zug. Jetzt muss die britische Regierung erstmal konkrete Vorschläge machen, wie sie sich den Austritt aus der Gemeinschaft vorstellt.“

Die Unklarheit bezüglich der britischen Position kritisierte auch Klaus Günter Deutsch, Abteilungsleiter Research, Industrie- und Wirtschaftspolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI): „Es ist ja nicht so, dass wir keine Erfahrungen im Umgang mit Drittstaaten haben, die der EU zwar nicht angehören und dennoch mit ihr in regem Wirtschaftsverkehr stehen.“ Als Beispiele nannte er Norwegen und die Schweiz. „Es gibt für jedes mögliche Vertragsmodell Vorbilder. Nur wissen wir leider nicht, was die Briten wollen, sondern nur, was sie nicht wollen.“ Und die Zeit werde knapp: „Verträge mit Drittstaaten sind immer tausende von Seiten stark. Selbst wenn die britische Regierung ihre Absichten bald erklärt, bestehen inzwischen zu Recht Zweifel, ob in der verbleibenden Zeit noch ein funktionsfähiges Drittstaatenabkommen geschlossen werden kann.“ 

Stochern im Nebel 

Rupert Graf Strachwitz, Stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Britischen Gesellschaft, gab offen zu, dass er – wie viele andere Experten auf beiden Seiten des Ärmelkanals – eher ratlos sei, wie die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU aussehen werden. „Das gesamte Vertragswerk ist überhaupt nicht auf einen Austritt eines Mitgliedsstaates ausgelegt“, so Graf Strachwitz. Insbesondere sorge er sich aber um die Wissenschaft, auf die der Brexit verheerende Folgen habe werde. „Da werden wir die Briten schmerzlich vermissen“, gab der Politikwissenschaftler zu bedenken, „denn in vielen Forschungsbereichen ist Großbritannien uns um Jahre voraus.“

Obwohl auch Europa viel in den anstehenden Verhandlungen zu verlieren habe, plädierte Rainer Wieland, Vizepräsident des Europäischen Parlaments und als Präsident der überparteilichen Europa-Union Deutschland (EUD) Ko-Gastgeber des Europäischen Abends, für ein selbstbewusstes Auftreten der Europäer. Die Briten müssten vielleicht tatsächlich erst selbst herausfinden, was sie verlieren. Und, dass eine Rückkehr in die EU-Gemeinschaft teuer würde. „Der Weg zurück könnte nicht in Pfund bezahlt werden und in Inches gemessen und er würde vielleicht auch nicht auf der linken Seite der Straße erfolgen“, so Wieland mit einem Augenzwinkern.

Dass alle Beteiligten bezüglich der Frage „Soft Brexit, Hard Brexit oder Brexit-Exit?“ letztlich also doch eher im Nebel stochern, wie man in Deutschland sagt, nahm Sir Graham, gebürtiger Schotte, aber mit dem typisch britischen Humor: „Man sagte früher, dass über dem British Empire nie die Sonne untergeht. Ich glaube, das war so, weil Gott den Engländern im Dunkeln nicht traut.“

 

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Die große Transformation.

Europäische Gesellschaft(en) im Umbruch