18. Europäischer Abend: Kritische Erkundungen zu „Europa MitbeStimmen“
Herausforderungen an ein Europa der Bürgerbeteiligung waren das zentrale Thema des 18. Europäischen Abends, zu dem dbb, Europa-Union Deutschland, Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland und – erstmals dabei – das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement am 3. Juni 2013 ins dbb forum berlin eingeladen hatten. Mit rund 300 europapolitisch interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern gingen sie unter dem Motto „Europa MitbeStimmen“ durchaus kontrovers Fragen von Partizipation, staatlicher Souveränität, gesamteuropäischer Zukunft und politischer wie ökonomischer Integration auf den Grund.
Auftakt und Abschluss des Abends war eine Informationsbörse, die fortan immer einen themenbezogenen Rahmen für die Europäischen Abende bieten soll, wie dbb Bundesvorsitzender Klaus Dauderstädt zur Eröffnung ankündigte. „Europa ist nach mehreren Krisenjahren längst nicht mehr Kür, Europa ist Pflicht“, sagte der dbb Chef und fügte hinzu: „Mitbestimmen ist die Parole.“ Dies gelte unter anderem für Solvency II und sozialen Dialog. Transparenz und Rechtstaatlichkeit seien entscheidende Faktoren für eine erfolgreiche Mitbestimmung der europäischen Zivilgesellschaft. Nicht nur eine Finanz- und Wirtschaftskrise gelte es in den Ländern der Europäischen Union zu meistern, sondern auch eine Vertrauenskrise. „Wir müssen uns der Demokratieverdrossenheit gemeinsam entgegenstellen“, so Dauderstädts Appell.
Der irische Botschafter in Deutschland, Daniel Mulhall, begrüßte gleichfalls die Vertreter verschiedener Stiftungen, Netzwerke und Institute und zog eine erste, positive Bilanz der irischen EU-Ratspräsidentschaft. Zugleich würdigte Mulhall den „enormen Beitrag“, den die irischen Steuerzahler zur Bewältigung der Bankenkrise in ihrem Land geleistet hätten. Europa könne nur erfolgreich aus der Krise hervorgehen, wenn es solidarisch zusammenstehe.
Vor dem Hintergrund des Europäischen Jahres der Bürgerinnen und Bürger 2013 und ein Jahr vor der Wahl zum Europäischen Parlament müsse die Aufforderung an die Bürgerinnen und Bürger lauten „Join the debate“, sagte Viviane Reding, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und Kommissarin für das Ressort Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft in einer Videobotschaft an die Teilnehmer des Abends.
Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse („Der Europäische Landbote“) erinnerte in seinem Redebeitrag an europäische Visionen der Autoren Victor Hugo – am Vorabend des Deutsch-Französischen Krieges 1870/1871 - und Stefan Zweig – vor dem Zweiten Weltkrieg und fragte: „Wo war damals die Zivilgesellschaft?“ Politische Partizipation setze Öffentlichkeit voraus, Bürger müssten Informationen über europapolitische Entwicklungen energischer einfordern, so Menasse.
Praktische Fortschritte der europäischen Politik wie etwa die „Jugendgarantie“, aber auch Defizite in der schulischen Vermittlung europäischer Themen, das so genannte Europa-Bashing, vor allem aber eine stärkere soziale Ausrichtung der EU als „Kern der Idee“ waren Themen der Podiumsdiskussion mit Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied im Präsidium der Europa-Union Deutschland; Thomas Mann MdEP, stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten im Europäischen Parlament; Autor Robert Menasse, Conny Reuter, Generalsekretär SOLIDAR und langjähriger Präsident der Social Platform; sowie Rainer Wend, Präsident des Netzwerks Europäische Bewegung Deutschland.
Bundestagspräsident Norbert Lammert, der in seiner Rede Stichworte aus der Podiumsdiskussion aufnahm, zeichnete ein differenziertes Bild der aktuellen europäischen Entwicklungen. Zweifellos gebe es Demokratiedefizite in Europa, dennoch sei die Europäische Union „die demokratischste internationale Organisation, die ich kenne“, sagte Lammert. Als „historisch beispiellos und beispielhaft“ bezeichnete der Bundestagspräsident den Vorgang, dass „Staaten, die über Souveränitätsrechte verfügen, diese auf eine Gemeinschaft übertragen, die kein Staat ist“. Eine „Schieflage“ machte Lammert zwischen ökonomischer und politischer Integration aus. Und mit Blick auf die Partizipation stellte er fest: „Hier ist der Fortschritt größer als der Anlass für Beschwerden.“ So könne in Deutschland nur der Bundestag über Hilfszusagen an europäische Länder entscheiden – „eine Form der Partizipation, die es so zuvor nie gab“. Zugleich wies Lammert darauf hin, dass Europa ein historisch einmaliges Projekt sei: „Wir bauen gewissermaßen einen Prototyp, für den es keine Vorlage gibt.“