Regionale Infrastrukturentwicklung als Job– und Wirtschaftsmotor in Afrika
Im Jahr 2050 wird Afrikas wachsende Bevölkerung die Zwei Milliarden-Marke erreicht haben. Fast 70 Prozent dieser zwei Milliarden werden unter 30 Jahren jung sein. Jedes Jahr erreichen circa zehn bis 13 Millionen afrikanische Jugendliche das Erwerbstätigenalter. Der afrikanische Arbeitsmarkt kann derzeit allerdings lediglich 30 Prozent von ihnen aufnehmen. So kann die wachsende Jugend einerseits eine zentrale Ressource für Innovation auf dem Kontinent sein. Wenn sie allerdings keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben kann, kann dies zur Belastung und zum Stabilitätsrisiko werden. Die Notwendigkeit, dass Afrika in raschem Tempo nachhaltige Beschäftigungsmöglichkeiten schafft, ist daher unumstritten.
Programm zum Abbau von Infrastrukturdefiziten und Arbeitslosigkeit
Die Agenda 2063 der Afrikanischen Union (AU) sieht Infrastrukturentwicklung als ein entscheidendes Element nicht nur für die Erbringung von benötigten Dienstleistungen, sondern auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen. In diesem Sinne wurde auch das von den AU-Mitgliedsstaaten verabschiedete „Programme for Infrastructure Development“ (PIDA) konzipiert, um nicht nur die Infrastrukturdefizite Afrikas, sondern auch das Problem der Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit anzugehen.
Durch PIDA, welches derzeit aus 51 grenzüberschreitenden Großprojekten besteht, wurden bisher mehr als 6.000 Megawatt zusätzliche Energie erzeugt, 3.500 Kilometer Stromleitungen geschaffen, 16.000 Kilometer Straßen und 4.000 Kilometer Schienennetz erbaut sowie 17 Länder mit Internetfaserkabel verbunden. Dadurch konnten bisher mehr als 200.000 Arbeitsplätze allein direkt und indirekt geschaffen werden.
Um die Beschäftigungseffekte durch regionale Infrastrukturmaßnahmen zu messen und zu erhöhen, erarbeitete die Entwicklungsagentur der AU (AUDA-NEPAD) in Kooperation mit der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) das sogenannte PIDA Job Creation Toolkit. Mit Hilfe von diesem Toolkit können Projektmanager ihr Infrastrukturvorhaben beispielsweise so konzipieren, dass möglichst viele Jobs in der Region lokal geschaffen, also nicht an das außerafrikanische Ausland ausgelagert werden. Politische Entscheidungsträger können das Toolkit nutzen, um etwa Ausbildungsbedarfe in verschiedenen Berufsgruppen aufgrund größerer Infrastrukturprojekte zu prognostizieren und sich entsprechend darauf vorzubereiten.
Grenzüberschreitende Infrastrukturentwicklung als zentraler Motor
Regionale, grenzüberschreitende Infrastruktur (RI) ist eine wichtige Voraussetzung für die regionale Integration von Binnenwirtschaften und die Erleichterung des Handels mit Waren und Dienstleistungen. Im Energiesektor können beispielsweise größere Wasserkraftwerke stabile regionale Stromhandelsmärkte unterstützen, die erschwinglichen Strom über transnationale Leitungen verteilen. Im Verkehrssektor ist eine grenzüberschreitende Straßen- und Schieneninfrastruktur erforderlich, um regionalen Handel entsprechend der im Juli 2019 verabschiedeten kontinentalen Freihandelszone in Afrika, African Continental Free Trade Area (AfCFTA) zu ermöglichen. Daher ist grenzüberschreitende Infrastrukturentwicklung ein zentraler Motor für die regionale Integration und wirtschaftliche Transformation des afrikanischen Kontinents.
Im Vergleich zu nationaler Infrastruktur beinhaltet RI transnationale Risiken und Vorteile, enorme strukturelle Komplexitäten und die Koordination mehrerer Schlüsselakteure aus verschiedenen Staaten. Projektkosten und -nutzen sind oft ungleichmäßig auf die Länder verteilt. Ohne zwischenstaatliche Vermittlung kann dies die Entwicklung von RI ins Stocken bringen. Hinzu kommt, dass die Kosten für regionale Infrastrukturmaßnahmen kurzfristig oftmals sehr hoch sind, während sich die entsprechenden nationalen Gewinne hieraus erst mittel- bzw. langfristig einstellen. Insbesondere kleine und weniger entwickelte Volkswirtschaften können diese zeitliche Überbrückungsleistung meist nicht alleine erbringen.
Diese anfänglichen Herausforderungen können dazu führen, dass die Vorteile von RI unterschätzt werden, was dessen Entwicklung behindert. Deshalb möchte dieser Artikel aufzeigen, wie RI beispielsweise als Jobmotor fungieren und so zu einer nachhaltigen sozioökonomischen Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent beitragen kann.
Drei Dimensionen der Arbeitsplatzschaffung
Regionale Infrastrukturmaßnahmen können direkte und indirekte Beschäftigungseffekte sowie sekundäre Spill-Over Effekte erzeugen. Zu den direkten Beschäftigungseffekten zählen jene Arbeitsplätze, die unmittelbar in der Vorbereitung, Konstruktion und Instandhaltung eines Infrastrukturprojektes entstehen. So stellt beispielsweise ein Bauunternehmen 500 Mitarbeiter für die zweijährige Bauphase einer Stromleitung zwischen drei Ländern ein, und der Konzessionär beschäftigt etwa 50 Mitarbeiter für 30 Jahre Instandhaltung und Betrieb der Leitung.
Zu den indirekten Beschäftigungseffekten zählen jene Arbeitsplätze, die aufgrund des erhöhten Güter- und Dienstleistungsbedarfs für die Realisierung des Infrastrukturprojektes entstehen. Im vorherigen Beispiel kauft das Bauunternehmen zum Beispiel Zement und Kabel für die Konstruktion der Stromleitung und schafft damit Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftszweigen beziehungsweise innerhalb der Lieferkette.
Regionale wirtschaftliche Spill-Over Effekte umfassen makroökonomische Gewinne, die sich aus den erbrachten Infrastrukturleistungen ergeben. So kann obige Stromleitung das Geschäftsumfeld in der Region verbessern, indem sie lokalen Unternehmen einen günstigen und stabilen Zugang zu Elektrizität ermöglicht. Jene Firmen können dadurch mehr produzieren und somit auch mehr Mitarbeiter einstellen. Gewinne werden in Expansion, wie den Bau neuer Fabriken, reinvestiert. Zum Verkauf des Güterüberschusses muss in zusätzliche Transportinfrastruktur investiert werden. Dies wiederum kommt auch anderen Akteuren, wie beispielsweise Landwirten zu Gute, da niedrigere Transportkosten und zusätzlicher Handel zu Produktivitätsgewinnen und höheren Einkommen führen. Die sekundären Spill-Over Effekte zeigen die gesamtwirtschaftlichen Dynamiken, die eine große, grenzüberschreitende Infrastrukturmaßnahme in Gang setzen kann.
Neue Wertschöpfungsketten und Wachstum durch regionale Wirtschaftskorridore
Ein vielversprechender Ansatz zur Überwindung wirtschaftlicher Engpässe besteht in der Entwicklung regionaler, integrierter Wirtschaftskorridore. In diesen wird harte Infrastruktur aus dem Verkehrs-, Energie- und Informationssektor mit weichen Infrastrukturelementen wie zum Beispiel Zollfreiheiten, One-Stop-Border-Posts und Industrieparks verknüpft. Ein Schlüsselelement der regionalen Wirtschaftskorridore sind grenzüberschreitende Verkehrsadern, die Hafen-, Straßen- und Schieneninfrastruktur umfassen und sich in der Regel von einem Hafen aus ins Hinterland erstrecken. Dadurch entstehen Marktchancen und Beschäftigungsmöglichkeiten auch für bis dato weniger gut erschlossene Gebiete. Verglichen mit anderen Kontinenten gibt es in Afrika mehr Binnenländer und den höchsten Anteil von Landgrenzen an der Gesamtgrenzlänge (84 Prozent). RI und regionale Wirtschaftskorridore sind daher für den afrikanischen Kontinent von besonderer Bedeutung.
Wenn ein grenzüberschreitender Verkehrskorridor in Betrieb genommen wird, lösen seine Straßen-, Schienen- und Hafeninfrastruktur wichtige sozioökonomische Spill-Over Effekte aus. Mit sinkenden Transportkosten nimmt der Verkehr zu und infolgedessen auch der Handel mit Waren und Dienstleistungen. Aufgrund geringerer physischer Handelshemmnisse und verbesserter Marktchancen werden entlang des Korridors neue Produktions- und Dienstleistungszentren eingerichtet. Regionale Verkehrskorridore können einerseits Anreize für die Gründung neuer Unternehmen bieten und andererseits zusätzliche Märkte für bestehende Firmen erschließen. Ebenso können Zubringerstraßen landwirtschaftliche Flächen mit dem verarbeitenden Gewerbe verbinden und so das Potenzial für neue Wertschöpfungsketten schaffen. Der neue Korridor kann somit Produktivität steigern, neue wirtschaftliche Möglichkeiten schaffen und letztendlich zu einem Anstieg des nationalen und regionalen Bruttoinlandsproduktes führen.
Um ein praktisches PIDA-Beispiel zu nennen: Der Central Corridor startet im Hafen von Dar es Salaam und verbindet Tansania mit der Demokratischen Republik Kongo, Burundi, Ruanda und Uganda über ein Schienen- und Straßennetz. Durch die Vergrößerung des Hafens kann die Bearbeitungszeit eines Schiffscontainers von ursprünglich 29 auf neun bis elf Tage reduziert werden. Die breitere Verkehrsverbindung zwischen Tansania und Ruanda ermöglicht den Transport von 400 Tonnen Fracht, verglichen mit der früheren Kapazität von 56 Tonnen. Die Anzahl der Grenzkontrollen wird dank sogenannter One-Stop-Border-Posts entlang des Korridors voraussichtlich von 17 auf drei sinken. Der Central Corridor eröffnet lokalen Produzenten neue Lieferketten, neue Absatzmärkte und dadurch breitere Möglichkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung. So können beispielsweise durch die Straßenverbindung zwischen Dar Es Salam und Chalinze als Teil des Central Corridors in Tansania circa 3.400 Jobs im Rahmen der vierjährigen Bauphase direkt und indirekt geschaffen werden. Darüber hinaus hat die Transportverbindung das Potential etwa 35.800 Arbeitsplätze über sekundäre Spill-Over Effekte vor allem in der Landwirtschaft und im Handel zu kreieren.
Vorausschauende Politik und Investitionen als Bedingung für Jobmotor Infrastruktur
Ein Transportkorridor hat also das Potenzial, bestehende regionale Märkte zu revitalisieren, neue zu schaffen, und Wertschöpfungsketten durch Handels- und Dienstleistungszentren entlang des Korridors zu stärken. Dies ermöglicht Effizienzgewinne und höheren innerafrikanischen Handel, wodurch letztendlich die wirtschaftliche Diversifizierung auf dem Kontinent gefördert wird. Dadurch kann für viele afrikanische Volkswirtschaften, insbesondere für kleinere Binnenländer, der Weg zu Industrie- und Dienstleistungsstaaten mit mittlerem Einkommen geebnet werden. Dieser Prozess ist sicherlich kein Automatismus, sondern benötigt langfristige Politikgestaltung, etwa im Bildungs– und Ausbildungssektor. Allerdings wird RI als Politikbereich häufig übersehen und müsste auf der regionalen wie nationalen Tagesordnung für die mittel- und langfristige Planung höher angesetzt werden. Regionale und kontinentale Organisationen wie die Afrikanische Union sollten in ihrer Rolle als ehrliche Makler und Koordinatoren gestärkt werden. Dies kann nur realisiert werden, wenn der potenzielle Beitrag von RI zu nachhaltiger Entwicklung und zur Förderung inklusiver Beschäftigung allgemein anerkannt wird und sozioökonomische wie ökologische Risiken, die mit großer Infrastruktur einhergehen, offen diskutiert und konsequent adressiert werden.
Wenn ganzheitliche Politikgestaltung und entsprechende Investitionen getätigt werden, kann regionale Infrastrukturentwicklung eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung der Agenda 2030 und der Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDG) sein, insbesondere für SDG 7 (nachhaltige und moderne Energie für alle), SDG 8 (nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle) und SDG 9 (widerstandsfähige Infrastruktur und nachhaltige Industrialisierung).
Anna Waldmann ist Projektmanagerin bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die der Autorin und repräsentieren nicht den offiziellen Standpunkt ihres Arbeitgebers
von Anna Waldmann