Das Engagement der EU für den digitalen Staat
Die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie wichtig die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist. Sie hat den digitalen Wandel noch einmal deutlich beschleunigt und zu einer politischen Priorität werden lassen. Im Lockdown waren viele öffentliche Dienstleistungen EU-weit nur noch eingeschränkt oder sogar zum Teil ausschließlich online verfügbar. Dem digitalen Staat kommt in Zeiten des Coronavirus somit eine völlig neue Bedeutung zu.
eGovernment als der Kern eines digitalen Staates
Voraussetzung für einen digitalen Staat ist eGovernment (Electronic Government). Darunter ist der verstärkte Einsatz von moderner IT-Technik für Regierungs- und Verwaltungsprozesse gemeint. Die öffentliche Verwaltung kommuniziert untereinander und mit dem Bürger auf digitalem Weg. Bereits heute gibt es zahlreiche Beispiele für eGovernment, wie die Online-Steuerklärung über Elster oder die in vielen Städten heute schon mögliche Online-Zulassung eines neuen Fahrzeugs. Ziel ist es, Verwaltungsdienstleistungen medienbruchfrei und damit durchgängig online anzubieten, von der Antragstellung bis zum endgültigen Bescheid. Der Gang zum Amt würde so in den meisten Fällen überflüssig werden. Der Staat selber verspricht sich vom eGovernment, Verwaltungsverfahren zu vereinfachen, die Qualität der Dienstleistungen im öffentlichen Sektor zu verbessern und die Effizienz der internen Verfahren öffentlicher Einrichtungen zu erhöhen. Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen profitieren, weil für sie der Verwaltungsaufwand durch eGovernment sinkt, indem sie schneller, effizienter, transparenter und kostengünstiger öffentliche Dienstleistungen in Anspruch nehmen können.
Die EU als Motor der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung
Die EU setzt sich bereits seit mehr als 20 Jahren für mehr eGovernment in den Mitgliedsstaaten ein und gehört damit sicherlich zu einem der Pioniere auf diesem Gebiet. Ein Großteil der Verantwortung für die Umsetzung von eGovernment liegt zwar bei den EU-Mitgliedstaaten, aber die EU setzt für diese in zahlreichen Bereichen durch diverse Initiativen, Richtlinien und Verordnungen den Rahmen. Die Digitalisierung der Verwaltung ist für den Erfolg des Binnenmarktes von zentraler Bedeutung und daher eine klare Priorität der EU. Wirksam ist der gemeinsame Binnenmarkt erst, wenn alle EU-Bürgerinnen und Bürger grenzübergreifend online Dienstleistungen in jedem anderen Mitgliedstaat in Anspruch nehmen können.
Die EU sieht in der grenzübergreifenden Verfügbarkeit von digitalen öffentlichen Diensten zudem einen klaren Vorteil für die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der gesamten EU. Bei dem Thema eGovernment ist die Europäische Kommission der wichtigste Akteur und Treiber auf europäischer Ebene. Sie nutzt zahlreiche Instrumente, um die Digitalisierung der Verwaltung zu erhöhen, zum Beispiel durch Vorschläge für Gesetzinitiativen (Richtlinien und Verordnungen), mit denen sie einen Rahmen für die Mitgliedstaaten bildet, mit diversen Initiativen und Projekten, die u.a. zu einer besseren Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten führen sollen und mit EU-weitem Benchmarking.
Benchmarking als ein Instrument zur Förderung von eGovernment in der EU
Bei sogenannten Benchmark-Studien handelt es sich um vergleichende Analysen zu einem Thema, um zum Beispiel Vorreiter oder auch Nachzügler, sowie Best-Practice Beispiele zu identifizieren. Die EU-Kommission gibt regelmäßig zwei große Studien extern in Auftrag, bei denen der eGovernment-Stand in den einzelnen Mitgliedstaaten untersucht wird. Ziel dieser Studien ist es, die Performance in den Mitgliedstaaten zu vergleichen und damit den Druck auf die Nachzügler zu erhöhen und ihnen Handlungsbedarf aufzuzeigen. Dieses Instrument ist sehr erfolgreich, weil es dazu führt, dass die Studienergebnisse regelmäßig von der Presse aufgegriffen und damit die Mitgliedstaaten mit ihrer Performance konfrontiert werden. So ist durch die regelmäßige schlechte Performance in diesen Studien der Druck auf Deutschland erhöht worden, die Digitalisierung seiner Verwaltung stärker voranzutreiben.
Zu erwähnen ist hier der seit 2001 jährlich durchgeführte eGovernment Benchmark der Europäischen Kommission. Dabei handelt es sich um eine EU-weite Studie, die Einblicke in den Status von eGovernment-Services in den Mitgliedstaaten bietet. Untersucht werden verschiedene digitale öffentliche Dienstleistungen nach den Indikatoren Nutzerzentriertheit, Transparenz, grenzüberschreitende Mobilität und technologische Schlüsselelemente. Anhand dieser Untersuchung lässt sich ein Ranking aufstellen, bei dem zuletzt Malta, Estland, Lettland und Österreich die vorderen Plätze belegten.
Ein anderes Beispiel ist der seit 2014 von der Europäischen Kommission veröffentlichte Digital Economy and Society Index (DESI). Diese Studie widmet sich dem digitalen Fortschritt von Wirtschaft und Gesellschaft in der EU. Dabei werden insbesondere der Breitbandausbau, die Onlinekompetenzen sowie die Möglichkeit digitaler Behördengänge untersucht. Deutschland steht im zuletzt veröffentlichten Index im Jahr 2020 unter den 28 Mitgliedstaaten an 12. Stelle. Beim Vergleich der digitalen öffentlichen Dienste belegt Deutschland sogar lediglich den 21. Platz.
Der EU-eGovernment-Aktionsplan 2016-2020
Es gab bereits zahlreiche Initiativen, mit denen die Europäische Union eGovernment in den Mitgliedstaaten fördern wollte. Zu erwähnen sind hier zum Beispiel der eGovernment-Aktionsplan 2011-2015, die eGovernment-Erklärung von Malmö 2009 oder die Tallinn-Erklärung zum eGovernment 2017, um nur einige wenige zu nennen.
Besonders bedeutend und erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der im Jahr 2016 veröffentlichte EU-eGovernment-Aktionsplan 2016-2020. Dabei handelt es sich um eine Initiative der EU-Kommission, um die digitale Transformation des öffentlichen Sektors in der EU voranzutreiben. Insbesondere sollen damit Barrieren für den digitalen Binnenmarkt beseitigt und eine weitere Fragmentierung der öffentlichen Verwaltungen verhindert werden. Ziel ist es, grenzenlose, benutzerfreundliche und durchgängig digitale öffentliche Dienstleistungen für alle Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen in der EU anzubieten.
Um diese Ziele zu erreichen, werden im Aktionsplan drei politische Prioritäten festgelegt: die Modernisierung der öffentlichen Verwaltungen mittels wichtiger digitaler Technologien, die Förderung der Mobilität von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen durch grenzüberschreitende Interoperabilität sowie die Erleichterung der digitalen Interaktion zwischen Verwaltungen und Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen für hochwertige öffentliche Dienstleistungen.
Zwei konkrete Beispiele für den Einfluss der EU
Anhand von zwei konkreten europäischen Rechtsakten lässt sich exemplarisch zeigen, wie viel Einfluss die EU auf die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in den Mitgliedstaaten hat.
Die 2018 von der EU verabschiedete Single-Digital-Gateway (SDG) Verordnung legt fest, dass ein einheitliches digitales Zugangstor zu den Verwaltungsleistungen der EU und der Mitgliedstaaten eingerichtet werden muss. Dadurch sollen Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen nutzerfreundlich online Zugriff auf Informationen, Dienstleistungen etc. in allen Mitgliedstaaten erhalten. Die Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten bis Ende 2023, zudem 21 ausgewählte Verwaltungsverfahren grenzüberschreitend in allen Mitgliedstaaten für EU-Bürgerinnen und EU-Bürger sowie Unternehmen so bereitzustellen, dass sie vollständig medienbruchfrei online abgewickelt werden können. Zu diesen 21 Dienstleistungen gehören unter anderem die Beantragung von Sozialversicherung und Steuern, die Gründung und Schließung von Unternehmen oder auch die Ausstellung einer Geburtsurkunde. Damit nimmt die EU die deutschen Behörden aller föderalen Ebenen in die Pflicht, die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung effektiv voranzutreiben.
Die Planungen für die Verordnung waren im Vorfeld einer der Gründe für das deutsche Onlinezugangsgesetz (OZG). Mit dem OZG haben sich Bund und Länger das Ziel gesetzt, 575 Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 vollständig digital in einem Portal anzubieten. Die Anforderungen aus der EU-Verordnung werden im Rahmen der OZG-Umsetzung erfüllt - SDG und OZG gehen somit Hand in Hand und sind ein gutes Beispiel für die europäische Dimension bei der Digitalisierung der Verwaltung.
Ein anderes Beispiel ist die 2019 beschlossene überarbeitete Neufassung der EU-Richtlinie über offene Daten und die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (Open-Data-Richtlinie). Ziel der Richtlinie ist es, die Verwendung offener staatlicher Daten (Open Government Data) und die Wiederverwendung von diesen auszuweiten. Deutschland hat die Richtlinie mit dem Zweiten Open-Data-Gesetz und dem Datennutzungsgesetz fristgerecht umgesetzt, welche im Februar 2021 im Kabinett beschlossen wurden und demnächst in den Bundestag eingebracht werden sollen.
Ausblick auf die digitale Dekade der EU
Die aktuelle Kommission, unter dem Vorsitz von Ursula von der Leyen, ist entschlossen, das kommende Jahrzehnt zur „Digitalen Dekade“ Europas zu machen. Dementsprechend bildet der Themenkomplex „Ein Europa für das digitale Zeitalter“ auch einen der sechs Prioritäten der Kommission für 2019-2024. Der Weg hin zu einem digitalen Staat wird dabei weiterhin eine Rolle spielen und auch durch zahlreiche europäische Rechtsakte zumindest indirekt beeinflusst werden. Aktuelle Schwerpunkte der Kommission, wie die Themen digitale Souveränität, Daten oder künstliche Intelligenz haben alle starke Berührungspunkte zum Idealbild eines digitalen Staates und damit auch zum öffentlichen Dienst. Es wird auch zukünftig richtig und wichtig sein, dass die EU den Mitgliedsstaaten zu den Themen eGovernment und digitaler Staat einen gesetzlichen und einheitlichen Rahmen bietet, der zumindest Mindestanforderungen enthält.
von Jonas Brandhorst