Auf dem Weg zu einer Gesundheitsunion

Die Covid-19-Pandemie hat die Gesundheitssysteme in der gesamten EU auf die Probe gestellt. Von der Kapazität der Krankenhausbetten und dem Zugang zu medizinischer Ausrüstung bis hin zur Sicherstellung zuverlässiger Lieferketten für lebensrettende Behandlungen kamen durch die Pandemie langjährige Schwächen der Gesundheitspolitiken und -systeme zum Vorschein.

Wenngleich die Krise offenbart hat, wie sehr sich die Mitgliedstaaten in ihren Strategien der Masken- und Testpolitik unterscheiden können und es zu anhaltenden Streitigkeiten um die Koordinierung der nationalen Abriegelungen und einseitigen Entscheidungen über Grenzschließungen kam, hat sich die Europäische Kommission bemüht, eine vereinende und zentrale Rolle bei der Beschaffung von Impfstoffen, Medikamenten und medizinischer Ausrüstung zu übernehmen. Ohne die EU hätten die Pharmaunternehmen eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber den einzelnen Mitgliedstaaten gehabt. Impfstoffe wären teurer und unsicherer gewesen, insbesondere für die kleineren und ärmeren Mitgliedstaaten. Wirtschaftlich starke Staaten wie Deutschland wären heute vermutlich in einer besseren Ausgangslage, wenn sie mit den Pharmaunternehmen alleine verhandelt hätten. Allerdings hätten sie hiermit auch das Solidaritätsprinzip der Europäischen Union untergraben. Der Stärkere hätte sich durchgesetzt, der Schwächere hätte sich hintenanstellen müssen.

Dass die europäische Impfstrategie erhebliche Startschwierigkeiten hatte und Länder wie die USA und Israel deutlich an der EU vorbeigezogen sind, steht außer Frage. Eine der Lektionen, die aus der Pandemie folglich gezogen werden kann, ist, dass die europäische Koordination im Gesundheitswesen verbessert und verstärkt werden muss. So wird inzwischen die Forderung laut, dass die EU angesichts globaler Bedrohungen gemeinsame europäische Antworten in Form einer gemeinsamen Gesundheitsunion benötigt.

„Das Ziel der Europäischen Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern“, sagte der WHO-Sonderbeauftragte für die Europäische Region, Vytenis Andriukaitis, unter Berufung auf Artikel 2 des Vertrags von Lissabon hierzu. Er betonte, dass es kein Wohlbefinden ohne Gesundheit gibt und dass die EU eine moralische Verantwortung dafür habe, dass alle ihre Bürgerinnen und Bürger das gleiche Recht auf Gesundheit haben. Die jüngsten Ergebnisse einer Eurobarometer-Umfrage verstärken seine Aussage. Aus diesen ergibt sich, dass die Europäerinnen und Europäer der Gesundheit durchweg Priorität einräumen und eine größere Rolle der EU in Gesundheitsfragen unterstützen.

Die ersten konkreten Schritte zum Aufbau einer Europäischen Gesundheitsunion und zur Ermöglichung einer effektiveren grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich wurden im vergangenen Herbst unternommen. Im November 2020 legte die Europäische Kommission eine Reihe verschiedener Legislativvorschläge vor, darunter die Neugestaltung des geltenden Rechtsrahmens für schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren sowie eine Aufwertung der wichtigsten EU-Agenturen bei der Krisenvorsorge und -reaktion, insbesondere des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA).

Ursula von der Leyen‚ Präsidentin der Europäischen Kommission, erklärte dazu: „Unser Ziel ist es, die Gesundheit aller europäischen Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Die Coronavirus-Pandemie hat ganz klar gezeigt, dass wir eine engere Koordinierung in der EU, resilientere Gesundheitssysteme und eine bessere Vorsorge gegen künftige Krisen brauchen. Wir müssen und werden anders mit grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren umgehen. Wir beginnen heute damit, eine europäische Gesundheitsunion aufzubauen, damit unsere Bürgerinnen und Bürger in einer Krise optimal medizinisch versorgt werden und die Union und ihre Mitgliedstaaten dafür gerüstet sind, europaweite gesundheitliche Notlagen zu verhindern und zu bewältigen.“

Gleichwohl haben einige Mitgliedstaaten vielfältige Vorbehalte gegen eine Europäische Gesundheitsunion. Unter anderem geben sie den zusätzlichen Verwaltungsaufwand, die unklare Ressourcenzuweisung und die noch offene Frage zur Festlegung der Agenda zu Bedenken. Für andere wiederum stellt diese eine zielführende Maßnahme dar, um Notfälle ohne Improvisation und mit einem klaren Mandat der EU zu bewältigen. Nach Vorstellung der Kommission erhält die EU durch die neuen Verordnungen zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahrenerhält eine rechtliche Absicherung für europäische Institutionen, die eine aktivere Rolle spielen sollen. Außerdem soll für Transparenz in der Versorgungskette sowie für eine bessere Überwachung dieser Kette gesorgt werden, um Engpässe zu verhindern, die sich im Zusammenhang mit einem gesundheitlichen Notfall ergeben könnten.

Als weiterer Baustein der Europäischen Gesundheitsunion ist die Errichtung eines Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) angedacht. Laut Kommission zielt der EHDS darauf ab, die digitale Gesundheit umfassend zu nutzen, um eine hochwertige Gesundheitsversorgung zu gewährleisten und Ungleichheiten zu verringern. Er soll den Zugang zu Gesundheitsdaten für Prävention, Diagnose und Behandlung, Forschung und Innovation sowie für politische Entscheidungen und Gesetzgebung fördern. Die für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides sieht den Europäischen Gesundheitsdatenraum als einen wesentlichen Bestandteil einer starken Europäischen Gesundheitsunion. Durch diesen werde eine EU-weite Zusammenarbeit im Hinblick auf eine bessere Gesundheitsversorgung, eine bessere Forschung und eine bessere Gestaltung der Gesundheitspolitik ermöglicht. Kyriakides ruft alle interessierten Bürgerinnen und Bürger, Organisationen sowie Interessenträgerinnen und Interessensträger dazu auf, an der öffentlichen Konsultation zum Europäischen Raum für Gesundheitsdaten teilzunehmen und die EU so bei der Einrichtung der EHDS zu unterstützen.

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