Aufwendungen einer Ruhestandsbeamtin im gewerkschaftlichen Ehrenamt als Werbungskosten

Aufwendungen einer Ruhestandsbeamtin im Zusammenhang mit ihrer ehrenamtlichen Gewerkschaftstätigkeit sind als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbezügen zu berücksichtigen.

BFH, Urteil vom 28.06.2023, – VI R 17/21–

Der Fall

Die Klägerin und Revisionsbeklagte bezieht als pensionierte Landesbeamtin Versorgungsbezüge. Bis zum Eintritt in den Ruhestand war sie hauptamtlich für eine Gewerkschaft tätig und hierfür von ihrem Dienstherrn freigestellt. Seit dem Eintritt in den Ruhestand ist die Klägerin für verschiedene Gremien dieser Gewerkschaft ehrenamtlich tätig.
Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2016) machte sie Aufwendungen für diese Tätigkeit als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbezügen geltend.
Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger als zuständiges Finanzamt nicht.
Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht statt.
Mit der Revision rügt das Finanzamt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 03.08.2021 - 12 K 12186/19 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Entscheidung

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des FG Berlin-Brandenburg wird als unbegründet zurückgewiesen.
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die streitigen Aufwendungen der Klägerin als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbezügen zu berücksichtigen sind.
Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ‑EStG‑). Sie liegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vor, wenn zwischen den Aufwendungen und den Einnahmen ein Veranlassungszusammenhang besteht (z. B. Senatsurteil vom 06.05.2010 - VI R 25/09).

Dabei ist die Frage, ob der Steuerpflichtige Aufwendungen aus beruflichem Anlass leistet oder ob es sich um Aufwendungen für die Lebensführung im Sinne von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG handelt, anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Nach dem Einkommensteuergesetz sind Aufwendungen dann als durch eine Einkunftsart veranlasst anzusehen, wenn sie mit ihr in einem steuerrechtlich anzuerkennenden wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Maßgebend dafür, ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die wertende Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen auslösenden Moments und zum anderen die Zuweisung dieses maßgebenden Besteuerungsgrunds zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre (z. B. Senatsurteil vom 06.05.2010 - VI R 25/09).

Ob sich der streitige Aufwand konkret auf die Höhe des Arbeitslohns auswirkt, ist dabei ohne Belang. Stehen Aufwendungen in einem objektiven Zusammenhang mit dem Beruf, so ist es für den Begriff der Werbungskosten überdies nicht von Bedeutung, ob die Vorstellungen des Steuerpflichtigen, den Beruf zu fördern, der Wirklichkeit entsprechen, das heißt geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen. Die Rechtsprechung hat daher die Anerkennung von Werbungskosten und Betriebsausgaben grundsätzlich nicht davon abhängig gemacht, ob der mit den Aufwendungen erstrebte Erfolg eingetreten ist und ob die Aufwendungen nach objektiven Gesichtspunkten üblich, notwendig oder zweckmäßig waren. Vielmehr hat der Steuerpflichtige einen Ermessensspielraum, ob und welche Aufwendungen er zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung seiner Einnahmen tätigt (so bereits Senatsurteil vom 28.11.1980 - VI R 193/77).
Nach diesen Grundsätzen ist auch der Abzug von Werbungskosten bei den Versorgungsbezügen zu beurteilen.
Die Beurteilung, ob Aufwendungen beruflich oder privat veranlasst sind, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung des Finanzgerichts (FG). Diese ist für das Revisionsgericht bindend (§ 118 Abs. 2 FGO), wenn sie verfahrensrechtlich ordnungsgemäß durchgeführt wurde und nicht gegen Denkgesetze verstößt oder Erfahrungssätze verletzt (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 08.07.2015 - VI R 77/14).

Die Würdigung des FG, die streitigen Aufwendungen der Klägerin stünden in einem hinreichenden Veranlassungszusammenhang mit ihren Versorgungsbezügen und seien daher als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG zu berücksichtigen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das FG ist ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze zu dem Schluss gelangt, der erforderliche Veranlassungszusammenhang mit den Versorgungsbezügen liege im Streitfall vor, weil die Gewerkschaftsarbeit der Klägerin und die dadurch bedingten Aufwendungen auch auf die Verbesserung ihrer Einkünfte als Ruhestandsbeamtin zielten.

Gewerkschaften sind dauernde freie Vereinigungen von Arbeitnehmern zum Zwecke der Erlangung und Erhaltung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen. Sie sind solidarische Interessenvertretungen der ihnen angeschlossenen Beschäftigten (Mitglieder), deren Zweck unter anderem auf die Verbesserung der beruflichen Bedingungen ihrer angeschlossenen Beschäftigten (Mitglieder), im Besonderen auch deren Einnahmen, gerichtet ist. Art und Organisation der Interessenvertretung stellen somit die Gewerkschaften auch sofern sie Industrieverband sind an die Seite der echten Berufsverbände, die ebenfalls objektiv in einem engen, durch ihre Aufgabenstellung und ihre tägliche Arbeit sichtbaren Zusammenhang mit den Berufen der in ihnen vereinigten Mitglieder stehen. Unter diesen Gesichtspunkten sind auch Maßnahmen der Mitglieder selbst zur Stärkung, Erhaltung und Förderung des sie vertretenden Berufsverbands zu sehen. Da die Arbeit eines Berufsverbands auf dem Gedanken beruht, dass nur die Solidarität der Mitglieder zur Veränderung der beruflichen Bedingungen zugunsten der angeschlossenen Mitglieder führt, ist es folgerichtig, bei den Aufwendungen eines Mitglieds zwecks Förderung der solidarischen Gemeinschaft ebenfalls einen objektiven, durch Aufgabenstellung und Arbeit des Berufsverbands sichtbar werdenden Zusammenhang mit seiner Berufstätigkeit zu bejahen. Dieser Zusammenhang reicht aus, den Werbungskostenbegriff zu erfüllen, obwohl die Aufwendungen des einzelnen Mitglieds in der Regel nicht unmittelbar und allein auf dessen eigene berufliche Bedingungen, sondern nur mittelbar durch die Arbeit der Gemeinschaft auf die Verhältnisse sämtlicher betroffener Mitglieder des Berufsverbands einwirken können. Denn der Werbungskostenbegriff erfordert nicht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Förderung der Berufstätigkeit.

An diesen Grundsätzen, die für Aufwendungen im Zusammenhang mit der ehrenamtlichen Tätigkeit für die zuständige Gewerkschaft eines berufstätigen Steuerpflichtigen gelten, hält der Senat fest und überträgt diese auch auf die ehrenamtliche Tätigkeit eines nicht mehr im aktiven Dienst befindlichen Steuerpflichtigen, der Versorgungsbezüge erhält. Denn Gewerkschaften vertreten nicht nur die beruflichen Interessen der berufstätigen Arbeitnehmer und Beamten, sondern auch die Erwerbsinteressen von Pensionären. Sie streben regelmäßig an, die Ergebnisse einer Tarifrunde im öffentlichen Dienst zeitgleich und systemgerecht beziehungsweise wirkungsgleich auf den Bereich Besoldung und Versorgung zu übertragen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Würdigung des FG, dass die Aufwendungen der Klägerin, die ihr im Rahmen ihrer Gewerkschaftstätigkeit entstanden sind, in einem Veranlassungszusammenhang mit dem Erhalt und der Sicherung ihrer Versorgungsbezüge stehen, jedenfalls möglich und daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Höhe der geltend gemachten Werbungskosten steht zwischen den Beteiligten nicht in Streit. Das FG hat der Klage nach alledem zu Recht stattgegeben.

Das Fazit

Eine Gewerkschaft hat das Ziel, durch die Solidarität aller die Arbeitsbedingungen der einzelnen Mitglieder zu verbessern. Deshalb sind die Aufwendungen einzelner zur Förderung der Solidargemeinschaft im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit zu berücksichtigen. Das gilt auch für Pensionäre, da die Gewerkschaften sich dafür einsetzen, Ergebnisse aus den Tarifrunden wirkungsgleich auf den Bereich Besoldung und Versorgung zu übertragen.

vorgehend: Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 03. August 2021, Az: 12 K 12186/19

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