Vertrauliche Kommunikation, Verfassungstreue und außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht
Sind außerdienstliche Äußerungen mit objektiv verfassungsfeindlichem Inhalt ohne echten Kundgabewillen nach außen nur im engsten Familien- oder Freundeskreis gefallen und muss der Betroffene aufgrund der besonderen Vertrautheit der Beteiligten und der Vertraulichkeit der Gesamtumstände nicht mit einem Bekanntwerden rechnen, überwiegt das öffentliche Bedürfnis nach disziplinarer Ahndung die Grundrechte des Beamten auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und auf Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) nur dann, wenn die Äußerungen auch eine entsprechende ernsthafte verfassungsfeindliche Gesinnung im Sinne einer inneren Abkehr von den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widerspiegeln.
VGH München, Urteil vom 19.02.2025 – 16a D 23.1023
Der Fall
Der Beklagte ist Beamter und war von 2016 bis zum Verbot der Führung der Dienstgeschäfte im Jahr 2020 beim Kriminalfachdezernat 7 – Bereiche Korruption und Fehlverhalten im Gesundheitswesen – tätig; zuvor war er bei einer Polizeiinspektion eingesetzt und u. a. mit Aufgaben des Personenschutzes betraut, er ist nicht straf- und disziplinarrechtlich vorbelastet.
Mit einer Disziplinarklage, mit der die Polizei München als Kläger die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis erstrebt, wird ihm vorgeworfen, im Zeitraum 2014 bis 2020 in mehreren bilateralen WhatsApp-Chats sowie in einem mit anderen Polizeibeamten außerdienstlich geführten geschlossenen Gruppenchat Nachrichten mit ausländerfeindlichem, nationalsozialistischem und antisemitischem Inhalt versendet und empfangen zu haben.
Darüber hinaus wird dem Beklagten die Weitergabe von Erkenntnissen aus der polizeilichen Sachbearbeitung zur Last gelegt. An dieser Stelle wird jedoch nur die Entscheidung in Bezug auf die Äußerungen in WhatsApp-Chats wiedergegeben.
Der Kläger führte aus, der Beklagte zeige eine über Jahre verfestigte Nähe zu rechtsradikalen und nationalsozialistischen Ideologieinhalten, welche er durch seine zahlreichen Äußerungen, die auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung und die Identifikation mit verwerflichem Gedankengut hindeuteten, nach außen kundgetan und verbreitet habe. Die Äußerungen seien mit der besonderen Vertrauens- und Garantenstellung eines Polizeibeamten im Hinblick auf die Wahrung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in der Öffentlichkeit unvereinbar. Es sei davon auszugehen, dass die im Zeitraum vom 24. Oktober bis 25. November 2014 in einem bilateralen Chat getätigten Äußerungen insbesondere eine Person, die dem Beklagten zum damaligen Zeitpunkt als Personenschützer anvertraut gewesen sei, betroffen hätten, was erschwerend wirke. Bei den in diesem Chat verwendeten Abkürzungen „SH“ und „HH“ handle es sich um Codes für „Sieg Heil“ bzw. „Heil Hitler“; überdies werde in einer Sprachnachricht die Stimme Hitlers imitiert und in zwei Äußerungen angedeutet, dass die Schutzperson vergast bzw. in ein Konzentrationslager verbracht werden solle. All dies komme einem Bekenntnis des Beklagten zu seiner verfassungsfeindlichen Gesinnung gleich. Durch die geäußerte Absicht, in der Reichspogromnacht auf die Straße zu gehen, sowie die Vergesellschaftung des Sprachgebrauchs aus dem Dritten Reich und den Versand rechtsradikaler, nationalsozialistischer und antisemitischer Bilder verharmlose er zudem den Tod und das Leiden der Opfer des Nationalsozialismus. Mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung unvereinbar seien gerade solche Verhaltensweisen, die objektiv geeignet oder gar darauf angelegt sind, die Ziele des NS-Regimes zu verharmlosen sowie Kennzeichen, Symbole oder sonstige Bestandteile der NS-Ideologie gesellschaftsfähig zu machen. Die Aussagen des Beklagten überschritten nicht nur die Grenze des guten Geschmacks und der Satire, sondern zwängen im Kontext der Gesamtereignisse zu dem Eindruck, dass dies Ausdruck einer verwurzelten ausländerfeindlichen und menschenverachtenden Gesinnung des Beklagten sei. Aufgrund der Verhaltensweise des Beklagten sei von einer Abkehr von den Grundprinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung auszugehen. Indem er rassistische, diskriminierende, antisemitische, nationalistische und menschenverachtende Beiträge seiner Chatpartner geduldet habe, sei er auch nicht aktiv für die freiheitliche demokratische Grundordnung eingetreten, was im Übrigen unabhängig von einer verfassungsfeindlichen Gesinnung eine Verletzung der Pflicht zur Verfassungstreue begründe. Selbst wenn man jedoch einen Verstoß gegen die politische Treuepflicht des Beklagten ablehne, sei sein Verhalten jedenfalls derart achtungs- und vertrauensschädigend, dass das in ihn gesetzte Vertrauen irreparabel und vollständig zerstört sei. Aufgabe des Beklagten sei es gerade gewesen, die ihm anvertraute Schutzperson jüdischen Glaubens und mit Migrationshintergrund zu schützen und nicht selbst eine Gefahr für diese darzustellen. Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse und die damit verbundenen Eingriffsrechte des Staates seien durch Art. 33 Abs. 4 GG einem Personenkreis vorbehalten, dessen Rechtsstellung in besonderer Weise Gewähr für Verlässlichkeit und Rechtsstaatlichkeit bieten müsse, weshalb der bloße Anschein der Identifikation mit den Zielen des Nationalsozialismus zu vermeiden sei. Der Öffentlichkeit und auch dem Kollegenkreis sei nicht zu vermitteln, dass ein Beamter, der derartige Verunglimpfungen gegenüber einem Dritten äußere und Feindseligkeiten hege, im Dienst der Bayerischen Polizei verbleibe. Diese Einschätzung werde bestärkt durch die Weitergabe dienstlicher Erkenntnisse an Dritte unter Verstoß gegen die dienstliche Geheimhaltungspflicht in vier Fällen. Der Beklagte habe das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren, sein weiterer Verbleib im Dienst sei nicht hinnehmbar.
Der Beklagt wendet ein, die Chatbeiträge seien gerade nicht für Dritte bestimmt gewesen. Die Chatteilnehmer seien davon ausgegangen, dass ihre Mitteilungen aufgrund der Vertraulichkeit des geschriebenen Wortes geschützt sind. Er sei weit davon entfernt, ausländerfeindlich zu sein oder rechtsradikales Gedankengut zu hegen. Dies komme auch in den von seinen Vorgesetzten erstellten Persönlichkeitsbildern zum Ausdruck. Im dienstlichen Kontakt mit Flüchtlingen, mit Kollegen mit Migrationshintergrund und mit seinen Schutzpersonen sei er stets objektiv gewesen und es sei nie zu Beschwerden gekommen. Die getätigten Äußerungen in dem Chat mit D., seinem ehemaligen Streifenkollegen, mit dem er seit mehr als zehn Jahren befreundet gewesen sei und auf den sich sein Freundeskreis zeitweise beschränkt habe, ließen sich mit dienstlichen Umständen erklären. Der Beklagte habe sich durch den überaus anstrengenden und ihn auch zeitlich stark beanspruchenden Dienst als Personenschützer in einer schwierigen Lebensphase befunden, sei sozial isoliert gewesen und habe den Austausch mit seinem Kollegen, der diesbezüglich sein einziger Ansprechpartner gewesen sei, als Ventil gebraucht, einfach um das von der Schutzperson ihm gegenüber an den Tag gelegte Verhalten, das er als unzumutbar und völlig unangemessen empfunden und dem er sich faktisch hilflos ausgeliefert gesehen habe, zu erdulden und zu verarbeiten. Denn im Hinblick auf die wegen ihrer Herkunft und Stellung nahezu unangreifbare Position der Schutzperson habe der Beklagte sich nicht in der Lage gesehen, sich wegen deren Verhaltens zu beschweren, ohne sich dabei der Gefahr auszusetzen, dienstliche oder persönliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Er habe daher keine Hoffnung gehabt, die Situation verändern zu können. Mit den Äußerungen im Chat mit dem Kollegen D. habe der Beklagte angesichts des Verhaltens der Schutzperson sowie einer weiteren hochrangigen Person jüdischen Glaubens, mit der er im Rahmen der Tätigkeit als Personenschützer dienstlichen Kontakt gehabt habe, über diese „abledern“ und sich abreagieren wollen. Dabei habe er sich als Anknüpfungspunkt gerade der offenkundigsten Eigenschaft der faktischen Unangreifbarkeit der beiden betroffenen Personen bedient, um eine eigene Mächtigkeit über sich wiederherzustellen. In diesem Rahmen habe sich die Kommunikation mit dem Kollegen D. hochgeschaukelt und eine eigene Dynamik angenommen. Es bestehe kein Zweifel, dass er dabei eine Grenze überschritten habe, und er bedauere dies zutiefst.
In dem Chat mit A. am 19. März 2020, der ein entfernter Bekannter gewesen sei, sei der er nicht auf dessen Äußerungen eingegangen. Seine Äußerungen hätten sich eindeutig darauf bezogen, dass die Polizei während des Corona-Lockdowns mit eigentlich überflüssigen Einsätzen belastet gewesen sei und sich die Bevölkerung vernünftiger verhalten müsse.
Für die Äußerungen in dem Chat mit V. schäme er sich ebenfalls. Er habe sie auf einer Dating-Plattform kennengelernt und sie beeindrucken wollen. Sie habe ihm zwei Vorfälle geschildert, bei denen sie von Personen mit Migrationshintergrund extrem belästigt worden sei. Dadurch habe er ihre ausländerfeindliche Einstellung erkannt und in diesem Sinne mit ihr geschrieben, um ihr zu gefallen. Sie gehöre wegen ihrer extremen Ansichten nicht mehr zu seinem Bekanntenkreis.
Die Beteiligten wenden sich mit ihren Berufungen gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 8. Februar 2023 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses den Beklagten eines Dienstvergehens für schuldig befunden und ihn in das Amt eines Kriminalmeisters (Besoldungsgruppe A 7) zurückgestuft hat.
Die Entscheidung
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 8. Februar 2023 geändert. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung in das Amt eines Kriminalobermeisters (BesGr. A 8) erkannt. Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.
In tatsächlicher Hinsicht legt der Senat seiner Entscheidung die Inhalte der WhatsApp-Chats sowie die darin seitens des Beklagten getätigten Äußerungen und eingestellten Bild-, Audio- und Videodateien zugrunde, wie sie in der Disziplinarklage dargestellt sind. Die Inhalte ergeben sich vollumfänglich aus den vorgelegten Akten; darüber hinaus hat der Beklagte sie eingeräumt.
Die mit D. und V. geführten Chats sowie die Nachrichten des Beklagten im Gruppenchat sind jedoch nicht disziplinarisch zu ahnden. Die Äußerungen des Beklagten in dem Chat mit A. sowie seine unterlassene Reaktion auf dessen verfassungsfeindliche Äußerungen begründen einen Verstoß gegen die Pflicht, sich auch außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauensgerecht zu verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG in der von 7.12.2018 bis 6.7.2021 geltenden Fassung) sowie zur unparteiischen Amtsführung (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG), aber keinen Verstoß gegen die politische Treuepflicht gemäß § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG.
Die Inhalte der mit D. und V. geführten Chats sowie die Nachrichten des Beklagten im Gruppenchat dürfen nicht disziplinarisch geahndet werden, da sie der Vertraulichkeit der Kommunikation und damit dem grundrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) sowie der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) unterliegen und dem Beklagten zugleich keine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Gesinnung nachgewiesen werden kann.
Das öffentliche Interesse an Strafverfolgung und disziplinarer Ahndung außerdienstlicher Verfehlungen muss regelmäßig zurücktreten, wenn die inkriminierten Äußerungen ohne echten Kundgabewillen nur im engsten Familien- oder Freundeskreis gefallen sind und wenn der Betroffene aufgrund der besonderen Vertrautheit der Beteiligten und der Vertraulichkeit der Gesamtumstände nicht mit einem Bekanntwerden seiner Äußerung rechnen muss. Denn in diesen Fällen fordern die auch dem Beamten zustehenden Grundrechte auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), dass die Vertraulichkeit der Kommunikation respektiert wird und eine staatliche Sanktion unterbleibt.
Zum einen gibt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden, polemischen oder verletzenden Gehalts einer Äußerung. Zum anderen gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Zu den Bedingungen der Persönlichkeitsentfaltung gehört es, dass der Einzelne einen Raum besitzt, in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann. Aus der Bedeutung einer solchen Rückzugsmöglichkeit für die Persönlichkeitsentfaltung folgt, dass der Schutz des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG auch die Privatsphäre umfasst. Am Schutz der Privatsphäre nimmt auch die vertrauliche Kommunikation teil. Gerade bei Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen steht häufig weniger der Aspekt der Meinungskundgabe und die damit angestrebte Einwirkung auf die Meinungsbildung Dritter als der Aspekt der Selbstentfaltung im Vordergrund. Nur unter den Bedingungen besonderer Vertraulichkeit ist dem Einzelnen ein rückhaltloser Ausdruck seiner Emotionen, die Offenbarung geheimer Wünsche oder Ängste, die freimütige Kundgabe des eigenen Urteils über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung möglich. Unter solchen Umständen kann es auch zu Äußerungsinhalten oder -formen kommen, die sich der Einzelne gegenüber Außenstehenden oder in der Öffentlichkeit nicht gestatten würde. Gleichwohl verdienen sie als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung den Schutz des Grundrechts.
Vor diesem Hintergrund setzen sich im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung zwischen den Grundrechten des Beamten und dem öffentlichen Interesse an der Funktionsfähigkeit der Verwaltung die Grundrechte des Beamten auf den Schutz der Meinungsfreiheit und der Vertraulichkeit der Kommunikation durch, sofern (nur) ein Verstoß gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht vorliegt. Denn neben dem den grundrechtlich geschützten Interessen des Beamten zukommenden Gewicht ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass wegen der Vertraulichkeit der Kommunikation nicht die Gefahr besteht, dass die Äußerungen in die Öffentlichkeit dringen. Im Falle eines Verstoßes (auch) gegen die politische Treuepflicht, die dem Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung als unverzichtbarer verfassungsrechtlicher Grundlage dient und deren Erfüllung durch die Beamten für die Funktionsfähigkeit des Staates unerlässlich ist, ist dieses Abwägungsergebnis nicht in gleicher Weise vorgezeichnet. Lassen die in Rede stehenden vertraulichen Äußerungen einen Rückschluss auf eine ernsthafte verfassungsfeindliche Gesinnung des Beamten zu, gebietet das öffentliche (Sicherheits-)Interesse auch in Ansehung der Vertraulichkeit der Kommunikation die Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis, da Art. 33 Abs. 4 GG es nicht erlaubt, Verfassungsfeinde mit der Ausübung staatlicher Aufgaben zu betrauen und es die Grundentscheidung des Grundgesetzes zur Konstituierung einer wehrhaften Demokratie nicht zulässt, dass Beamte im Staatsdienst tätig werden, die die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnen und bekämpfen.
Nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG müssen Beamte sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Mit der Treuepflicht ist insbesondere ein Verhalten unvereinbar, das objektiv geeignet oder gar darauf angelegt ist, die Ziele des verbrecherischen NS-Regimes zu verharmlosen sowie Kennzeichen, Symbole oder sonstige Bestandteile der NS-Ideologie (wieder) gesellschaftsfähig zu machen und gleichsam im Sinne der „nationalsozialistischen Sache“ zu wirken.
§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG fordert ein Bekennen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und ein Eintreten für deren Erhaltung, wobei die Verpflichtung zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nach § 33 Abs. 1 Satz 3 2. Alt. BeamtStG weiter geht als die Pflicht, sich zu ihr gemäß § 33 Abs. 1 Satz 3 1. Alt. BeamtStG zu bekennen: Die Pflicht zum Eintreten verlangt, dass der Beamte sich nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren Ein Verstoß gegen § 33 Abs. 1 Satz 3 2. Alt. BeamtStG setzt mithin nicht zwingend das Vorliegen einer verfassungsfeindlichen Gesinnung voraus. Ein Beamter darf daher auch nicht entgegen seiner inneren verfassungstreuen Gesinnung aus Solidarität zu Freunden, aus Übermut, aus Provokationsabsicht oder aus anderen Gründen nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen und sich objektiv betrachtet illoyal verhalten.
Der Verstoß gegen die Pflicht zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung (§ 33 Abs. 1 Satz 3 2. Alt. BeamtStG) erfordert ein nach außen gerichtetes Verhalten des Beamten. Im Schutzbereich vertraulicher Kommunikation, in dem inkriminierte Äußerungen ohne echten Kundgabewillen nur im engsten Familien- oder Freundeskreis gefallen sind und der Beamte aufgrund der besonderen Vertrautheit der Beteiligten und der Vertraulichkeit der Gesamtumstände nicht mit einem Bekanntwerden bzw. einer Weitergabe seiner Äußerungen rechnen muss, erreichen diese daher regelmäßig nicht das für die Annahme eines Verstoßes gegen die Pflicht aus Art. 33 Abs. 1 Satz 3 2. Alt. BeamtStG erforderliche Gewicht. Das Verhalten des Beamten stellt sich in diesen Fällen nicht als ein Unterstützen verfassungswidriger Bestrebungen „nach außen hin“ mit der Folge eines Verstoßes gegen die Pflicht zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG dar. Im Schutzbereich der Vertraulichkeit der Kommunikation überwiegt das öffentliche Bedürfnis nach disziplinarer Ahndung die Grundrechte des Beamten auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und auf Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) nur dann, wenn Äußerungen mit objektiv verfassungsfeindlichem Inhalt oder die widerspruchslose Hinnahme verfassungsfeindlicher Äußerungen auch eine entsprechende ernsthafte Gesinnung im Sinne einer inneren Abkehr von den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widerspiegeln und wenn der Beamte aus seiner politischen Überzeugung Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, für die Art der Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten im Sinne seiner politischen Überzeugung zieht.
Entgegen der Ansicht des Klägers gilt dies auch im Falle „verschriftlichter“ Kommunikation in geschlossenen WhatsApp-Chats mit Chatpartnern, zu denen ein besonderes Näheverhältnis der vorbeschriebenen Art besteht. Solche Chats sind vor dem Hintergrund der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sowie des Umstands, dass auch der Zugang zu den Mobiltelefonen, über die sie geführt werden, in aller Regel besonders geschützt sind, grundsätzlich für niemanden außerhalb der Kommunikation einsehbar. Zudem hat die digitale Kommunikation über geschlossene Chats insbesondere für jüngere Menschen seit langem eine zentrale soziale und emotionale Bedeutung. Sie stellt für viele Jugendliche und jüngere Erwachsene den primären Kommunikationskanal dar und ersetzt angesichts der ständigen Verfügbarkeit und der Möglichkeit, auch über größere Entfernungen hinweg in Echtzeit zu kommunizieren, weithin die Kommunikation über Brief und unter vier Augen. Darüber hinaus werden über solche Chats Emojis, Memes, Sprachmemos, Bilder und Insider-Witze geteilt, die der Selbstdarstellung dienen und zur Gruppen- und Freundschaftsbindung beitragen. Die Nutzung digitaler Kommunikation über geschlossene Chats ist daher von großer Bedeutung für die grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsentfaltung und die Ausübung der Meinungsfreiheit frei von staatlicher Beobachtung und Sanktionen.
Zwischen dem Beklagten und seinem früheren Streifenkollegen D. sowie zu V. bestand ein besonderes Vertrauensverhältnis der vorbeschriebenen Art. Bei den mit ihnen geführten Chats handelt es sich daher um besonders geschützte Kommunikationsräume ähnlich einem Gespräch unter vier Augen, bei denen der Beklagte insbesondere auch nicht mit einem Bekanntwerden seiner Äußerungen rechnen musste. Zeitweise, insbesondere im Hinblick auf die vom Beklagten als sehr anstrengend beschriebene Zeit als Personenschützer einer Person, deren Verhalten er als unzumutbar empfunden hatte, war D. sein einziger Ansprechpartner. Nach Einschätzung des Vorgesetzten des Beklagten S. war möglicherweise eine mangelnde Vielfalt an sozialen Kontakten auslösend dafür, dass der Beklagte sich dazu verleiten ließ, sich mit seinem Freund und ehemaligen Streifenpartner in diese inhaltlich absolut verwerfliche Kommunikation hineinzusteigern.
Auch der Chat mit V. war zur Pflege einer privaten Freundschaft bestimmt. Der Beklagte hatte sie ursprünglich auf einer Dating-Plattform kennengelernt und sie zeitweise „gut gefunden“ und daher auch beeindrucken wollen. Dementsprechend enthalten die über einen Zeitraum von fast vier Jahren geführten Chats erkennbar vertrauliche Kommunikation über Alltagserlebnisse, Empfindungen und Wünsche.
Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue, der im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung mit dem öffentlichen Bedürfnis nach disziplinarer Ahndung überwiegen würde, liegt nicht vor. Das Vorliegen einer verfassungsfeindlichen Einstellung des Beklagten im Zeitpunkt der Taten lässt sich nicht zur vollen Überzeugung des Senats feststellen.
Im Übrigen haben sich während des gesamten Verfahrens keine Anhaltspunkte für eine fehlende Verfassungstreue des Beklagten bzw. für eine ausländerfeindliche, nationalsozialistische oder antisemitische Einstellung ergeben. Die Vorgesetzten des Beklagten haben übereinstimmend geäußert, bislang nie fremdenfeindliche, rechtsradikale oder sonst herabwürdigende Verhaltensweisen gegenüber ausländischen Personen, mit denen der Beklagte dienstlich zu tun hatte, oder gegenüber Kollegen mit Migrationshintergrund beobachtet oder gemeldet erhalten zu haben. Er mache in seinem stets kommunikativen, höflichen und korrekten, aber auch verständnisvollen Auftreten gegenüber Beschuldigten oder Zeugen keine Unterschiede hinsichtlich der Herkunft oder sozialen Stellung des Gegenübers. Die dem Beklagten vorgeworfene Kommunikation passe aus Sicht der Vorgesetzten nicht zu dem im Dienst gezeigten Verhalten. Weder in dienstlichem Zusammenhang noch in privaten Erzählungen seien rechtsradikale bzw. antisemitische Äußerungen oder Aussagen gefallen, die an der Haltung des Beklagten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung Zweifel aufkommen ließen.
Auch das Verwaltungsgericht und der Senat haben in den mündlichen Verhandlungen nicht den Eindruck gewonnen, dass es sich beim Beklagten um einen Antisemiten, Ausländerfeind oder sonstigen Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung handelt.
Allerdings hat er gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten außerhalb des Dienstes gemäß § 34 Satz 3 BeamtStG in der von 7. Dezember 2018 bis 6. Juli 2021 geltenden Fassung und gegen die Pflicht zur unparteiischen Amtsführung verstoßen und dadurch ein Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG begangen. Auch wenn die Äußerungen des Beklagten sowie der Umstand, dass er den verfassungsfeindlichen Äußerungen des A. nicht entgegengetreten ist, nicht als Betätigung einer verfassungsfeindlichen Einstellung des Beklagten oder als Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen gesehen werden können, hat er den diesbezüglichen Anschein erweckt und damit Zweifel an seiner unparteiischen Amtsführung begründet. Im Interesse des Vertrauens der Öffentlichkeit in eine dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat verpflichtete Beamtenschaft sind Beamte gehalten zu vermeiden, dass sie durch ihr außerdienstliches Verhalten in vorhersehbarer und daher zurechenbarer Weise den Anschein setzen, sich mit dem Nationalsozialismus zu identifizieren oder auch nur mit ihm zu sympathisieren. Denn im Interesse der Akzeptanz und der Legitimation staatlichen Handelns sind sie verpflichtet, bereits den Schein der Identifikation mit einem dem freiheitlichen Rechtsstaat diametral entgegengesetzten Gedankengut und mit Vereinigungen zu vermeiden, die sich zu einem solchen Gedankengut bekennen. Schon das zurechenbare Setzen eines solchen Scheins stellt eine disziplinarrechtlich bedeutsame Dienstpflichtverletzung dar. Pflichtwidrig handelt also auch der, der zwar kein Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, durch konkretes Handeln aber diesen Rechtsschein begründet.
Die inner- und außerdienstlichen Pflichtenverstöße führen nach dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens zu einer Ahndung durch eine einheitliche Disziplinarmaßnahme. Im Rahmen der dem Gericht obliegenden Maßnahmebemessung ist die Zurückstufung um eine Stufe in das Amt eines Kriminalobermeisters (Besoldungsgruppe A 8) geboten.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der langen Verfahrensdauer und der mehr als viereinhalb Jahre andauernden vorläufigen Dienstenthebung, die den Beklagten psychisch stark belastet haben und derentwegen er sich nach eigenen Angaben in psychologische Behandlung begeben musste, spricht der Senat eine Zurückstufung in das nächstniedrigere Amt aus. Diese hält er zur erzieherischen Einwirkung auf den Beklagten für ausreichend, zugleich aber auch für geboten und verhältnismäßig.
Das Fazit
Sind Äußerungen Ausdruck eines besonderen Vertrauens und besteht keine begründete Gefahr ihrer Weitergabe, geht der Schutz der Vertrauenssphäre auch dann nicht verloren, wenn sich der Staat, wie etwa bei einer Briefkontrolle bei Strafgefangenen oder durch anderweitige strafrechtliche Ermittlungen und eine Durchsuchung Kenntnis von vertraulich getätigten Äußerungen verschafft. Der Kreis möglicher Vertrauenspersonen ist dabei nicht auf Eheleute oder Eltern beschränkt, sondern erstreckt sich auf ähnlich enge – auch rein freundschaftliche – Vertrauensverhältnisse. Entscheidend für den grundrechtlichen Schutz der Vertrauensbeziehung ist, dass ein Verhältnis besteht, welches für den Betroffenen in seiner Funktion, ihm einen Raum zu bieten, in dem er ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann, dem Verhältnis vergleichbar ist, wie es in der Regel zu Eheleuten, Eltern oder auch anderen Familienangehörigen besteht. Ein solches besonderes Näheverhältnis kann auch zwischen Menschen bestehen, die als Mitglieder einer Gruppe Gleichgesinnter mit gemeinsamen Freizeitgewohnheiten („Clique“) befreundet sind. Für junge Menschen sind in der Funktion als Ort entlasteter und entlastender vertrauensvoller Kommunikation häufig gerade Freundschaften dieser Art besonders wichtig. Zur Beurteilung, ob im Einzelfall zwischen den an einer Kommunikation Beteiligten ein derartiges Vertrauensverhältnis besteht, sind neben dem Charakter der Vertrauensbeziehung die Art und der Kontext der inkriminierten Äußerung zu berücksichtigen.
vorgehend:
VG München, Urteil vom 08.02.2023 – M 19L DK 22.2278