Schmerzensgeld wegen "Mobbings"

Der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Fürsorgepflicht umfasst auch Ersatz für immaterielle Schäden.

Die Prüfung der als "Mobbing" bezeichneten Zusammenfassung einer aus Einzelhandlungen bestehenden systematischen Verletzung der Fürsorgepflicht macht eine Gesamtbetrachtung der Einzelakte erforderlich.

BVerwG, Urteil vom 28.03.2023 – 2 C 6.21 –

Der Fall

Die Klägerin begehrt immateriellen Schadensersatz wegen "Mobbings".

Sie stand bis zum Jahr 2017 als Stadtverwaltungsoberrätin im Dienst der beklagten Gemeinde; seit 2007 war sie mit der Leitung eines Fachbereichs betraut. Nach seiner Wiederwahl verfügte der Oberbürgermeister der Beklagten eine Neuorganisation des Verwaltungsaufbaus, und eine Reduzierung der Fachbereiche. In der Folge wurde die Klägerin auf die neu gebildete "Stabsstelle Recht" umgesetzt.

Hiergegen wendete sich die Klägerin zunächst. Da sie im Zeitpunkt des Wirksamwerdens ihrer Umsetzung krankheitsbedingt nicht im Dienst war, wurde ihr bisheriges Dienstzimmer − nach Anhörung − geräumt und die darin befindlichen Gegenstände vorübergehend in ein anderes Büro verbracht, das auch früher schon von ihr genutzt worden war. Die dorthin führenden "sehr steilen Treppen" waren aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht bereits im Jahr 2010 beanstandet worden. Im Juni 2015 erhielten die im Dachgeschoss untergebrachten Bediensteten andere Dienstzimmer.

Anlässlich der von der Klägerin erwirkten Gerichtsurteile stellte der Personalrat der Beklagten eine Pressemitteilung auf der Homepage ein, in der u. a. ausgeführt wurde: "Was nicht zur Verhandlung vor Gerichten, egal welcher Instanz, stehen wird, ist die auf der Strecke gebliebene Moral. Sich über Monate bei voller Besoldung als Chefjuristin der Verwaltung in 'Krankheit' zu flüchten, weil man persönlich der Ansicht ist, arbeitsseitig unterfordert zu sein, sollte man den vielen fleißigen Beschäftigten, Beamten unserer Stadt einmal versuchen zu erklären."

Die Klägerin sieht in diesen und weiteren Verhaltensweisen ein gezieltes "Mobbing" des Oberbürgermeisters, der ihr gegenüber auch offenbart habe, im Rahmen seines Wahlkampfes im Frühjahr 2014 das Vertrauen in ihre Person verloren zu haben.

Nachdem die Klägerin die Beklagte erfolglos zur Zahlung von Schadensersatz aufgefordert hatte, hat sie zunächst Untätigkeitsklage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat daraufhin festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus der in den Jahren 2014 bis 2016 durch die Beklagte begangenen Verletzungen des Beamtenverhältnisses noch entstehen werden, und die Beklagte verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 23 000 € zu zahlen. Die Klägerin sei Opfer eines "Mobbings" durch den Oberbürgermeister geworden. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Zwar könne in dem Vertrauensverlust des Oberbürgermeisters eine plausible Motivation für eine Ausgrenzung und Diskriminierung der Klägerin liegen. Aus einem denkbaren Beweggrund könne indes nicht geschlossen werden, dass die in Rede stehenden Maßnahmen als gezielte Angriffe auf die Person der Klägerin zu bewerten wären. Vielmehr erfülle keiner der von der Klägerin geschilderten Einzelaspekte den Begriff des "Mobbings", sodass der Senat auch bei der gebotenen Gesamtbetrachtung kein als "Mobbing" zu qualifizierendes Verhalten der Beklagten feststellen könne.

Die Entscheidung

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 8. Oktober 2020 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen, da es von unzutreffenden rechtlichen Maßstab für die Prüfung der als "Mobbing" gerügten Maßnahmen der Beklagten ausgegangen ist und seine tatsächlichen Feststellungen unter Verstoß gegen die hierfür geltenden Verfahrensregelungen getroffen hat.

Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, dass "Mobbing" weder eine Anspruchsgrundlage noch ein Rechtsbegriff ist. Der von der Klägerin vorgetragene Sachverhalt muss daher in rechts förmige Kategorien eingeordnet werden. Mögliche Anspruchsgrundlage ist der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Fürsorgepflicht.

Das Rechtsinstitut des beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruchs findet seinen Rechtsgrund im Beamtenverhältnis und begründet einen unmittelbar gegen den Dienstherrn gerichteten Ersatzanspruch für Schäden, die aus einer Verletzung der aus dem Beamtenverhältnis folgenden Pflichten entstehen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Dienstherr eine dem Beamten gegenüber bestehende Pflicht schuldhaft verletzt hat, die Rechtsverletzung adäquat kausal für den Schadenseintritt war und der Beamte es nicht unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines ihm zumutbaren Rechtsmittels abzuwenden (vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 15.11.2022 - 2 C 4.21). Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn aus § 45 BeamtStG vermittelt dem Beamten Anspruch auf Schutz und Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte, sie verpflichtet den Dienstherrn, Schädigungen der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Beamten zu vermeiden. Unter den Voraussetzungen einer Verletzung der Fürsorgepflicht kann mit dem beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruch daher auch ein Ersatz für immaterielle Schäden gewährt werden (vgl. § 253 Abs. 2 BGB). Dies gilt auch, soweit durch eine gezielte Unterbeschäftigung die Fürsorgepflicht verletzt worden ist.

Mit der Bezeichnung als "Mobbing" soll dabei ein bestimmtes Gesamtverhalten als Verletzungshandlung im Rechtssinne qualifiziert werden. Die rechtliche Besonderheit der als "Mobbing" bezeichneten tatsächlichen Erscheinungen liegt darin, dass nicht eine einzelne, abgrenzbare Handlung, sondern die Zusammenfassung mehrerer Einzelakte zu einer Rechtsverletzung des Betroffenen führen kann. Wesensmerkmal der als "Mobbing" bezeichneten Beeinträchtigung ist die systematische, sich aus vielen einzelnen Handlungen zusammensetzende Verletzungshandlung, wobei den einzelnen Handlungen bei isolierter Betrachtung eine rechtliche Bedeutung oft nicht zukommt (vgl. BAG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 8 ARZ 709/06 -). "Mobbing" ist als ein "systematisches Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren" verstanden worden.

Diesen Maßstab hat das Berufungsgericht verkannt. In der − auf einen einzigen Satz beschränkten − Begründung der kommt vielmehr zum Ausdruck, dass das Oberverwaltungsgericht bereits dem Umstand, dass es keinem der geschilderten Einzelmaßnahmen für sich genommen die Qualität eines "Mobbings" zuerkannte, maßgebliche Bedeutung zugemessen hat. Damit wird das Wesen und die rechtliche Qualität der vorgetragenen Fürsorgepflichtverletzung durch "Mobbing" nicht zutreffend erfasst. Durch die defizitäre Betrachtung des Gesamtgeschehens hat es das Berufungsgericht insbesondere versäumt, die Möglichkeit eines Gesamtsystems der vorgetragenen Einzelmaßnahmen in den Blick zu nehmen. Entsprechendes gilt für die Betrachtung der Zuweisung eines Dienstzimmers, dessen sicherheitsrechtliche Bedenken bekannt waren.

Das Berufungsgericht hat seine tatsächlichen Feststellungen auch unter Verstoß gegen die hierfür geltenden Verfahrensregelungen getroffen. Den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gestellten Antrag, zum Beweis der Tatsache, dass der Oberbürgermeister der Beklagten die Verlautbarung des Personalrats vor deren Erscheinen am 12. Dezember 2015 in der Presse gekannt habe, die benannten Personalratsmitglieder als Zeugen zu vernehmen, hat das Berufungsgericht wegen mangelnder Entscheidungserheblichkeit der unter Beweis gestellten Tatsachen abgelehnt. Angesichts der vom Oberbürgermeister artikulierten Ablehnung eines Führens der Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit könne das Versäumnis, die Persönlichkeitsrechte der Klägerin mit hinreichendem Nachdruck zu verteidigen, "nicht für sich genommen, sondern nur in Verbindung mit anderen Handlungsweisen − an denen es indes fehlt − geeignet [sein], auf ein 'Mobbing' hinzuweisen" (UA S. 27).

Diese Erwägung trägt die unterstellte Unerheblichkeit der Beweistatsache nicht. Denn nach der Begründung des Berufungsgerichts ist es nicht ausgeschlossen, dass die unter Beweis gestellte Tatsache, wenn sie erwiesen wäre, die Entscheidung des Gerichts beeinflussen könnte. Die Ablehnung des Beweisantrags darf aber nicht dazu führen, dass aufklärbare, zugunsten eines Beteiligten sprechende Umstände der gebotenen Gesamtabwägung im Rahmen der Beweiswürdigung entzogen werden (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2004 -2 StR 156/04).

Damit sind die Grundsätze des Kausalitätsmaßstabs nicht zutreffend erfasst. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Voraussetzung für die Geltendmachung eines beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruchs, dass die Rechtsverletzung adäquat kausal für den Schadenseintritt war.

Liegen mehrere Ursachen vor, ist grundsätzlich jede von ihnen als wesentliche (Mit-)Ursache anzusehen, wenn sie annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Erfolgs hat (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2019 - 2 A 6.18/121219U2A6.18.0). Diesen Maßstäben entspricht die Auffassung des Berufungsgerichts nicht. Es verlangt eine − alleinige − Ursache, in dem die Anforderung aufgestellt wird, dass die nicht amtsangemessene Verwendung "die Erkrankung auch ohne die weiteren Umstände hervorgerufen hätte".

Das Fazit

Die rechtliche Besonderheit der als "Mobbing" bezeichneten tatsächlichen Erscheinungen liegt darin, dass nicht eine einzelne, abgrenzbare Handlung, sondern die Zusammenfassung mehrerer Einzelakte zu einer Rechtsverletzung des Betroffenen führen kann. Wesensmerkmal der als "Mobbing" bezeichneten Beeinträchtigung ist die systematische, sich aus vielen einzelnen Handlungen zusammensetzende Verletzungshandlung, wobei den einzelnen Handlungen bei isolierter Betrachtung eine rechtliche Bedeutung oft nicht zukommt. Im Einzelfall sind daher mit Blick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherren die Gesamtumstände zu berücksichtigen.

Vorgehend:

VG Halle − 27.03.2019 − AZ: 5 A 519/16.HAL

OVG Magdeburg − 08.10.2020 − AZ: 1 L 72/19

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