Rückforderung von Anwärterbezügen bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf

1. Das Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst ist dann von dem Beamten auf Widerruf mit der Folge einer möglichen Rückforderung von Anwärterbezügen zu vertreten, wenn es auf Umständen beruht, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind. Dies ist bei einer Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf wegen mangelnder charakterlicher Eignung nicht per se ausgeschlossen, sondern nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu prüfen.

2. Erfolglose Beschwerde einer Beamtin auf Widerruf gegen die Rückforderung von Anwärterbezügen, nachdem sie wegen mehrmaligen Konsums von Cannabis und ihres dienstlichen Verhaltens nach der festgestellten Verfehlung gegenüber Dienstvorgesetzten und Kollegen aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf wegen charakterlicher Nichteignung entlassen wurde.

BVerwG, Beschluss vom 04.07.2022 – 2 B 5.22 –

Der Fall

Die Klägerin wurde im September 2014 in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zur Kommissaranwärterin ernannt. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom November 2015 entließ das zuständige Polizeipräsidium sie aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf, weil es wegen ihres mehrfachen Konsums von Cannabis und ihrem dienstlichen Verhalten nach der festgestellten Verfehlung gegenüber Dienstvorgesetzten und Kollegen Zweifel an ihrer charakterlichen Eignung hatte. Daraufhin forderte das zuständige Landesamt für Besoldung und Versorgung mit 10 670,25 € einen Teil der Anwärterbezüge zurück. Die Klägerin habe gegen die Wohlverhaltenspflicht verstoßen und damit ihre Entlassung zu vertreten, somit habe sie die Auflage für die Gewährung der Anwärterbezüge nicht erfüllt.

Das Berufungsgericht hat das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Nicht zu folgen sei der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass eine Entlassung wegen fehlender charakterlicher Eignung grundsätzlich nicht auf einem vom Anwärter zu vertretenden Grund beruhe, weil er seine Persönlichkeitsmerkmale regelmäßig nicht ohne Weiteres durch eigenes willensgesteuertes Verhalten verändern könne. Die Entlassung der Klägerin aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf beruhe auf einem ihr vorwerfbaren Verhalten.

Die Entscheidung

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann. Der Frage, "ob bei der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf wegen charakterlicher Nichteignung die Entlassung von dem Beamten zu vertreten ist", kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die sich allein im Zusammenhang mit der Rückforderung von Anwärterbezügen stellende Frage ist - soweit sie in verallgemeinerungsfähiger Form beantwortet werden kann - in der Rechtsprechung des Senats im Sinne des Berufungsurteils geklärt und im Übrigen einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist § 15 Abs. 2 Satz 1 des Besoldungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen in der im maßgebenden Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung gültigen Fassung vom 14. Juni 2016 i. V. m. § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB. Danach besteht ein Anspruch des Dienstherrn auf Rückzahlung von Bezügen, wenn der mit der Leistung bezweckte Erfolg nicht eintritt. Gemäß § 74 Abs. 4 LBesG NRW kann - ebenso wie nach der inhaltsgleichen Regelung des § 59 Abs. 5 BBesG - die Gewährung von Anwärterbezügen für Anwärter, die im Rahmen ihres Vorbereitungsdienstes ein Studium ableisten, von der Erfüllung von "Auflagen" als besonderer Zweckbestimmung im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB abhängig gemacht werden. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, sicherzustellen, dass Anwärter, die zunächst im Rahmen ihres Vorbereitungsdienstes an einer Fachhochschule studieren, aber nicht als Beamte im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn verbleiben, keine finanziellen Vorteile gegenüber anderen Studierenden erlangen.

Der Dienstherr darf die Zahlung der Anwärterbezüge daran knüpfen, dass der Anwärter nicht aus einem von ihm zu vertretenden Grund aus dem Vorbereitungsdienst ausscheidet (vgl. BVerwG, Urteile vom 10. Februar 2000 - 2 A 6.99) Er hat das Ausscheiden aus dem Dienst zu vertreten, wenn es auf Umständen beruht, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind. In der Regel, wenn die Umstände maßgeblich durch sein Verhalten geprägt sind, wobei die Motive für das Ausscheiden aus dem Dienst zu berücksichtigen sind. Entscheidend ist, ob das Verhalten des Beamten auf Widerruf bei der Einbeziehung der Motivation in dem jeweiligen rechtlichen Zusammenhang, in dem er steht, "billigerweise" dem von dem Bediensteten oder dem vom Dienstherrn zu verantwortenden Bereich zuzuordnen ist. Dazu bedarf einer Prüfung und Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Dies gilt auch bei einer Entlassung eines Beamten aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf wegen charakterlicher Nichteignung. Ein Vertretenmüssen des Ausscheidens aus dem Dienst ist in dieser Fallkonstellation nicht - wie die Beschwerde meint - per se ausgeschlossen.

Begründete Zweifel an der charakterlichen Eignung als Unterfall der persönlichen Eignung (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2003 - 2 A 1.02) des Beamten auf Widerruf für die angestrebte Beamtenlaufbahn stellen nach der Rechtsprechung des Senats einen sachlichen Grund dar, der die "jederzeitige" Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf - hier gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG - rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1981 - 2 C 48.78 - BVerwGE 62, 267 <269 ff.>). Für die die charakterliche Eignung ist die prognostische Einschätzung entscheidend, inwieweit der Beamte der von ihm zu fordernden Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung gerecht wird. Dies erfordert eine wertende Würdigung aller Aspekte des Verhaltens des Beamten, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale zulassen. Dies schließt nicht aus, dass sich die begründeten Zweifel an der charakterlichen Eignung eines Beamten auch aus einem einmaligen Fehlverhalten ergeben können, wenn dieses die charakterlichen Mängel hinreichend deutlich zu Tage treten lässt. Selbstverständlich kann es sich dabei um willensgesteuerte Verhaltensweisen des Beamten handeln, die auf die charakterliche Nichteignung schließen lassen. Ob solche Verhaltensweisen vorliegen und das für die Rückforderung von Anwärterbezügen erforderliche Vertretenmüssen des Widerrufs des Beamtenverhältnisses nach dem dargestellten Maßstab begründen, bedarf der Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls, die der rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.

Das Oberverwaltungsgericht ist nicht der Annahme des Verwaltungsgerichts gefolgt, dass die fehlende charakterliche Eignung im Allgemeinen kein vom Beamten zu vertretender Grund sein kann. Es hat geprüft, ob die Klägerin die zum Widerruf des Beamtenverhältnisses führenden Umstände zu vertreten hat. Es ist zu der Überzeugung gelangt, dass die vom Dienstherrn beanstandeten Verhaltensweisen - der Konsum von Cannabis, die Aussagen über eine Kollegin, die fehlende Einsichtigkeit gegenüber Vorgesetzten sowie die uneinsichtige und kritikunfähige Reaktion gegenüber Ausbildern - dem Einfluss der Klägerin unterlagen und es ihr freigestanden hätte, diese zu unterlassen oder anzupassen. Es hat keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass die Klägerin aus gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht in der Lage gewesen wäre, sich in den jeweiligen Situationen anders zu verhalten.

Ein Verwaltungsakt, solange er nicht aufgehoben ist, entfaltet mit der in ihm verbindlich mit Wirkung nach außen getroffenen Regelung Bindungswirkung. Aus dieser Tatbestandswirkung folgt, dass mit dem gegenüber einem Widerrufsbeamten - hier bestandskräftig - ergangenen Entlassungsbescheid die im Entscheidungssatz verfügte Beendigung des Beamtenverhältnisses auf Widerruf verbindlich ist. Eine darüber hinausgehende Feststellungswirkung kommt der Verfügung hinsichtlich der zur Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf führenden Gründe nicht zu. Denn eine Feststellungswirkung muss nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausdrücklich gesetzlich angeordnet sein (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 1998 - 1 C 19.97). Für den Anspruch auf Rückzahlung gewährter Anwärterbezüge fehlt es offenkundig an einer solchen gesetzlichen Anordnung. Die für den Rückforderungsanspruch maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen, § 15 Abs. 2 Satz 1 LBesG NRW i. V. m. § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB und § 74 Abs. 4 LBesG NRW, nehmen nicht auf den Grund der Entlassung Bezug. Lediglich die vom Dienstherrn getroffene "Auflage" für die Gewährung von Bezügen für Anwärter der Laufbahn des gehobenen Polizeivollzugsdienstes im Land Nordrhein-Westfalen knüpft u. a. daran an, dass das Beamtenverhältnis auf Widerruf nicht aus einem vom Widerrufsbeamten zu vertretenden Grund endet. Hierüber entscheiden das für Besoldung und Versorgung zuständige Landesamt und im Streitfall die Verwaltungsgerichte ohne Bindung an die Feststellungen in der Entlassungsverfügung der dafür zuständigen Behörde, auch wenn regelmäßig kein Anlass zu einer abweichenden Beurteilung bestehen mag.

Das Fazit

Der Dienstherr darf die Zahlung der Anwärterbezüge daran knüpfen, dass der Anwärter nicht aus einem von ihm zu vertretenden Grund aus dem Vorbereitungsdienst ausscheidet und sie dementsprechend zurückfordern, wenn das Ausscheiden aus dem Dienst auf Umständen beruht, die in dem Verhalten des Anwärters oder der Anwärterin liegen. Entscheidend ist, ob das Verhalten bei der Einbeziehung der Motivation in dem jeweiligen rechtlichen Zusammenhang, in dem er steht, "billigerweise" dem von dem Bediensteten oder dem vom Dienstherrn zu verantwortenden Bereich zuzuordnen ist. Dazu bedarf einer Prüfung und Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls.

Es muss eine Prognose getroffen werden, ob der ein Beamter oder eine Beamtin die geforderte Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung charakterlich erfüllen kann. Dazu müssen alle Verhaltensaspekte berücksichtigt werden, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale zulassen.

vorgehend: VG Düsseldorf - 05.07.2019 - AZ: 26 K 6659/17

OVG Münster - 16.12.2021 - AZ: 3 A 3218/19

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