Untersuchung der Dienstfähigkeit eines Bundespolizeibeamten vorläufig untersagt

Der Bundesrepublik Deutschland wird es bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens, längstens für sechs Monate, untersagt, die Dienstfähigkeit des Beschwerdeführers auf der Grundlage der Anordnung vom 2. Dezember 2019 untersuchen zu lassen.

 

(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13.05.2020, Aktenzeichen 2 BvR 652/20)

Der Fall

Der Beschwerdeführer ist Polizeiobermeister der Bundespolizei. Auf Anordnung der unterzog er sich im Frühjahr 2019 einer amtsärztlichen Untersuchung. Laut amtsärztlichen Gutachten war der Beschwerdeführer für den Polizeivollzugsdienst aufgrund einer Suchterkrankung nicht uneingeschränkt geeignet, das ändere sich auch innerhalb der nächsten zwei Jahre nicht. Er könne nur im Innen- oder Verwaltungsdienst ohne Schichttätigkeit verwendet werden; für den allgemeinen Verwaltungsdienst sei er gesundheitlich geeignet.

Nach einem weiteren Rückfall erließ die Bundespolizei eine Untersuchungsanordnung., gegen die er sich gerichtlich wehrte. Untersucht werden sollte, ob er für den Polizeivollzugsdienst gesundheitlich uneingeschränkt geeignet sei oder innerhalb der nächsten zwei Jahre die volle Verwendungsfähigkeit für den Polizeivollzugsdienst wiedererlangen werde, sowie ob er für eine Verwendung im allgemeinen Verwaltungsdienst einschließlich erforderlicher Umschulungsmaßnahmen gesundheitlich geeignet sei und innerhalb von sechs Monaten seine uneingeschränkte Dienstfähigkeit für den allgemeinen Verwaltungsdienst wiedererreichen werde.

Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, den Vollzug der Untersuchungsanordnung per einstweiliger Anordnung zu untersagen. Zur Begründung trug er unter anderem vor, dass die angeordnete Untersuchung nicht vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gedeckt sei. Die Untersuchungsmethoden seien zwar möglicherweise geeignet, seine Polizeivollzugsdienstfähigkeit zu überprüfen. Diese sei aber bereits in dem ersten Gutachten für die nächsten zwei Jahre ausgeschlossen worden.

Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag nach summarischer Prüfung ab. Es lägen tatsächliche Feststellungen vor, die hinreichende Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beschwerdeführers begründeten. Ein Rückfall - in Anbetracht der langen Fehlzeit und der Vorgeschichte - lasse den Schluss zu, dass erneut Alkohol in körperlich schädigender Menge getrunken worden sei und eine (weitere) Veränderung der Persönlichkeit eingetreten sein könne. Der Dienstherr komme mit der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung seiner "Fürsorgepflicht […] nach, einen aktuellen Gesundheitsstatus zu erhalten, der unter Umständen eine neue Beurteilung der (Polizei-)Dienstfähigkeit mit sich bringen […] oder aber auch den bisherigen bestätig[en]" könne. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof wies die anschließende Beschwerde zurück, da die Untersuchungsanordnung den formellen wie materiellen Anforderungen genüge. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 2 GG - jeweils auch in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG - verletzt zu sein. Insbesondere sei die Untersuchung in dem Umfang nicht erforderlich und deshalb unverhältnismäßig.

Zugleich hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG beantragt, um die Möglichkeit einer Prüfung durch das BVerG offenzuhalten. Eine Folgenabwägung falle zu seinen Gunsten aus. Dem Dienstherrn müsse der Vollzug der Untersuchungsanordnung sogar bis zum rechtskräftigen Abschluss des nach erfolgreicher Verfassungsbeschwerde wieder beim Verwaltungsgerichtshof rechtshängigen Eilverfahrens untersagt werden, weil dieser bis zum Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO nicht am Vollzug gehindert sei und sich die Verwaltungsgerichte geweigert hätten, eine Zwischenverfügung zu erlassen.

Nachdem der ursprünglich für März 2020 vorgesehene Untersuchungstermin aufgehoben worden war, bestimmte die zuständige Bundespolizeidirektion einen neuen Untersuchungstermin für den 4. Juni 2020, den sie später auf den 9. Juni 2020 verlegte.

Die Entscheidung

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat überwiegend Erfolg.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten Deshalb bleiben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Es erscheint auf der Grundlage des Vortrags des Beschwerdeführers vielmehr möglich, dass die angegriffene Untersuchungsanordnung und die nachfolgenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte ihn in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzen. Die daher gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG erforderliche Folgenabwägung geht zugunsten des Beschwerdeführers aus. Sollte sich herausstellen, dass die Verfassungsbeschwerde unbegründet ist, wäre es lediglich zu einer (weiteren) Verzögerung der Untersuchung um einige Monate gekommen.

Da es um die Begutachtung möglicher Langzeitschäden der Suchterkrankung geht, wäre hiermit voraussichtlich kein Beweisverlust verbunden. Allenfalls würde eine sich möglicherweise anschließende Zurruhesetzung später eingeleitet werden können. Erginge die einstweilige Anordnung hingegen nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, müsste sich der Beschwerdeführer in der Zwischenzeit einer verfassungswidrigen Untersuchung unterziehen, wenn er das Risiko vermeiden wollte, dass eine Verweigerung der Untersuchung später als unzulässige Beweisvereitelung behandelt werden könnte.

Für den Erlass einer weitergehenden Anordnung besteht kein Bedürfnis. Die Verwaltungsgerichte haben den vom Beschwerdeführer beantragten Erlass einer Zwischenverfügung mit der zutreffenden Erwägung abgelehnt, dass ihre Sachentscheidung rechtzeitig vor dem Untersuchungstermin ergehe.

Das Fazit

Der Polizeiobermeister braucht nicht schon vor dem Ausgang des Hauptsacheverfahrens einer weiteren Untersuchung zuzustimmen. Einen solche umfassende Untersuchung, bei der festgestellt werden sollte, ob er seine volle Dienstfähigkeit innerhalb von sechs Monaten wieder erreichen könnte in seine Grundrechte eingreifen. Vielmehr muss das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde abgewartet werden, auch wenn es dadurch zu einer Verzögerung der Untersuchung kommt.

 

vorgehend: Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 10. März 2020, Az: 1 B 327/20

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