Berücksichtigung von Einsatzzeiten inklusive Ruhezeiten als Arbeitszeit

Die Berücksichtigung von Ruhezeiten im Rahmen von Einsatzzeiten kann uneingeschränkt nur erfolgen, wenn der Dienstherr den Beamten während solcher Zeiten keine Einschränkungen auferlegt, wie sie sich aus dem "sich bereit-Halten" ergeben; er muss sie wirklich "in Ruhe lassen".

BVerwG, Urteil vom 15.04.2021 –2C32.20

Der Fall

Der Kläger ist Polizeihauptmeister im Dienste der Beklagten. Er möchte (über eine bereits gewährte Dienstbefreiung hinaus) weiteren Freizeitausgleich für seinen Einsatz anlässlich des G7-Gipfels in Elmau vom 31. Mai bis zum 9. Juni 2015. Er war während des Einsatzes in einem Hotel untergebracht und angewiesen auch während der so bezeichneten "Ruhezeiten", keinen Alkohol zu sich zu nehmen, seine Waffe zu tragen, und sein Handy stets griffbereit zu haben, um im Bedarfsfall einsetzbar zu sein. Nur während der Schlafenszeit hat er seine Waffe in den Hotelsafe gelegt. Das Hotel durfte er allenfalls zu bestimmten Anlässen und nur nach vorheriger Genehmigung, nicht jedoch nach eigenem Belieben verlassen.

Der Einsatz stand unter der Gesamteinsatzleitung des Präsidenten der Bundespolizeidirektion München. In dem Einsatzbefehl Nr. 2 der Direktion vom 20. Mai 2015 heißt es unter Ziff. 6.2.2:"Die erforderliche Mehrarbeit wird hiermit auf Grundlage des § 88 BBG angeordnet. Bei Vorliegen der Voraussetzungen sollen die Regelungen des § 11 BPolBG in Verbindung mit der hierzu gültigen Erlass/Verfügungslage Anwendung finden. Die Entscheidung über die Höhe des Freizeitausgleichs trifft in diesem Fall der Polizeiführer nach dem Einsatz. Eine vorherige Anordnung/Festlegung ist unzulässig." Für den Einsatz errechnete die Beklagte im Wege einer sog. "spitzen Abrechnung" einen Anspruch auf Freizeitausgleich in Höhe von 102 Stunden. Zusätzlich genehmigte sie dem Kläger einen besonderen Zeitausgleich in Höhe von zwei Tagen. Die "Ruhezeiten" im Umfang von 107 Stunden berücksichtigte sie nicht.

Der Kläger beantragte den Einsatz beim G7-Gipfel pauschal nach § 11 BPolBG abzurechnen und ihm einen Freizeitausgleich in Höhe von 138 Stunden zu gewähren. Die Beklagte lehnte dies ab. Nach erfolgloser Klage vor dem Verwaltungsgericht und anschließender Klage vor dem Oberverwaltungsgericht, dass dem Kläger einen Freizeitausgleich im Verhältnis 1:1 für 107 Stunden zubilligte, legte die Beklagte Revision ein.

Die Entscheidung

Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts wurde aufgehoben und der Antrag abgewiesen, soweit das Berufungsgericht die Beklagte dazu verurteilt hatte, dem Kläger für die im Zeitraum vom 29. Mai bis 9. Juni 2015 über seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus geleistete Dienstzeit im Umfang von mehr als 90,6 Stunden binnen eines Jahres Freizeitausgleich im Verhältnis 1:1 zu gewähren. Im Übrigen wurde die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Das Berufungsurteil beruhte teilweise auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr.1 VwGO). Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitraum des streitgegenständlichen Einsatzes. Der Kläger hat einen Anspruch auf weitere Dienstbefreiung gemäß § 88 Satz 2 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 16o), im hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 6. März 2015 (BGBl. I S. 250), jedoch nur in einem geringeren Umfang als vom Berufungsgericht zugesprochen.

Gemäß § 88 Satz 1 BBG sind Beamtinnen und Beamte verpflichtet, ohne Vergütung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt. Werden sie durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, ist ihnen gemäß § 88 Satz 2 BBG innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren.

§ 88 Satz 2 BBG als Anspruchsgrundlage wurde nicht von § 11 des Bundespolizeibeamtengesetzes (BPolBG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 3. Juni 1976 (BGBl. 1 5. 1357) verdrängt. Die so bezeichneten "Ruhezeiten" des Klägers während des Einsatzes stellen bei zutreffender rechtlicher Einordnung Zeiten des Bereitschaftsdienstes dar, die Beklagte hatte diesbezüglich Mehrarbeit angeordnet. Das Berufungsgericht ist hinsichtlich des Umfangs des dem Kläger zustehenden Freizeitausgleichs zutreffend davon ausgegangen, dass im Rahmen des § 88 Satz 2 BBG für jede Stunde Bereitschaftsdienst eine Stunde Dienstbefreiung zu gewähren ist. Rechtsfehlerhaft ist insoweit lediglich die Nichtberücksichtigung des dem Kläger bereits gewährten besonderen Zeitausgleichs im Umfang von zwei Tagen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt Bereitschaftsdienst vor, wenn der Beamte sich an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs zu einem jederzeitigen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten hat und erfahrungsgemäß mit einer dienstliehen Inanspruchnahme zu rechnen ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Januar 2009 - 2 C 90.07). Bereitschaftsdienst setzt voraus, dass sich der Beamte an einem nicht "privat" frei wählbaren und wechselbaren Ort bereitzuhalten hat und dass die Zeiten von einem "Sich-Bereit-Halten" für einen jederzeit möglichen Einsatz geprägt sind.

So beurteilt es auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union: für die Abgrenzung von Arbeitszeit und Ruhezeit i.S.v. Art. 2 Nr. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (RL 2003/88/EG, Arbeitszeitrichtlinie - ABI. L 299 S. 9). Dies folgt für § 88 Satz 2 BBG zwar nicht unmittelbar aus dem Unionsrecht, doch entspricht dies dem Willen des deutschen Gesetzgebers.

Die Anwendung des Arbeitszeitbegriffs der RL 2003/88/EG ist auf den Anwendungsbereich der Richtlinie beschränkt. Es ist für die Einordnung von Bereitschaftsdienst als "Arbeitszeit" entscheidend, dass sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können, er kann weniger frei über die Zeit verfügen in der er nicht in Anspruch genommen wird. Folglich ist dieser gesamte Zeitraum, unabhängig von den Arbeitsleistungen, die der Arbeitnehmer während dessen tatsächlich erbringt, als "Arbeitszeit" i.S.d. der RL 2003/88/EG einzustufen. (EuGH, Urteile vom 9. März 2021 - C 344/19, Radiotelevizija Slovenija - NZA 2021, 485 Rn. 35 und - C-580/19)

Die von der Beklagten so bezeichneten "Ruhezeiten" der Kläger während des Einsatzes beim G/ -Gipfel stellen Zeiten des Bereitschaftsdienstes i.S.d. § 2 Nr. 12 AZV dar. Die Zeiten waren wegen der die "Ruhezeiten" betreffenden Weisungen zudem von einem "Sich-Bereit-Halten" für einen jederzeit möglichen Einsatz geprägt. Es handelte sich damit nicht bloß um eine Unterbringung der Kläger in einem Hotel, sondern aufgrund der Weisungslage um darüber deutlich hinausgehende Einschränkungen der Möglichkeiten, sich persönlichen und sozialen Interessen zu widmen.

Die Beklagte hat den während der "Ruhezeiten" angefallenen Bereitschaftsdienst auch i.S.d. § 88 Satz 2 BBG als Mehrarbeit angeordnet. "Entsprechende Dienstbefreiung" bedeutet bei Bereitschaftsdienst ebenso wie bei Volldienst voller Freizeitausgleich im Verhältnis 1:1. Auch dies ergibt sich im Fall von Mehrarbeit nicht unmittelbar aus dem Unionsrecht, sondern aus dem nationalen Recht.

Die RL 2003/88/EG enthält keine Vorgaben für die Höhe des von § 88 Satz 2 BBG vorgesehenen Ausgleichsanspruchs für Mehrarbeit. Die Regelungen der Richtlinie wie Art. 6 Buchst. b) RL 2003/88/EG verlangen, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit die arbeitsschutzrechtlichen Regelungen der Richtlinie eingehalten werden und z.B. die durchschnittliche Arbeitszeit im Sieben-Tages-Bezugszeitraum von 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschritten wird. Zur Umsetzung der Richtlinie ist es daher insbesondere erforderlich, dass Regelungen getroffen werden, die z.B. ein Überschreiten dieser Grenze verhindern und die die Spielräume der Richtlinie lediglich in unionsrechtskonformer Weise umsetzen. Die Richtlinie verlangt jedoch nicht, dass ein rein mitgliedstaatlicher Ausgleichsanspruch für die Überschreitung der mit-gliedstaatlich geregelten regelmäßigen Arbeitszeit eine bestimmte Höhe hat.

Das Fazit

Unabhängig vom Unionsrecht sieht § 88 Satz 2 BBG einen Anspruch auf eine Stunde Dienstbefreiung je Stunde Bereitschaft vor. Dienstbefreiung für Mehrarbeit gewährleistet die Einhaltung der regelmäßigen Arbeitszeit, jedenfalls im Gesamtergebnis. Dem Beamten soll in ungeschmälertem Umfang Freizeit zur Verwendung nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Interessen zur Verfügung stehen. Die Berücksichtigung von Ruhezeiten im Rahmen von Einsatzzeiten kann uneingeschränkt nur erfolgen, wenn der Dienstherr den Beamten während solcher Zeiten keine Einschränkungen auferlegt, wie sie sich aus dem "sich bereit-Halten" ergeben; er muss sie wirklich "in Ruhe lassen".

vorgehend: OVG 5LC/18

zurück