Umgang mit Zeitguthaben nach Entfernung aus dem Beamtenverhältnis
Ein Anspruch auf Auszahlung eines Zeitguthabens auf einem Lebensarbeitszeitkonto besteht nicht, wenn die Gründe für die Beendigung des Beamtenverhältnisses selbstverschuldet sind.
Die Auszahlung einer Mehrarbeitsvergütung anstatt Freizeitausgleichs kann nicht erfolgen, wenn die Gründe für die Unmöglichkeit der Dienstbefreiung bzw. des Freizeitausgleichs in der Person des Beamten liegen und so keine zwingenden dienstlichen Gründe vorliegen.
Der Fall
Der Kläger war Beamter in Hessen und wurde auf Grundlage von § 13 des Hessischen Disziplinargesetzes (HDG) rechtskräftig aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Ab dem 4. Oktober 2010 war er vorläufig gemäß § 43 HDG und mit Eintritt der Rechtskraft eines Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts am 29. Juli 2019 endgültig des Dienstes enthoben.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 8. September 2019 unter anderem die Auszahlung von nicht angetretenem Jahresurlaub im Jahr 2010 und von Mehrarbeitsstunden desselben Jahres sowie eine finanzielle Abgeltung seines Zeitguthabens auf dem Lebensarbeitszeitkonto in Höhe von 600 Stunden. Das lehnte der Beklagte ab, es erging in der Folge ein ablehnender Widerspruchsbescheid gegen den entsprechend Klage erhoben wurde.
Die Entscheidung
Das Gericht hat die Ansprüche des Klägers auf die begehrten Ausgleichzahlungen abgelehnt. Entscheidungserheblich kommt es auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entstehung der Ansprüche an.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung für das Gesamtzeitguthaben zum 31. Dezember 2018 i.H. v. 600 Stunden, weil im hessischen Beamtenrecht keine Rechtsgrundlage für eine solche Entschädigung existiert. Das in §1a HAZVO geregelte Lebensarbeitszeitkonto ist am 1. September 2009 mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der Hessischen Arbeitszeitverordnung vom 7. Juli 2009 (GVBl. I S.270) eingeführt worden. Rückwirkend zum 1. Juli 2007 erfolgt seitdem eine Gutschrift von einer Stunde pro Woche auf dem Lebensarbeitszeitkonto eines Beamten. Mit dem Lebensarbeitszeitkonto wollte der Gesetz- und Verordnungsgeber einen Ausgleich für die von Beamtinnen und Beamten im Vergleich zu Tarifangestellten geleistete Mehrarbeit schaffen und hat sich dabei dafür entschieden, die Mehrarbeit durch Freistellung vom Dienst auszugleichen (§1a Abs.3 Satz1 HAZVO). Ein Ausgleich ist nur in den Fällen des Abs.4 möglich. Diese Fälle sind dadurch gekennzeichnet, dass die Beamten ihren - auf Lebenszeit angelegten - Dienst bis zum - von ihnen nicht zu beeinflussenden - Eintritt in den Ruhestand geleistet haben und an der Inanspruchnahme des Zeitguthabens aufgrund eines von ihnen nicht zu vertretenden Umstandes - Krankheit - gehindert waren. Eine Möglichkeit, die auf dem Lebensarbeitszeitkonto angesparten Stunden durch von ihnen zu beeinflussendes Verhalten in Anspruch zu nehmen, besteht nicht. Weder ist es möglich, auf den Eintritt des Ruhestandes Einfluss zu nehmen, noch besteht die Möglichkeit, auf die Krankheit Einfluss zu nehmen. Da der Kläger jedoch nicht wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt, sondern aus dem Beamtenverhältnis entfernt wurde, greift diese Vorschrift in seinem Fall nicht ein. Aus dem Sinn und Zweck der Regelungen ergibt sich damit, dass der Verordnungsgeber nur solche Störfälle beseitigen wollte, die sich auf die Fälle von Krankheit und Dienstunfähigkeit beschränken, da nur insoweit der Beamte schutzbedürftig ist (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 17. Mai 2022 - 1 A 2306/17 – LaReDa). Folglich sind diese Regelungen restriktiv anzuwenden und eine analoge Heranziehung für den vorliegenden Fall zu vereinen.
2. Nach nationalem Recht besteht keine gesetzliche Grundlage für den begehrten Urlaubsabgeltungsanspruch. Die Bestimmungen der HUrlVO vom 12. Dezember 2006 in der Fassung vom 1. Januar 2007 sehen keine Urlaubsabgeltung in denjenigen Fällen vor, in denen ein Beamter aus disziplinarrechtlichen Gründen aus dem Beamtenverhältnis entfernt wird, mit der Folge, dass damit sein Beamtenverhältnis nach § 21 Nr.3 BeamtStG endet, und er den Erholungsurlaub im Umfang des § 5 HUrlVO nicht durch eine bezahlte Freistellung vom Dienst in Anspruch genommen hat oder nehmen konnte.
Als Anspruchsgrundlage für den Kläger kommt daher nur Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG in Betracht, der eine finanzielle Abgeltung des bezahlten Jahresurlaubs für den Fall der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses vorsieht. Nach Art.7 Abs.1 RL 2003/88/EG steht Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen ein Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub von mindestens vier Wochen gegen ihren Arbeitgeber zu. Der Mindesturlaub darf außer im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) leitet aus Art.7 Abs. 2 RL 2003/88/EG einen Anspruch von Arbeitnehmern auf Abgeltung von bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses krankheitsbedingt nicht genommenem Urlaub her und hat mit einem Urteil vom 3. Mai 2012 Voraussetzungen, Umfang und Grenzen dieses Anspruchs bestimmt. Diese Grundsätze gelten auch für Beamte.
Auch die Voraussetzungen für einen Anspruch unmittelbar aus der Richtlinie liegen nicht vor, weil eine Abgeltung nicht genommenen Urlaubs nur dann in Betracht kommt, wenn der Beamte krankheitsbedingt gehindert war, den Urlaub in seiner aktiven Dienstzeit zu nehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 2016 – 2 B 72/15) Hier konnte der Urlaub nicht genommen werden, weil der Kläger vorläufig des Dienstes enthoben war und nicht krankheitsbedingt. Während des Laufs einer vorläufigen Dienstenthebung im Disziplinarverfahren kann der Aspekt des Gesundheitsschutzes, der Ausgangspunkt für den Abgeltungsanspruch für krankheitsbedingt nicht genommenen Urlaubs darstellt, aber von vornherein nicht in Frage kommen.
Der Verfall des Urlaubsanspruchs tritt dann ein, wenn nationalstaatlich ein hinreichend langer Übertragungszeitraum geregelt ist und dieser abgelaufen ist. Der EuGH hatte insoweit einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten gebilligt. Gibt es hingegen – wie im Falle des §9 Abs. 3 HUrlVO in seiner bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung, der eine Verfallfrist von lediglich 9 Monaten vorsah – keine ausreichend langen nationalstaatlichen Verfallsregelungen, so tritt nach Ansicht des EuGHs ein Verfall des Urlaubsanspruchs spätestens 18 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres ein. Der Kläger hatte nach Ablauf des Jahres 2010, bis zum 30. Juni 2012 Gelegenheit, den Urlaubsanspruch geltend zu machen und als Folge dessen einen Urlaubsabgeltungsanspruch zu erlangen. Die Abgeltung beantragte der Kläger jedoch erst mit Schreiben vom 8. September 2019, sodass er mithin die Frist zur zeitnahen Geltendmachung nicht eingehalten hat.
3. Schließlich besteht kein Anspruch auf Zahlung einer Vergütung für geleistete Mehrarbeit im Jahr 2010. Ausgleich von zusätzlich geleisteter Arbeitszeit im Rahmen eines Modells gleitender Arbeitszeit besteht lediglich in Gewährung von Gleittagen gem. § 4 Abs. 3 HAZVO (vom 13. Dezember 2003, zuletzt geändert durch VO vom 4.9.2008) Ebenfalls sieht der damals geltende §85 Abs.2 S.2 HBG a.F. für den Fall von Mehrarbeit ebenfalls nur einen Zeitausgleich vor. Der Kläger könnte allenfalls eine Mehrarbeitsentschädigung gemäß § 85 Abs. 2 S. 3 HBG a.F. verlangen. Deren Zahlung setzt jedoch voraus, dass der vorrangige Zeitausgleich aus zwingenden dienstlichen Gründen unterbleiben muss.
Es liegen keine zwingenden dienstlichen Gründe vor, wenn die Gründe für die Unmöglichkeit der Dienstbefreiung bzw. des Freizeitausgleichs in der Person des Beamten liegen. Hier beruht der mangelnde Ausgleich des Arbeitszeitguthabens aus dem Jahr 2010 auf der vorläufigen Dienstenthebung am 4. Oktober 2010, die aufgrund einer schwerwiegenden Verfehlung des Klägers erfolgte, und damit um einen in der Person des Beamten liegenden Grund, der letztlich zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führte.
Das Fazit
Für die Ansprüche auf Auszahlung eines Zeitguthabens auf einem Lebensarbeitszeitkonto und auch für die Auszahlung Mehrarbeitsvergütung anstatt einer Dienstbefreiung oder Freizeitausgleich kommt es auf die Ursachen an. Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Gründe unverschuldet sind, wie etwa bei Krankheit, oder ob die Gründe selbstverschuldet sind und keine Ansprüche auf Auszahlung bestehen.
Selbstverschuldung liegt vor, wenn das Beamtenverhältnis in Folge einer schwerwiegenden Verfehlung, die disziplinarrechtlich verfolgt wurde, beendet wurde.
VG Kassel, Urteil vom 06.07.2022 – 1 K 1638/20.KS –