Tarifautonomie gewährt kein Recht auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags

Nach dem Tarifvertragsgesetz (TVG) können Tarifverträge durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) für allgemeinverbindlich erklärt werden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass es jedoch keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf gibt, dass ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird (BVerfG, Beschluss vom 10. Januar 2020, Aktenzeichen 1 BvR 4/17).

Der Fall

Die Gewerkschaft IG BAU hat mit zwei Arbeitgeberverbänden Tarifverträge über Sozialkassen des Baugewerbes abgeschlossen. Zweck der Sozialkassen ist es, im Bereich des Urlaubs, der Altersversorgung und der Berufsbildung Leistungen zu erbringen. Finanziert wird dies über Beiträge der Arbeitgebenden, die im Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) festgelegt sind. Grundsätzlich ist die Beitragspflicht auf die Arbeitgebenden beschränkt, die wegen ihrer Mitgliedschaft in einem tarifschließenden Verband an den VTV gebunden sind. Allerdings wurde der VTV in der Vergangenheit regelmäßig nach § 5 TVG vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) für allgemeinverbindlich erklärt. Dies hatte zur Folge, dass auch nicht tarifgebundene Arbeitgebende zu Beiträgen herangezogen wurden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV der Jahre 2008 und 2010 unwirksam seien. Sie hätten den Voraussetzungen im damals geltenden TVG nicht entsprochen. Gegen diesen Beschluss wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Die Entscheidung

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) folge für die Beschwerdeführenden kein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf eine Allgemeinverbindlicherklärung des VTV. Die Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG schütze zwar das Recht der Tarifparteien, auch Tarifverträge abzuschließen, die von vornherein darauf zielen, auch Nichtmitglieder zu verpflichten. Daraus folge aber kein Anspruch darauf, dass diese für allgemeinverbindlich erklärt werden. Der Staat dürfe seine Normsetzungsbefugnis nicht beliebig außerstaatlichen Stellen überlassen und die Bürgerinnen und Bürger nicht schrankenlos der normsetzenden Gewalt von Akteuren ausliefern, die ihnen gegenüber nicht demokratisch oder mitgliedschaftlich legitimiert sind, so das Karlsruher Gericht. Der Gesetzgeber habe die Allgemeinverbindlicherklärung in § 5 TVG als Ermessensentscheidung gefasst. Dem Staat verbleibe also eine Entscheidungsmacht, die zwar keine Einmischung in der Sache legitimiere, aber einen Vorbehalt des öffentlichen Interesses beinhalte. Das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG garantiere den Koalitionen die tatsächlich realisierbare Chance, durch ihre Tätigkeit die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern. Soweit diese Chance nicht gegeben sei, kann Abhilfe verlangt werden. Ein solcher Fall sei hier aber nicht erkennbar.

Das Fazit

Tarifverträge gelten grundsätzlich nur für die Tarifvertragsparteien und ihre Mitglieder. Wird ein Tarifvertrag durch das BMAS für allgemeinverbindlich erklärt, gilt dieser Tarifvertrag auch darüber hinaus. Nach Auffassung des BVerfG ergibt sich aus der in Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie jedoch grundsätzlich kein Recht darauf, dass ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird.

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