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Krankheitsbedingte Kündigung
Wenn vor einer krankheitsbedingten Kündigung keine betriebliche Eingliederung versucht wurde, hat der Arbeitgeber im Prozess umfassend über deren objektive Nutzlosigkeit vorzutragen (BAG, Urteil vom 13. Mai 2015, Aktenzeichen 2 AZR 565/14).
Der Fall
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die Beklagte betreibt ein Omnibusunternehmen. Der Kläger war bei ihr seit Februar 2007 als Busfahrer tätig. Seit dem 28. November 2010 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 26. Juni 2012 wurde ihm rückwirkend ab dem 1. Juni 2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 30. Juni 2014 bewilligt. Der Rentenanspruch wurde zeitlich begrenzt, weil es nicht unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 27. Juli 2012 zum 30. September 2012. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) hatte die Beklagte davor weder angeboten noch durchgeführt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung
Das BAG hob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm auf und verwies die Sache zurück. Aufgrund der seit 20 Monaten bestehenden Dauererkrankung sei zwar grundsätzlich von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen, da der Kläger nicht dargelegt hat, dass innerhalb der nächsten 24 Monate mit einer Besserung seines Zustands zu rechnen ist. Allein die Befristung der Rente reicht nicht aus, um die negative Prognose zu widerlegen. Aufgrund des Rentenbescheids kann aber nicht von einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit des Klägers ausgegangen werden. Nach Auffassung des BAG sei es nicht hinreichend geklärt, ob die weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten führt. Für die Annahme einer solchen Beeinträchtigung reicht die bloße Ungewissheit der Wiedergenesung innerhalb der nächsten 24 Monate nicht aus. Zudem hat die Vorinstanz zu Unrecht angenommen, ein milderes Mittel als eine Beendigungskündigung habe der Beklagten nicht zur Verfügung gestanden, um den betrieblichen Beeinträchtigungen zu begegnen. Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, ist der Arbeitgeber nach § 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX gehalten, ein BEM durchzuführen. Die bloße Weigerung eines Mitarbeiters, seine Krankheit zu benennen, mache ein BEM nicht entbehrlich. Nur wenn er nach einem ordnungsgemäßen BEM-Angebot seine Teilnahme verweigere, kann von der Aussichtslosigkeit des BEM ausgegangen werden. Unterbleibe ein solches Angebot, müsse der Arbeitgeber die objektive Nutzlosigkeit des BEM darlegen und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wären und warum der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können. Auch ohne Hinweis des Arbeitnehmers auf alternative Beschäftigungsmöglichkeiten müsse der Arbeitgeber bei Fehlen eines BEM von sich aus zu deren Fehlen vortragen. Das Urteil war daher aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Das Fazit
Die vorliegende Entscheidung macht die hohen Anforderungen an den Arbeitgebervortrag im Fall einer krankheitsbedingten Kündigung ohne vorangegangenem BEM deutlich. Die Durchführung eines BEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung, § 84 Abs. 2 SGB IX konkretisiert vielmehr den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines BEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden. Wenn auch die Durchführung des BEM keine positiven Ergebnisse hätte zeigen können, ist sein Fehlen unschädlich. Die Bedeutung des BEM darf nicht mehr unterschätzt werden. Auch wenn aufgrund einer akuten Erkrankungssituation nicht davon auszugehen ist, dass ein Mitarbeiter sich an einem Eingliederungsversuch beteiligen wird, sollte ihm dieser angeboten werden. Anderenfalls wird der Arbeitgeber im Fall der nachfolgenden Kündigung mit erheblichen Darlegungsproblemen konfrontiert werden.