Keine zeitdynamische Fortgeltung des TVöD aufgrund eines Änderungsvertrags

Der in einem Änderungsvertrag verwendete Hinweis, dass sonstige, bisherige Regelungen des Arbeitsvertrags unberührt bleiben, ist bei einer dem Arbeitnehmenden bekannten wirtschaftlichen Notlage des Arbeitgebers eine bloße Wissenserklärung (Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10. Mai 2023, Aktenzeichen 5 Sa 367/21).

Der Fall

Die Klägerin arbeitet als OP-Schwester bei der Beklagten. Diese beschäftigt in drei Kliniken circa 1.800 Mitarbeitende. Der 1992 geschlossene Arbeitsvertrag der Klägerin mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten hatte zum Inhalt, „dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen bestimmt“. Die Beklagte war aufgrund schlechter wirtschaftlicher Lage nur bis zur Kündigung zum 31. Dezember 2012 Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband Sachsen-Anhalt. Die Nachwirkung endete am 31. März 2013.

Die Beklagte versuchte, um Einsparungen bemüht, zuvor erfolglos, mit der Gewerkschaft die wöchentliche Arbeitszeit tarifvertraglich zu reduzieren. Die Beklagte schloss 2012 dann wenigstens eine Regelungsabrede mit dem Betriebsrat, um dem wirtschaftlichen Schaden entgegenzusteuern. Hintergrund und Inhalt der Regelungsabrede wurden in vielfacher Weise mit den Beschäftigten diskutiert.

In Umsetzung dessen schlossen die Parteien 2013 einen Änderungsvertrag. In Ziffer 2.1 verzichteten die Beschäftigten auf Sonderzahlungen. Im Gegenzug erhielten sie in Ziffer 2.2 einen besonderen Kündigungsschutz und drei zusätzliche freie Tage. In Ziffer 2.3 war normiert, dass im Übrigen die Regelungen des Arbeitsvertrags unberührt bleiben. Ziffer 2.4 sah vor, dass der Änderungsvertrag endet, sobald ein neuer mit der Gewerkschaft abgeschlossener Haustarifvertrag, der eine Absenkung der Arbeitszeit vorsieht, in Kraft tritt.

Bis zum 31. März 2014 wandte die Beklagte den TVöD dynamisch an, danach statisch. Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin sowohl die Feststellung, dass auf ihr Arbeitsverhältnis der TVöD-VKA Anwendung findet, als auch die Zahlung von Tariflohndifferenzen ab September 2018. Sie macht geltend, die Bestimmungen des TVöD seien unter anderem deswegen zeitdynamisch anzuwenden, da es sich bei dem Änderungsvertrag um einen so genannten Neuvertrag handele. Eine solche Einstufung habe zur Folge, dass die Bestimmungen des TVöD zeitdynamisch anzuwenden seien. Der Änderungsvertrag bringe zum Ausdruck, dass die frühere Bezugnahmeklausel aus dem Arbeitsvertrag von 1992 Inhalt des gegenseitigen Parteiwillens in 2013 sei. Das Arbeitsgericht Magdeburg wies die Klage ab. Auch in der Berufungsinstanz unterlag die Klägerin.

Die Entscheidung

Das LAG hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Die Bestimmungen des TVöD sind auf das Arbeitsverhältnis nicht dynamisch anzuwenden, da ein so genannter Altvertrag vorliege. Der vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossene Vertrag, das heißt ein so genannter Altvertrag, beinhaltet mit der originären Bezugnahmeklausel nur eine so genannte Gleichstellungsabrede. Eine solche ersetzt die eventuell fehlende Tarifgebundenheit von Arbeitnehmenden und führt zur Anwendung von Tarifregelwerken auf das Arbeitsverhältnis. Infolgedessen sind die Regelungen des TVöD nach Verbandsaustritt der Beklagten und Ende der Tarifgebundenheit nur noch statisch anzuwenden.

Auch der spätere Änderungsvertrag hat an der Einordnung als Altvertrag nichts geändert. Dies ergibt sich durch Auslegung der Verträge. Verträge sind nach §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Entscheidend ist, ob die originäre Bezugnahmeklausel zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist. Nebst dem Wortlaut sind auch außerhalb der Vereinbarung liegende Umstände einzubeziehen. Ziel von Ziffer 2.2 ist es, durch allgemeine Kostensenkungen die Gesellschaft zu sanieren und den Standort zu sichern. Die Beschäftigten wurden auch intensiv in den Prozess, Inhalt und Hintergrund der Regelungsabrede eingebunden. Hierdurch lernte die Klägerin die wirtschaftliche Lage der Beklagten kennen. Die wirtschaftliche Sanierung der Beklagten durch notwendige Kostensenkungen stünde offen im Widerspruch dazu, eine dynamische Geltung des TVöD zu vereinbaren und damit die Arbeitsentgelte zu erhöhen. Die Klägerin konnte daher nicht davon ausgehen, dass eine dynamische Geltung des TVöD erzielt werden sollte.

Auch der Gesamtzusammenhang der Bestimmungen des Änderungsvertrags spricht gegen die Behauptung, eine dynamische Anwendung des TVöD sei gewollt. Gerade Ziffer 2.1 und 2.2 zeigen deutlich, so das LAG, dass den begünstigenden Regelungen in Form eines besonderen Kündigungsschutzes und zusätzlicher freier Tage ungünstige Regelungen gegenüberstehen. Es ist ein Ausgleich der Positionen angestrebt und gerade keine deutliche Begünstigung der Klägerin durch eine etwaige dynamisierende Anwendung des TVöD. Ebenso wenig sei Ziffer 2.4 ein Zeichen für die Behauptung, es sei eine dynamisierte Anwendung gewollt. Diese zeige nur, dass die Vereinbarungen des Änderungstarifvertrags enden sollen, wenn ein Haustarifvertrag geschlossen wird. Dadurch wurde deutlich, dass die Beklagte das Ziel verfolgte, die Arbeitsbedingungen erst durch diesen Haustarifvertrag für alle Mitarbeitenden zu vereinheitlichen. Eine bereits jetzt angelegte Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen für eine dynamische Anwendung des TVöD widerspräche diesem Ziel.

Der durchschnittliche Vertragspartner konnte aufgrund des erkennbaren Regelungszwecks des Änderungsvertrags, der begleitenden Umstände und des Vertragswortlauts auch nicht aufgrund von Ziffer 2.3 davon ausgehen, dass die Beklagte einen Rechtsbindungswillen gefasst hatte. Es ist eine bloße Wissenserklärung ohne Rechtsbindungswillen.  Daher sind die geltend gemachten Differenzvergütungsansprüche auch nicht gegeben.

Das Fazit

Die Entscheidung ist ein beispielhaftes Urteil wie aus dem Lehrbuch – klar, strukturiert und überzeugend. Bei Austritt von Arbeitgebenden aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband sind gute Haustarifverträge notwendig, um einen ausreichenden Schutz für die Beschäftigten erhalten zu können.

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