Gewerkschaften haben kein digitales Zutrittsrecht

Eine Gewerkschaft kann nicht alleine aus der institutionellen Garantie des Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG) ein berechtigtes Interesse ableiten, die Namen aller Mitarbeitenden eines Betriebs zu erfahren, in dem sie vertreten ist. Sie hat keinen Anspruch auf Herausgabe oder Zugang zu den dienstlichen E-Mail-Adressen der Mitarbeitenden, die in einem bestimmten Betrieb arbeiten, auch wenn sie nach bestehenden Betriebsvereinbarungen bis zu 40 Prozent ihrer individuellen Arbeitszeit mobil oder im Homeoffice arbeiten können (Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 26. September 2023, Aktenzeichen 7 Sa 344/22).

Der Fall

Die Beklagte ist ein großer Sportartikelhersteller, für den rund 5.400 Arbeitnehmende tätig sind. Im Betrieb existiert eine Gesamtbetriebsvereinbarung. Sie regelt, dass die Arbeitnehmenden 40 Prozent ihrer individuellen Arbeitszeit mobil oder im Homeoffice arbeiten dürfen. Die Arbeitnehmenden kommunizierten die betriebsinternen Themen überwiegend über ihre dienstlichen E-Mail-Adressen. Zudem nutzten sie das betriebseigene

Intranet und das soziale Netzwerk. Die Klägerin, eine Gewerkschaft, begehrte von der Beklagten den Zugang zur unternehmensinternen Kommunikation, um möglichst viele Arbeitnehmende zu erreichen. Nachdem die Beklagte den Antrag ablehnte, klagte die Gewerkschaft auf Herausgabe der dienstlichen E-Mail-Adressen und stützte sich dabei auf das betriebsverfassungsrechtlich gewährte Zugangsrecht zum Betrieb für Gewerkschaften nach § 2 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz und das gewerkschaftliche Betätigungsrecht des Artikel 9 Absatz 3 GG. Damit sie ihr gewerkschaftliches Betätigungsrecht auch digital ausüben könne, benötige sie die Mail-Adressen. Zum Kernbereich der Betätigung gehöre nämlich die Mitgliederwerbung. Die Beklagte hingegen ist der Ansicht, das betriebsverfassungsrechtliche Zugangsrecht beinhalte nur den Zugang physischer Art. Das gewerkschaftliche Betätigungsrecht umfasse zwar die Mitgliederwerbung, jedoch sei hierfür durch die vorhandene Verlinkung auf der Internetseite des Gesamtbetriebsrats ausreichend gesorgt. Das Arbeitsgericht Nürnberg wies die Klage ab, weil es die Herausgabe der Mail-Adressen für nicht erforderlich hielt (Arbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom

27. Juni 2022, Aktenzeichen 10 Ca 2442/22). Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus, durch die Herausgabe der Mail-Adressen werde die klagende Gewerkschaft nicht besser in ihrem Betätigungsrecht geschützt. Dies wäre aber die Voraussetzung, denn es stehen sich das gewerkschaftliche Betätigungsrecht und das Eigentums- und Hausrecht des Arbeitgebers gegenüber. Hierzu existiert bereits höchstrichterliche Rechtsprechung, die vorgibt, dass die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen sind, dass sie trotz ihres Gegensatzes für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom

20. Januar 2009, Aktenzeichen 1 AZR 515/08). Dies ist hier gerade nicht der Fall, da die Klägerin nach wie vor ihrem Betätigungsrecht ausreichend in Präsenz nachgehen könne. Gegen diese Entscheidung legte die klagende Gewerkschaft beim Landesarbeitsgericht Nürnberg Berufung ein.

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg schloss sich der Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Arbeitsgerichts an. Dem Begehren der Klägerin stünden auch datenschutzrechtliche Vorgaben entgegen. Nach der Datenschutzgrundverordnung müsse die Klägerin ein „berechtigtes Interesse“ haben, denn die Herausgabe der Mailadressen stelle eine Datenverarbeitung dar. Dieses berechtigte Interesse ließe sich aber nicht einfach aus Artikel 9 Absatz 3 GG ableiten. Außerdem hätten die Beschäftigten der Weitergabe ihrer Mailadressen nicht zugestimmt. Sie könnten im Falle der Weitergabe unerwünschte Werbung erhalten. Schließlich bleibe immer noch die uneingeschränkte Möglichkeit, vor Ort im Betrieb gewerkschaftliche Mitgliederwerbung zu betreiben. Der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, die gewerkschaftliche Mitgliederwerbung aktiv zu unterstützen, was aber durch die Weitergabe der Mail-Adressen und der damit verbundenen ständigen Aktualisierung der Mail-Adressen geschehen würde. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin beim Bundesarbeitsgericht Revision eingelegt.

Das Fazit

Die Digitalisierung schreitet voran und die Gewerkschaften müssen mitziehen. Hierzu gehört auch das digitale Zutrittsrecht. Inwieweit dieses Recht möglich ist, wird sich zeigen. Fakt ist, dass hier mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gebraucht wird. Ein entsprechendes Vorhaben kündigte auch die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag an: „Wir schaffen ein zeitgemäßes Recht für Gewerkschaften auf digitalen Zugang in die Betriebe, das ihren analogen Rechten entspricht. Die sozial-ökologische Transformation und die Digitalisierung kann nur mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wirksam gestaltet werden.“ Passiert ist seitdem nichts.

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