Arbeitslosengeld bei Verzicht auf Weiterbeschäftigungsanspruch

Nach § 117 SGB III haben Anspruch auf Arbeitslosengeld Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (§ 118 Abs. 1 SGB III). Eine Beschäftigung sucht, wer alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, um eine Beschäftigungslosigkeit zu beenden und den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht (§ 119 Abs. 1 SGB III). Nach diesen Reglungen besteht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld auch dann, wenn auf einen gerichtlich festgestellten Weiterbeschäftigungsanspruch wegen Spannungen am Arbeitsplatz und einer Verschlechterung des Arbeitsklimas verzichtet wird. Das hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 19. November 1999 entschieden. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der 1940 geborene Kläger wurde seit 1970 als wissenschaftlicher Assistent an der Humboldt-Universität Berlin im Institut für Physik beschäftigt. Aufgrund eines Änderungsvertrages vom 9. Dezember 1993 wurde das Beschäftigungsverhältnis bis zum 31. Dezember 1996 befristet. Nach Ablauf dieser Frist arbeitete der Kläger in der Hoffnung der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses zunächst ohne Gehalt weiter. Zeitgleich erhob er Klage beim Arbeitsgericht Berlin mit dem Begehren festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis unbefristet fortbesteht. Dem Begehren des Klägers wurde stattgegeben. Weiter wurde die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen weiter zu beschäftigen. Im Rahmen der aufgrund dieses Anspruchs auf Weiterbeschäftigung ausgeübten Beschäftigung kam es zunehmend zu Spannungen und zu einer Verschlechterung des Arbeitsklimas. Aufgrund dieser beruflichen Situation traten bei dem Kläger Gesundheitsstörungen und hieraus resultierende Arbeitsunfähigkeitszeiten in erheblichem Umfang ein.

Nachdem der Kläger nach dem Ende einer Arbeitsunfähigkeit sich im Hinblick auf die Arbeitsplatzsituation am 8. Mai 1998 arbeitslos meldete und Arbeitslosengeld beantragte, teilte die Beklagte der Humboldt-Universität Berlin mit Schreiben vom 13. Mai 1998 mit, dass ein Anspruchsübergang nach § 143 Abs. 3 SGB III in Verbindung mit § 115 SGB X erfolgt sei. Die Humboldt-Universität teilte hierauf am 15. Juni 1998 der Beklagten mit, dass das Beschäftigungsverhältnis mit dem Kläger bis zum 8. Mai 1998 fortbestanden habe. Zum 9. Mai 1998 habe er auf die Geltendmachung seines Weiterbeschäftigungsanspruchs bis zum rechtskräftigen Abschluss des arbeitsgerichtlichen Verfahrens verzichtet.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 1998 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung von Arbeitslosengeld ab, da der Kläger durch die Nichtinanspruchnahme des Weiterbeschäftigungsanspruches von der nahe liegenden Möglichkeit der Beendigung der Beschäftigungslosigkeit keinen Gebrauch gemacht habe. Er habe sich dem Direktionsrecht des Arbeitgebers entzogen und damit im Annahmeverzug befunden, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben.

Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Nach Ansicht des Sozialgerichts Berlin scheitert ein Arbeitslosengeldanspruch im vorliegenden Fall insbesondere nicht an einer fehlenden Arbeitslosigkeit. Denn nach dem 8. Mai 1998 habe der Kläger vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden und eine Beschäftigung gesucht. Der Weiterbeschäftigungsanspruch bewirke lediglich einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des arbeitsgerichtlichen Verfahrens. Er bewirke nicht einen rechtlichen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Dem Arbeitnehmer sei deshalb freigestellt, den Anspruch auf Weiterbeschäftigung durchzusetzen, weil im Falle einer rechtskräftigen Klageablehnung eine Abwicklung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen vorzunehmen ist. Den Arbeitnehmer treffe damit das Risiko, im Falle des Unterliegens erhaltene Gehaltszahlungen, die über der üblichen Vergütung liegen oder erhaltene Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zurückzuzahlen. Nach diesen Grundsätzen habe es dem Kläger freigestanden, den erstrittenen Weiterbeschäftigungsanspruch durchzusetzen. Entsprechend könne ihm im Rahmen von § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nicht vorgehalten werden, nicht alle Möglichkeiten zu nutzen, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden, wenn er den Weiterbeschäftigungsanspruch nicht durchsetzt. Denn auch im Rahmen von § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III treffe den Kläger lediglich eine Verpflichtung, alle zumutbaren Möglichkeiten zu nutzen. Der Kläger habe die Möglichkeit genutzt, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden, indem er vor dem Arbeitsgericht Feststellungsklage gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhoben hat. Demgegenüber sei es ihm im Hinblick auf die oben dargelegten Grundsätze nicht zumutbar, eine Verpflichtung zur Durchsetzung des Anspruchs auf Weiterbeschäftigung aufzuerlegen. Wie bereits dargestellt, handele es sich hierbei nicht um eine Pflicht, sondern um einen Anspruch des Klägers.

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