Offenlegung von Erkrankungen bei Entgeltfortzahlung

Das BAG hat entschieden, dass Arbeitnehmende, die aufgrund unterschiedlicher Erkrankungen insgesamt mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt sind, nachweisen müssen, dass es sich tatsächlich um verschiedene Erkrankungen handelt. Hierfür kann es erforderlich sein, alle relevanten Daten der einzelnen zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen offenzulegen und auch behandelnde Ärztinnen und Ärzte unter Umständen von der Schweigepflicht zu entbinden. Das Grundgesetz und auch EU-Recht seien dadurch nicht verletzt (BAG, Urteil vom 18. Januar 2023, Aktenzeichen 5 AZR 93/22).

Der Fall

Der Kläger ist seit 2012 bei der Beklagten, einem Bodenverkehrsdienstleister am Flughafen Frankfurt, in der Gepäckabfertigung tätig. In den Jahren 2019 und 2020 war er zunächst insgesamt 110 Tage arbeitsunfähig erkrankt und erhielt von der Beklagten Leistungen nach § 3 Absatz 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG). Im Zeitraum August bis September 2020 erkrankte der Kläger erneut und machte für insgesamt zehn Arbeitstage Entgeltfortzahlung geltend. Diese lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass sie davon ausgehe, dass es sich um Fortsetzungserkrankungen handelt, für die der Zeitraum der Entgeltfortzahlung überschritten sei. Dagegen wehrte sich der Kläger gerichtlich und legte als Nachweis für das Vorliegen verschiedener Erkrankungen mehrere ärztliche Erstbescheinigungen mit den entsprechenden Diagnose Codes (ICD-10-Codes) vor. Sodann erläuterte er, welche ICD-10-Codes mit welchen korrespondierenden Diagnosen und Symptomen in den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgeführt gewesen seien. Hinsichtlich etwaiger Vorerkrankungen machte er Angaben zu Arbeitsunfähigkeitszeiten, die nach seiner Einschätzung auf denselben ICD-10-Codes beziehungsweise Diagnosen oder Symptomen beruhten. Zudem war er der Ansicht, dass er aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht dazu verpflichtet sei, sämtliche Erkrankungen aus der davorliegenden Zeit offenzulegen. Insoweit vertrat der Kläger die Auffassung, dass für keine der Erkrankungen aus dem streitgegenständlichen Zeitraum der Sechs-Wochen-Zeitraum nach § 3 Absatz 1 Satz 1 EntgFG ausgeschöpft sei. Nachdem das Arbeitsgericht dem Kläger Recht gegeben hatte, wies das Landesarbeitsgericht die Klage ab.

Die Entscheidung

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sofern Arbeitnehmende innerhalb von sechs Monaten oder – bei häufiger auftretenden Erkrankungen – innerhalb von zwölf Monaten insgesamt länger als sechs Wochen krank sind, gilt im arbeitsrechtlichen Prozess um die Entgeltfortzahlung eine abgestufte Darlegungslast. Zunächst haben Arbeitnehmende anhand einer ärztlichen Bescheinigung darzulegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Sofern Arbeitgebende dies jedoch bestreiten, müssen konkrete Tatsachen vorgetragen werden, die eine Fortsetzungserkrankung ausschließen. Das bedeutet, dass Ausführungen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden zu machen sind und darzulegen ist, welche Auswirkungen diese auf die Arbeitsfähigkeit haben. Dazu gehört auch, Ärztinnen und Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Dies stellt zwar Eingriffe in das grundrechtlich geschützte Recht auf informelle Selbstbestimmung und in den Datenschutz dar, ist jedoch aus rechtlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt, so das BAG. Denn anderenfalls könnte das Gericht den Sachverhalt nicht richtig ermitteln und Arbeitgebende wären in ihren prozessualen Rechten eingeschränkt, da sie sich zum Sachverhalt nicht konkret äußern könnten. Hier greift die grundrechtlich geschützte Garantie eines effektiven Rechtsschutzes und das Recht der Arbeitgebenden auf rechtliches Gehör. Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass es keine milderen Mittel gibt, um diese Ziele zu erreichen, und dies ferner mit dem EU-Recht vereinbar ist. Auch der Möglichkeit, Angaben zu Krankheitsursachen im Prozess nur gegenüber Sachverständigen, aber nicht gegenüber Arbeitgebenden zu machen, erteilt das BAG eine klare Absage, da es dies als rechtsstaatswidrig ansieht.

Das Fazit

Das Urteil macht deutlich, dass nicht nur Arbeitsgerichten, sondern auch Arbeitgebenden die Möglichkeit gegeben werden muss, prüfen zu können, ob aufgrund einer Folgeerkrankung möglicherweise die Pflicht zur Entgeltfortzahlung entfällt. Arbeitnehmende sind hiernach verpflichtet, ihre Gesundheitsdaten im Rahmen der abgestuften Darlegungslast offenzulegen. Die Annahme, dass Arbeitgebende Krankheitsursachen grundsätzlich nicht erfahren dürfen, stimmt insoweit nicht.

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