Keine Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit wegen Entzündung eines Tattoos

Lassen sich Beschäftigte tätowieren und entwickeln anschließend eine Infektion, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, so besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung (Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein, Urteil vom 22. Mai 2025, Aktenzeichen 5 Sa 284 a/24). 

Der Fall

Die Beklagte betreibt einen Pflegedienst, bei dem die Klägerin seit August 2023 als Pflegehilfskraft angestellt ist. Am 15. Dezember 2023 ließ sich die Klägerin am Unterarm tätowieren. Es entstand eine Entzündung. Am 19. Dezember 2023 meldete sich die Klägerin deswegen arbeitsunfähig und reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 22. Dezember 2023 ein. Die Beklagte kürzte der Klägerin das Monatsgehalt für Dezember. Auf der Abrechnung vermerkte sie „Unbezahlte Freizeit (unentschuldigtes Fehlen, Arbeitsbummelei)“. Mit Schreiben vom 16. Januar 2024 lehnte sie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für diesen Zeitraum ab. Dagegen wandte sich die Klägerin vor Gericht. 

Die Entscheidung

Werden Beschäftigte krank, zahlen Arbeitgebende im Regelfall Entgeltfortzahlung. Das ist eine große Errungenschaft im Bereich des Arbeitsrechts, die Beschäftigte vor nicht kalkulierbaren finanziellen Risiken schützen soll. Gleichzeitig soll die Voraussetzung des Verschuldens das Kostenrisiko angemessen zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden verteilen. § 3 Absatz 1 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) lautet daher: „Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.“

Im Kern ging es vorliegend um die Frage, ob die Klägerin ein Verschulden traf oder nicht. 

Das LAG hat ein Verschulden bejaht. Erforderlich sei dafür ein grober oder gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten.

Die Klägerin habe damit rechnen müssen, dass die Tätowierung eine entsprechende Entzündung verursachen könne. Die Klägerin selbst hatte vorgetragen, es komme in ein bis fünf Prozent der Fälle zu einer Entzündungsreaktion. Das Gericht legte deshalb eine Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent zugrunde und befand, dass die Klägerin eine mögliche Entzündungsreaktion billigend in Kauf genommen habe. 

Das Fazit

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass etwa bei gefährlichen Sportarten zugezogene Verletzungen als selbst verschuldet gelten. Diesen Umstand zog das LAG zur Argumentation heran. Auch wenn die Tätowierung nicht mit einer gefährlichen Sportart gleichgesetzt wurde, überzeugt das nicht: Die Rechtsprechung hat bislang lediglich Kickboxen als gefährliche Sportart eingestuft, nicht aber etwa Boxen, Motorradrennen, Fallschirmspringen oder Skifahren. Hier ist die Entgeltfortzahlung nur dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer gegen anerkannte Regeln der Sportart verstoßen oder sich über seine Kräfte hinaus gefährdet hat.

Tätowierungen sind heutzutage weit verbreitet. Genau wie bei nicht gefährlichen Sportarten kann hier kein genereller Ausschluss von der Entgeltfortzahlung anzunehmen sein. Tattoos sind ebenso wie Sport Ausdruck der persönlichen Lebensführung. 

Auch gab die Klägerin zwar an, dass sich in ein bis fünf Prozent der Fälle Entzündungen entwickelten. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass jede Entzündung zu einer Arbeitsunfähigkeit führt. Das dürfte in den seltensten Fällen eintreten. 

Wenn eine erfahrende und fitte Boxerin, die sich beim Training ohne Regelverstoß verletzt, auf Entgeltfortzahlung vertrauen darf, so muss das auch für einen Routineeingriff gelten, den jährlich viele Millionen Beschäftigte in Deutschland vornehmen lassen. 

zurück
Einkommenstabellen

Einkommenstabellen