Neutralitätspflicht im Arbeitsvertrag diskriminiert Kopftuchträgerin

Hat das Kopftuchtragen für die Tätigkeit keine Relevanz, stellt eine Neutralitätspflicht im Arbeitsvertrag einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dar, auch wenn die Bewerberin nach dessen Übersendung die Stelle freiwillig nicht antritt (Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. November 2024, Aktenzeichen 11 Sa 443/24).

Der Fall

Die Klägerin hatte sich bei der Beklagten auf eine Stelle als Werkstudentin beworben. Die Beklagte bietet Betreuungslösungen für Kinder und pflegebedürftige Angehörige an. Nach einem Vorstellungsgespräch, bei dem die Klägerin ihr Kopftuch trug, bekam sie eine Zusage und die Beklagte übersandte ihr einen bereits unterschriebenen Arbeitsvertrag. Dieser enthielt eine Neutralitätsklausel, die besagte, dass das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugung am Arbeitsplatz untersagt sei. Auf Nachfrage erklärte die Beklagte, dass dieses Verbot auch für die Klägerin gelte. Die Tätigkeit der Klägerin hätte zwar lediglich in Recherchearbeiten bestanden, die Beklagte argumentierte aber, der Arbeitsraum der Klägerin befinde sich unmittelbar neben dem Gruppenraum der von der Klägerin betriebenen Kita. Außerdem habe sie regelmäßig Kontakt zu Teammitgliedern. Beides könne zu Konflikten führen. Die Klägerin trat daraufhin die Stelle nicht an.

Die Entscheidung

Das LAG bejahte eine rechtswidrige Diskriminierung und sprach der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern zu. Strittig war im Kern, ob eine Benachteiligung vorliegen könne, obwohl die Beklagte eine Zusage gegeben und den ihrerseits bereits unterschriebenen Arbeitsvertrag übersandt hatte. Das Gericht ging trotzdem von einer Diskriminierung aus und argumentierte folgendermaßen: Die Arbeitgeberin habe zwar der Klägerin eine Zusage erteilt und ihr einen bereits unterschriebenen Arbeitsvertrag zugeschickt. Da dieser aber eine Neutralitätsklausel enthielt, liege in dem Vertrag „kein uneingeschränktes oder neutrales Angebot“. Stattdessen habe sie auch auf Nachfrage klar gemacht, dass die Klägerin nur eingestellt werde, wenn sie am Arbeitsplatz das Kopftuch nicht trage. Dies sei eine Benachteiligung im Sinne des AGG, die auch nicht gerechtfertigt sei. Für die von der Klägerin anvisierte Stelle als Werkstudentin mit bloßen Recherchetätigkeiten sei die Frage des Kopftuchtragens nicht relevant.

Das Fazit

Das Gericht bestätigte damit die umfangreiche Rechtsprechung, die es zum Kopftuchverbot schon gibt. Das Bundesverfassungsgericht hat einen Verstoß des pauschalen Kopftuchverbots gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz bereits für Lehrerinnen und Erzieherinnen bestätigt. Auch das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass Neutralitätsvorgaben nur bei Anhaltspunkten für konkrete Störungen im Betrieb erlaubt seien. Selbst der Europäische Gerichtshof (EuGH) betont, dass die Ungleichbehandlung, die ein Kopftuchverbot mit sich bringt, durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel angemessen und erforderlich sein müssen. Zudem kann laut EuGH bei besonders starker nationaler Ausprägung der Religionsfreiheit diese auch als gegenüber dem Unionsrecht günstigere Regelung berücksichtigt werden. Die vorliegende Entscheidung führt diese Rechtsprechung konsequent fort. Ob der Klägerin formal ein Arbeitsverhältnis angeboten wurde, kann dabei keinen Unterschied machen. Dafür hätte die Klägerin sich einer diskriminierenden Regelung unterwerfen müssen. Das würde dem Schutzzweck des AGG widersprechen.

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