Tarifeinheitsgesetz (TEG)

Der Grundsatz der Tarifeinheit ist seit dem Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes (TEG) im Juli 2015 gesetzlich verankert. Das TEG regelt Konflikte im Zusammenhang mit der Geltung mehrerer Tarifverträge. § 4a Abs. 2 S. 2 TVG sieht den Grundsatz der Tarifeinheit nach einem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip vor. Überschneiden sich die Geltungsbereiche von nicht inhaltsgleichen Tarifverträgen konkurrierender Gewerkschaften in zeitlicher, räumlicher, fachlicher und persönlicher Hinsicht, liegt eine auflösungsbedürftige Tarifkollision vor. Die Tarifkollision führt dazu, dass nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft Anwendung findet, die im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder zum Zeitpunkt des Abschlusses des kollidierenden Tarifvertrags hat. Kollidieren die Tarifverträge zu einem späteren Zeitpunkt, ist dieser maßgeblich. Der Betriebsbegriff, der für die Ermittlung der Mehrheitsverhältnisse zugrunde zu legen ist, ist tarifrechtlich zu bestimmen. Zur Feststellung der Mehrheitsverhältnisse ist ein gerichtliches Beschlussverfahren auf Antrag einer Tarifvertragspartei eines kollidierenden Tarifvertrags vorzunehmen. Der Gesetzesbegründung folgend ändern die Regelungen des TEG nicht das Arbeitskampfrecht.

Gegen das TEG und damit gegen den Grundsatz der Tarifeinheit wendeten sich der dbb und weitere (Berufsgruppen- und Branchen-)Gewerkschaften mit Verfassungsbeschwerden, um insbesondere die Verletzung der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG zu rügen. Mit dem im Juli 2017 verkündeten Urteil hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass die Regelungen des TEG weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar sind (Urteil vom 11. Juli 2017, AZ 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1477/16, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1588/15). Die Auslegung und Handhabung des Gesetzes muss aber der grundrechtlich geschützten Tarifautonomie Rechnung tragen. Über noch offene Rechtsfragen haben die Fachgerichte zu entscheiden. Unvereinbar ist das Gesetz mit der Verfassung insoweit, als Vorkehrungen fehlen, die sicherstellen, dass die Interessen der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen, deren Tarifvertrag verdrängt werden, im verdrängenden Tarifvertrag hinreichend berücksichtigt werden. Der Gesetzgeber hat auf die Karlsruher Entscheidung reagiert und in das Qualifizierungschancengesetz Art. 4f „Änderung des Tarifvertragsgesetzes“ aufgenommen.

Durch dieses Änderungsgesetz wurde zum 1. Januar 2019 § 4a Absatz 2 Satz 2 TVG durch einen Halbsatz ergänzt, der den Minderheitsgewerkschaften Schutz bieten soll. Dort heißt es: „…(Mehrheitstarifvertrag); wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von Arbeitnehmergruppen, die auch von dem nach dem ersten Halbsatz nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, sind auch die Rechtsnormen dieses Tarifvertrags anwendbar.“ Da der dbb der Auffassung ist, dass die durch den Gesetzgeber vorgenommene Nachbesserung nicht den Vorgaben des BVerfG gerecht wird, legte er erneut im März 2019 Verfassungsbeschwerde ein. Mit Beschluss vom 19. Mai 2020 (Az.: 1 BvR 672/19, 1 BvR 797/19, 1 BvR 2832/19) entschied die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG, die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Verfassungsbeschwerde sei nachrangig, sodass die aufgeworfenen Fragen zunächst von den Fachgerichten an einem konkreten Fall geklärt werden müssten. Zudem hat das BVerfG keine rechtlichen Bedenken, die Ausgestaltung der Interessenberücksichtigung der Minderheitsgewerkschaft den Tarifparteien zu überlassen. Ob dabei die grundrechtlichen Wertungen des Art. 9 Abs. 3 GG ausreichend berücksichtigt werden, sei dann im konkreten Fall von den Fachgerichten zu klären.

Da der dbb der Auffassung ist, dass die durch den Gesetzgeber vorgenommene Nachbesserung nicht den Vorgaben des BVerfG gerecht wird, hat er nunmehr erneut im März 2019 Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Karlsruher Gericht entschied, dass die Verfassungsbeschwerde nachrangig sei. Die aufgeworfenen Fragen müssten zunächst von den Fachgerichten an einem konkreten Fall geklärt werden. Ein solcher liegt bislang nicht vor. Diese Aussage überrascht und ist unserer Meinung nach inkonsequent, denn unsere Verfassungsbeschwerde von 2015 wurde vom Karlsruher Gericht angenommen und auch entschieden, ohne dass zuvor der Rechtsweg ausgeschöpft wurde.

Bereits im Dezember 2017 hatte der dbb auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das TEG eingereicht. Das Straßburger Gericht ist ohne mündliche Verhandlung zu der Entscheidung gekommen, dass das Tarifeinheitsgesetz nicht gegen das Grundrecht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gemäß Artikel 11 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verstößt. Die Entscheidung des EGMR war nicht einstimmig, zwei der insgesamt sieben Richterinnen und Richter nahmen eine Grundrechtsverletzung an.

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