Beamtentum und Streik

Auf dieser Seite sind zum Thema Beamtentum und Streik häufig gestellte Fragen (FAQ), Hintergrundinformationen sowie wesentliche Aspekte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2018 aufgeführt.

Wichtige Aspekt des Themas sind außerdem in der Fachpublikation "Beamte und Streik - Was ist zu beachten?" zusammengefasst.

Warum gibt es in Deutschland Beamte?

Das Beamtenverhältnis in Deutschland besteht, weil es ein dringendes und berechtigtes gesellschaftliches Interesse an der Sicherung hoheitlicher Aufgaben gibt; ein Bedürfnis, das in den Bahnen des Arbeitsrechts, ohne Systembruch nicht realisiert werden kann. Die besonderen beamtenrechtlichen Pflichten sind mit Aufgaben verknüpft, an deren unbedingter, rechtsstaatlicher, verlässlicher und neutraler Erledigung ein herausgehobenes gesellschaftliches Interesse besteht. Es geht um Aufgaben, deren Erfüllung gesellschaftlich wichtig und grundrechtsrelevant sind - und bei denen der Staat sich von privaten Unternehmen und Einrichtungen unterscheidet.

Verlässlichkeit und Neutralität sichern wir als Gesellschaft in Deutschland über den Beamtenstatus; er garantiert einen streikfreien öffentlichen Dienst. Zudem bestehen für Beamte besondere Pflichten, deren Einhaltung durch ein eigenes Disziplinarrecht gesichert werden und in besonderem Maße dazu beitragen „immun“ gegen politische und wirtschaftliche Einflussnahmen zu sein.

Die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ mögen als Begriff altertümlich klingen. Sie bilden aber eine dynamische Grundlage, von der aus der Sicherungsauftrag erfüllt und das Dienstrecht gleichzeitig gewandelten Anforderungen, etwa Teilzeit, Rechnung tragen kann.

Andere Länder in Europa haben ein anderes Modell; sie sichern bestimmte Aufgabenfelder über spezifische Streikverbote ab. Hier kann und muss aber jedem Staat die Möglichkeit offenstehen, die eigene Staatsorganisation – dazu gehört das Personal – selbst zu gestalten, wenn das Ergebnis jeweils in sich ausgewogen ist.

Ist das deutsche Modell zeitgemäß?

Absolut. Deutschland hat sich seit der Geltung des Grundgesetzes zu einem wichtigen Mitglied der europäischen Union entwickelt und ist ein starker demokratischer und sozialer Rechtsstaat. Verglichen mit anderen Ländern meistert Deutschland alle Krisen. Deutschlands öffentlicher Dienst mit der starken Säule des Berufsbeamtentums hat dabei seine Leistungsstärke in der Finanzkrise ebenso unter Beweis gestellt wie in der Bewältigung des Flüchtlingszustromes oder der Coronavirus-Pandemie. Ohne einen streikfreien öffentlichen Dienst ist das nicht zu bewerkstelligen.

Dabei gibt es zwischen Beamten und Arbeitnehmern kein „Rangverhältnis“; vor allem sind Beamte nicht die „besseren Beschäftigten“. Beide Gruppen unterscheiden sich in ihrer Aufgabenstellung, beide Bereiche sind in ihren jeweiligen Rechten und Pflichten ausgewogen. Zu bedauern ist, dass Bund, Länder und Gemeinden die Stellenbesetzung nicht nach sachlichen, sondern oft willkürlich nach politischen oder sonstigen Gesichtspunkten durchführen. Festzustellen ist auch, dass Beamtinnen und Beamte weder einzelne Folgen der Föderalisierung noch die Gesetzesflut beeinflussen können.

Hat das Streikverbot etwas mit den „Beamtenprivilegien“ zu tun?

Ja, aber Privilegien ist der falsche Begriff. Die Streikfreiheit des deutschen öffentlichen Dienstes ist die wichtigste, aber nicht die einzige Rechtfertigung für das besondere Band, das zwischen dem Staat und seinen Beamten geknüpft ist. Voraussetzung für Verlässlichkeit, für die Beamte in besonderem Maße stehen, drückt sich zunächst in Verfügbarkeit aus. Kurz gesagt: Wer nicht im Arbeitskampf ist, kann arbeiten. Aber die zweite Frage ist ja auch: Wie wird die Arbeit erledigt? Hier kommt noch einmal Verlässlichkeit ins Spiel. Beamte dienen dem Volk, also dem Staat. Dafür kümmert sich der Staat auch um deren persönliche und wirtschaftliche Absicherung. Das drückt sich unter anderem in der Absicherung für Krankheit und für das Alter aus. Das Kümmern des Staates um seine Beamten prägt deren Einstellung zu ihrer Arbeit für das Gemeinwesen. Beamter zu sein, ist halt nicht nur ein Job, es ist ein Dienst an der Gesellschaft. Und die Gesellschaft verlässt sich auf die Beamten. Es ist ein Geben und Nehmen.

Wie kann der dbb beamtenbund und tarifunion überhaupt gegen das Streik-recht sein?

Das Streikverbot für Berufsbeamte steht nicht isoliert, sondern in einem Zusammenhang mit dem Recht, das für die Beschäftigten gilt. Wir stehen uneingeschränkt zum verfassungsrechtlich geschützten Streikrecht, von dem der dbb und seine Mitgliedsgewerkschaften im Arbeitnehmerbereich in den Tarifauseinandersetzungen erfolgreich Gebrauch machen.

Unsere Verfassung hat aber mit dem Beamtentum sehr bewusst einen streikfreien Bereich geschaffen, in dem eine ständige Aufgabenerledigung in den staatlichen Kernbereichen sichergestellt wird. Auch dazu steht der dbb.

Das mit dem Beamtenverhältnis verbundene Streikverbot sichert im Übrigen, dass in allen anderen Bereichen des Arbeitslebens, auch für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, Koalitionsfreiheit und Streikrecht ohne gesetzliche Einschränkung gelten.

Wieso will der dbb keine Veränderungen?

Der dbb trägt täglich und aktiv zur Weiterentwicklung des Beamtenrechts bei. Allerdings und immer auf der Grundlage der geltenden Verfassung; zu einer Beeinträchtigung des Berufsbeamtentums und seiner Funktionsgrundlagen darf es jedoch nach tiefer Überzeugung des dbb nicht kommen. Vielmehr wollen wir, dass der öffentliche Dienst seiner Aufgabe, den Staat handlungsfähig zu machen und zu halten, jederzeit nachkommen kann.

Wird den Beamten das Streikrecht „abgekauft“ um „Privilegien“ zu retten?

Es geht überhaupt nicht um Privilegien: Das Beamtenverhältnis nach der bestehenden Verfassungslage beinhaltet eine ausgewogene Mischung von Rechten und Pflichten. Die vom Grundgesetz vorgegebene Streikfreiheit im Beamtenbereich als hergebrachter Grundsatz korrespondiert insbesondere mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und dem Alimentationsprinzip. Dies ist die „Gegenleistung“ zur mit der Streikfreiheit verbundenen Garantie des zu jeder Zeit funktionsfähigen Staates. Die von einigen vertretene Hoffnung, man könne das Beste aus beiden Welten verbinden, also Streikrecht bei Lebenszeitanstellung und mit vollen Besoldungs- und Versorgungsansprüchen, ist weder rechtlich noch gesellschaftlich haltbar.

Was stört Sie an dem Motto "verhandeln statt verordnen"?

Das Motto ist eine hübsche Alliteration, hat nur mit dem geltenden Verfassungsrecht nichts zu tun. Vor allem stehen wir hier auch für Ehrlichkeit gegenüber den Kolleginnen und Kollegen.

Die Rechtsbeziehungen des Staates zu seinen Beamten regelt der Gesetzgeber. Dazu gibt es besondere Beteiligungsrechte der Gewerkschaften und Vorgaben, z. B. was die lineare Entwicklung der Besoldung angeht, die im Rahmen des Alimentationsprinzips auch verfassungsgerichtlich überprüft werden können – und in der Praxis auch immer wieder werden. Und: Wer verhandelt, muss auch ein Druckmittel haben. Arbeitnehmer können deshalb streiken, Beamten fehlt ein solches Instrument ganz bewusst. Verhandlungsrechte, ohne ein Mittel zur Durchsetzung der erklärten Interessen, ist eine Selbsttäuschung. Ein Beamtenverhältnis mit Streikrecht ist aber kein Beamtenverhältnis mehr.

Darüber hinaus ist allerdings eine weiter verbesserte Beteiligung der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes an den entsprechenden Gesetzgebungsverfahren sicherzustellen. Dafür treten wir ein.

Sie vertreten doch selbst Arbeitnehmer. Haben Sie keine Neiddebatten im dbb?

Im öffentlichen Dienst gibt es zwei völlig unterschiedlich konzipierte Dienstverhältnisse. Die Beamten wie die Tarifbeschäftigten wissen um die damit verbundenen Unterschiede, die ja jeweils Vor- wie Nachteile mit sich bringen. Was in der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang oft nicht bekannt ist, ist beispielsweise, dass Beamte leichter versetzt werden können, dass es keinen Beförderungsanspruch gibt, wenn qualifiziertere Aufgaben übertragen werden oder dass Überstunden teilweise ohne Ausgleich zu leisten sind.

Warum reklamiert Deutschland für sich in Europa ein Sonderbeamtenrecht?

Die öffentlichen Dienste und dienstrechtlichen Regeln der EU-Mitgliedstaaten sind allesamt sehr unterschiedlich gestaltet. Das öffentliche Dienstrecht ist aufs Engste verknüpft mit der jeweiligen staatlichen Identität und spiegelt insoweit den europäischen Pluralismus wieder. Denn die Mitgliedstaaten mit ihrer Identität und Vielfalt konstituieren dieses Europa, das eben kein Monolith ist und auch kein Monolith sein darf. Das Beamtenrecht ist wesentlich für die staatliche Identität der Bundesrepublik. Das BVerfG hat in seinem Lissabon-Urteil klargestellt, dass die Identität der Mitgliedstaaten eine Integrationsgrenze darstellt. Die Identität, für die der öffentliche Dienst maßgeblich ist, darf nicht angetastet werden.

Kollidiert Deutschlands Sonderrolle mit EU-Recht?

Das EU-Recht betrachtet den öffentlichen Dienst in besonderer Weise, was zum Beispiel in den Bestimmungen über die Freizügigkeit zum Ausdruck kommt. Die Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung sind nämlich nach Artikel 45 Absatz 4 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vom Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgenommen.

Weiterhin einschlägig ist Artikel 153 Absatz 5 AEUV, wo das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht von der EU-Kompetenz ausdrücklich ausgenommen sind! Das bedeutet: EU-Recht, ja, hat Vorrang vor nationalem Recht. Es ist aber vernünftig geregelt, weshalb es hier keinen Normenkonflikt gibt.

In den europäischen Nachbarländern ist der öffentliche Dienst mit seinen Beschäftigten vielfach anders organisiert…

Es gibt hier kein „richtig“ oder „falsch“. Jeder Staat hat das Recht, seine eigene innere Organisation selbst zu bestimmen. In Deutschland hat sich das Berufsbeamtentum als Instrument entwickelt, das Funktionieren wichtiger Aufgaben sicherzustellen. Hinzu kommt, dass es auch in allen Ländern Europas Streikverbote gibt, die sich dort aber auf bestimmte Bereiche beziehen, während das in Deutschland für eine bestimmte Berufsgruppe, die Beamten, geregelt ist.

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat es weit weniger Streiks gegeben als in praktisch allen anderen europäischen Staaten. Dies ist der besonderen Stärke der Sozialpartnerschaft, der Mitbestimmung, aber eben auch dem besonderen Rechts- und Treueverhältnis des deutschen Berufsbeamtentums zu verdanken. Insofern kann man zwar nicht sagen, andere Länder funktionierten nicht. Aber die Bürger leiden dort schon, wenn immer wieder auch im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge streikbedingte Einschränkungen hinzunehmen sind. Im Übrigen ist das auch für die Wirtschaft ein klarer Standortnachteil, wenn der öffentliche Dienst regelmäßig durch intensive und extensive Streiks lahmgelegt wird.

Was hat die europäische Menschenrechtskonvention mit Beamten zu tun?

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist ein völkerrechtlicher Vertrag, den die Europaratsmitglieder geschlossen haben. Die Konvention hat damit nicht den Rang, den das EU-Recht genießt, das als supranationales Recht über dem einfachen Recht der EU-Staaten steht. Die EMRK steht somit nicht über deutschem Verfassungsrecht, das eben für die Berufsbeamten ein Streikverbot vorsieht.

Wie ist es zu dem Streikverbotsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gekommen?

Seit Ende 2018 waren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Individualbeschwerden von vier verbeamteten Lehrkräften anhängig, die in verschiedenen Bundesländern tätig waren. Wegen der rechtswidrigen Teilnahme an Streikmaßnahmen in der Dienstzeit in den Jahren 2009 und 2010 wurden gegen diese Lehrer Disziplinarmaßnahmen verhängt, gegen die Rechtsmittel eingelegt worden sind.

Die Verfahren wurden von der GEW durch Rechtsschutz unterstützt und richteten sich gegen die Bundesrepublik Deutschland. Es wurde behauptet, die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) - und dort Artikel 11 und 14 der EMRK - seien betroffen. Ein Streikverbot für Beamtinnen und Beamte sei gesetzlich nicht vorgesehen, unverhältnismäßig und im Vergleich zu angestellten Lehrerinnen und Lehrern diskriminierend, so die Argumentation in den Beschwerdeverfahren.

Den Verfahren vor dem EGMR waren verwaltungsgerichtliche Verfahren vorangegangen, die mit einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juni 2018 ihren Abschluss fanden.

Das Bundesverfassungsgericht hat 2018 klar, eindeutig und umfassend entschieden, dass das Streikverbot für deutsche Berufsbeamtinnen und -beamte in Deutschland verfassungsgemäß und auch europarechtlich rechtmäßig ist.

Die Rechtsposition des dbb, der in diesem Verfahren ausführlich Stellung genommen hat, wurde vollumfänglich bestätigt. So haben die Karlsruher Richter auch verdeutlicht, dass das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte in Deutschland mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, und insbesondere mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Einklang steht.

In dem im Dezember 2023 abgeschlossenen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben sich die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer auf europäischer Ebene gegen die disziplinarische Belangung aufgrund ihrer Streikteilnahme während der Dienstzeit gewendet.

In welcher Weise war der dbb an dem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beteiligt?

Der dbb beamtenbund und tarifunion ist die größte Interessenvertretung für alle Belange der Statusbeamtinnen und Statusbeamten in Deutschland. Deshalb sieht der dbb nicht tatenlos zu, wenn aus dogmatischen Gründen bzw. egoistischen Einzelinteressen bewährte, geschützte und institutionell im Grundgesetz garantierte Institutionen grundlos angegriffen werden. Deshalb ist der dbb aktiv geworden und es ist gelungen, erfolgreich einen Antrag auf Drittbeteiligung in dem EGMR-Verfahren zu stellen. Drittbeteiligte können in dem Verfahren vor dem Gerichtshof Stellung nehmen und ihre Sicht der Dinge darlegen. Dies hat der dbb mit den Festlegungen unseres Grundgesetzes in aller Deutlichkeit gemacht. Der dbb wurde in Straßburg durch Herrn Prof. Dr. Matthias Pechstein, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) vertreten.

Hintergrund

Das Streikverbot ist eines der Kernbestandteile des Berufsbeamtentums. Es gehört zu den in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ und genießt damit rechtlich Verfassungsrang. Das Streikverbot ist gleichzeitig aber auch in seiner Stabilitätsfunktion eine der tragenden Säulen für die Legitimation des besonderen Dienstverhältnisses. Das Streikverbot gilt unabhängig davon, ob im konkreten Fall hoheitliche Aufgaben wahrgenommen werden – maßgeblich ist der Status, der Rechte und Pflichten bestimmt.

 

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 12. Juni 2018 (Az. 2 BvR 1738/12 u.a.) entschieden, dass das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte verfassungsgemäß ist und damit die Rechtsauffassung des dbb bestätigt.

Gegenstand des Verfahrens sind vier gegen das Streikverbot für Beamte gerichtete Verfassungsbeschwerden, die der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts nunmehr zurückgewiesen hat. Die Beschwerdeführenden sind oder waren als beamtete Lehrkräfte an Schulen in drei verschiedenen Bundesländern tätig. Sie nahmen in der Vergangenheit während ihrer Dienstzeit an Streikmaßnahmen teil. Diese Teilnahme wurde durch die zuständigen Disziplinarbehörden geahndet. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Streikteilnahme stelle einen Verstoß gegen grundlegende beamtenrechtliche Pflichten dar; insbesondere dürfe ein Beamter nicht ohne Genehmigung dem Dienst fernbleiben. In den fachgerichtlichen Ausgangsverfahren wandten sich die Beschwerdeführenden letztlich erfolglos gegen die jeweils ergangenen Disziplinarverfügungen.

Mit dem vorliegenden Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die gegen das Streikverbot gerichteten Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, was der dbb beamtenbund und tarifunion ausdrücklich begrüßt hat. Der Zweite Senat bezeichnete das Streikverbot des Art. 33 Abs. 5 GG insoweit als eigenständiges, systemnotwendiges und damit fundamentales Strukturprinzip des Berufsbeamtentums. Nach der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts ist das beamtenrechtliche Streikverbot eng verknüpft mit den verfassungsrechtlichen Fundamenten des Berufsbeamtentums in Deutschland, namentlich der beamtenrechtlichen Treuepflicht und dem Alimentationsprinzip. Bei diesem wechselseitigen System lasse das Beamtenverhältnis ein – so wörtlich – „Rosinenpicken“ nicht zu. Ein Streikrecht (für bestimmte Beamtengruppen) würde eine Kettenreaktion in Bezug auf die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses auslösen und wesentliche Grundsätze und damit zusammenhängende Institute in Mitleidenschaft ziehen, so der Zweite Senat.

Auch nach der Auffassung des dbb ist das Streikverbot als eines der Kernbestandteile der in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums und damit als eine der tragenden Säulen für die Legitimation des besonderen Dienstverhältnisses anzusehen. Der dbb Bundesvorsitzende äußerte sich unmittelbar nach der Urteilsverkündung dahingehend, dass die Verfassung mit dem Berufsbeamtentum und seinen Grundsätzen in einem ausbalancierten Verhältnis von Rechten und Pflichten ganz bewusst einen streikfreien Raum garantiere, in dem eine ständige staatlichen Aufgabenstellung und damit die Funktionsfähigkeit des Staates sichergestellt werde. Insoweit seien Verlässlichkeit und Neutralität der Leistungen des Staates in Deutschland über den Beamtenstatus abgesichert. Nur dieser Status garantiert einen in wesentlichen Aufgabenfeldern streikfreien und verlässlichen öffentlichen Dienst, so der dbb Bundesvorsitzende.

Zu der von den Beschwerdeführenden aufgeworfenen Frage, inwieweit das hiesige Streikverbot mit den Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 11 EMRK) auch mit Blick auf die dazu ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschrechte vereinbar sei, stellte der Zweite Senat fest, dass das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte in Deutschland mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes im Einklang stehe und insbesondere auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sei. Ein Streikverbot für deutsche Beamtinnen und Beamte und konkret für beamtete Lehrkräfte sei nach Art. 11 Abs. 2 S. 1 EMRK gerechtfertigt. Die Zuerkennung eines Streikrechts für Beamte wäre unvereinbar mit der Beibehaltung grundlegender beamtenrechtlicher Prinzipien und würde das System des deutschen Beamtenrechts, eine nationale Besonderheit der Bundesrepublik Deutschland, im Grundsatz verändern und in Frage stellen, so der Zweite Senat.

Auch hat das Bundesverfassungsgerichts festgestellt, dass beamtete Lehrkräfte zu dem Bereich der Staatsverwaltung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK zählen; also wie Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder Staatsverwaltung anzusehen seien. Dies hat zur Folge, dass auch für beamtete Lehrkräfte die Ausübung der Rechte aus Art. 11 Abs. 1 S. 1 EMRK, also z.B. das Streikrecht, beschränkt werden könne. Für den Bereich der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen ergebe sich ein besonderes Interesse des Staates an der Aufgabenerfüllung durch Beamtinnen und Beamte; deshalb seien solche Einschränkungen gerechtfertigt. Denn das Schulwesen und der staatliche Erziehungs- und Bildungsauftrag nehme im Grundgesetz (Art. 7 GG) und den Verfassungen der Länder einen hohen Stellenwert ein, so das Bundesverfassungsgericht.

Das Bundesverfassungsgericht hat seinem Urteil vom 12. Juni 2018 folgende Leitsätze vorangestellt:

1. Der persönliche Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst auch Beamte (vgl. BVerfGE 19, 303 <312, 322>). Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit ist zwar vorbehaltlos gewährleistet. Es kann aber durch kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechte begrenzt werden.

2. a) Das Streikverbot für Beamte stellt einen eigenständigen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG dar. Es erfüllt die für eine Qualifikation als hergebrachter Grundsatz notwendigen Voraussetzungen der Traditionalität und Substanzialität.

2. b) Das Streikverbot für Beamte ist als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums vom Gesetzgeber zu beachten. Es weist eine enge Verbindung auf mit dem beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip, der Treuepflicht, dem Lebenszeitprinzip sowie dem Grundsatz der Re­gelung des beamtenrechtlichen Rechtsverhältnisses einschließlich der Besoldung durch den Gesetzgeber.

3. a) Die Bestimmungen des Grundgesetzes sind völkerrechtsfreundlich auszulegen. Der Text der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 111, 307 <317>; 128, 326 <367 f.>; stRspr).

3. b) Während sich die Vertragsparteien durch Art. 46 EMRK verpflichtet haben, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen (vgl. auch BVerfGE 111, 307 <320>), sind bei der Orientierung an der Rechtsprechung des Europäi­schen Gerichtshofs für Menschenrechte jenseits des Anwendungsbereiches des Art. 46 EMRK die konkreten Umstände des Falles im Sinne einer Kontextualisierung in besonderem Maße in den Blick zu nehmen. Die Vertragsstaaten haben zudem Aussagen zu Grundwertungen der Konvention zu identifizieren und sich hiermit auseinanderzusetzen. Die Leit- und Orientierungswirkung ist dann besonders intensiv, wenn Parallelfälle im Geltungsbereich derselben Rechtsordnung in Rede stehen, mithin (andere) Verfahren in dem von der Ausgangsentschei­dung des Gerichtshofs betroffenen Vertragsstaat betroffen sind.

3. c) Die Grenzen einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung ergeben sich aus dem Grundgesetz. Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 128, 326 <371>). Im Übrigen ist auch im Rahmen der konventionsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte möglichst schonend in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechtssystem einzupassen.

4.Das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte in Deutschland steht mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes im Einklang und ist insbesondere mit den Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar. Auch unter Berück­sichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lässt sich eine Kollisionslage zwischen dem deutschen Recht und Art. 11 EMRK nicht feststellen.

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