Bund und Kommunen
Unaufgeforderter Versand von Briefwahlunterlagen zulässig
Für die Wahl des Betriebsrats kann der Wahlvorstand denjenigen Arbeitnehmenden, von denen ihm bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl wegen vorübergehender mobiler Arbeit oder wegen Kurzarbeit voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden, die Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe ohne einen entsprechenden Antrag übersenden (Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 23. Oktober 2024, Aktenzeichen 7 ABR 34/23).
Der Fall
Im Betrieb eines großen Automobilherstellers in Wolfsburg sollten Anfang 2022 turnusgemäße Betriebsratswahlen stattfinden. Zur Zeit der Wahlausschreibung im November 2021 prägte die Coronapandemie das Land. Bundesweit wurde so weit wie möglich im Homeoffice gearbeitet, so auch im betroffenen Betrieb. Dort galt die Homeoffice-Anordnung insbesondere für den Verwaltungsbereich. Ausgenommen waren Beschäftigte, deren Tätigkeit die Anwesenheit bei der Produktion erforderte. Dem Wahlvorstand war bekannt, dass ein großer Teil der Kolleginnen und Kollegen die Arbeit aus dem Homeoffice erledigte und es zudem zu temporären Abwesenheiten aufgrund von Kurzarbeit infolge von Produktionsausfällen kommen würde.
Aus diesem Grund traf der Wahlvorstand Vorkehrungen und versandte an etwa 26.000 Mitarbeitende in der Verwaltung ohne deren Aufforderung Briefwahlunterlagen. Weitere etwa 33.000 Produktionsmitarbeitende in Kurzarbeit erhielten ebenfalls Post mit Briefwahlunterlagen. Von 39.498 abgegebenen Stimmen erfolgten 35.000 im Rahmen der schriftlichen Stimmabgabe.
Nach Abschluss der Wahl fochten mehrere wahlberechtigte Arbeitnehmende die Wahl mit der Behauptung schwerwiegender Verstöße gegen die Wahlvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes sowie der Wahlordnung an. Unter anderem rügten sie die pauschale Versendung der Briefwahlunterlagen an alle Verwaltungsmitarbeitende und solche, die von Kurzarbeit betroffen waren.
Das Arbeitsgericht Braunschweig folgte den Anträgen der Kläger und erklärte die Wahl für unwirksam. Das im Anschluss zuständige Landesarbeitsgereicht Niedersachsen wies den Antrag ab, so dass die Antragsteller Rechtsbeschwerde beim BAG einlegten.
Die Entscheidung
Der siebte Senat des BAG urteilte, dass für die Wahl des Betriebsrats der Wahlvorstand denjenigen Arbeitnehmenden, von denen ihm bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl wegen vorübergehender mobiler Arbeit oder wegen Kurzarbeit voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden, die Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe ohne einen entsprechenden Antrag übersenden kann.
Weiter heißt es in der Entscheidung, dass die Fälle einer zulässigen Briefwahl in der Wahlordnung (WO) abschließend geregelt sind. Nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 WO erhalten die Unterlagen zur schriftlichen Stimmabgabe – ohne dies zu verlangen – diejenigen Wahlberechtigten, von denen dem Wahlvorstand bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht im Betrieb anwesend sein werden. Hierunter fallen auch Arbeitnehmende, die während der Wahl wegen vorübergehend ausgeübter mobiler Arbeit und wegen Kurzarbeit betriebsabwesend sind.
Offen bleibt die Klärung der Frage, ob der Wahlvorstand – insoweit unter Verstoß gegen § 24 Abs. 2 Nr. 1 WO – die Briefwahl-unterlagen auch an zur mobilen Arbeit berechtigte Arbeitnehmende übersandt hat, von denen er wusste, dass sie im Wahlzeitraum wegen Unabkömmlichkeit ihre Tätigkeit im Betrieb verrichten. Hierzu ist eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch das Landesarbeitsgericht notwendig. Zu den sonstigen von den Antragstellern beanstandeten Wahlfehlern hat der Senat abschließend befunden, dass sie die Anfechtung der Betriebsratswahl nicht begründen.
Das Fazit
Die Entscheidung des BAG ist logisch und konsequent. Die Betriebsratswahlen und die Arbeit der Betriebsräte sind entscheidende Faktoren für eine funktionierende Mitbestimmung im Betrieb. Damit alle Beschäftigten die garantierte Möglichkeit der Stimmabgabe bei einer Wahl bekommen, sieht die Wahlordnung richtigerweise bestimmte Szenarien für die Durchführung einer Briefwahl vor. Zu Krisenzeiten der Pandemie waren zahllose Betriebe geschlossen oder nur minimal besetzt. Den Beschäftigten, die im Homeoffice tätig waren oder in Kurzarbeit geschickt wurden, keine Wahlunterlagen zuzusenden, käme einem Ausschluss von der Betriebsratswahl gleich. Denn viele Kolleginnen und Kollegen kamen über Monate nicht ins Büro und hätten ohne Briefwahl im Zweifel nicht einmal Kenntnis von der anstehenden Betriebsratswahl erlangen können. Die Kontaktierung abwesender Beschäftigter zum Zwecke der schriftlichen Wahl ist demnach zulässig und notwendig.