Initiativrecht des Betriebsrats bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung

(Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 27. Juli 2021, Aktenzeichen 7 TaBV 79/20)

Sachverhalt

Betriebsrat und Arbeitgeberseite einer vollstationären Wohneinrichtung streiten im vorliegenden Fall über das Initiativrecht des Betriebsrats bei der Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung. Dazu führten die Parteien zuerst erfolgreich mehrere Verhandlungen, die in einem Rohentwurf mündeten. Überraschenderweise verwarf die Arbeitgeberseite das Vorhaben nach einigen Monaten, obwohl die notwendige Hardware bereits angeschafft wurde. Daraufhin leitete der Betriebsrat ein Beschlussverfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle ein, die dann auch ihre Tätigkeit aufnahm. Allerdings unterbrach diese ihr Verfahren schnell wieder, um arbeitsgerichtlich klären zu lassen, ob der Betriebsrat entgegen dem BAG-Beschluss vom 28. November 1989 (Aktenzeichen 1 ABR 97/88) tatsächlich ein Initiativrecht zur Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung hat. Das Arbeitsgericht Minden entschied in erster Instanz gegen den Betriebsrat (Beschluss vom 15. September 2020, Aktenzeichen 2 BV 8/20). Sodann wendete sich der Betriebsrat mit einer Beschwerde an das LAG Hamm, und das mit Erfolg.

Urteilsbegründung

Bei der Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems handelt es sich um eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, da dies eine technische Einrichtung darstellt, die dazu bestimmt beziehungsweise dafür geeignet ist, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmenden zu überwachen. Da der Betriebsrat bei Mitbestimmungsthemen des § 87 Abs. 1 BetrVG ein so genanntes Initiativrecht hat, kann er den Arbeitgebenden Vorschläge unterbreiten und diese notfalls über die Einigungsstelle auch durchsetzen, so wie im vorliegenden Fall geschehen. Allerdings steht diese Rechtsauffassung im Widerspruch zur Entscheidung des BAG (Beschluss vom 28. November 1989, Aktenzeichen 1 ABR 97/88), wonach Betriebsräte Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmenden durch Überwachungsmaßnahmen abwehren sollen, das heißt der Überwachung durch den Arbeitgeber Grenzen setzen. Daher können Betriebsräte von sich aus die Einführung technischer Einrichtungen zur Arbeitszeitdokumentation und Arbeitszeitüberwachung nicht verlangen. Dies ist wiederum im Kontext des Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom Mai 2019 problematisch. Denn dort wurde entschieden, dass die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG nicht nur inhaltliche Arbeitszeitgrenzen festlegt, sondern den Mitgliedsstaaten vorgibt, Arbeitgebende zu verpflichten, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von Arbeitnehmenden geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“ (EuGH, Urteil vom 14. Mai 2019, Aktenzeichen C-55/18, Rn.60). Diese Entscheidung haben Gerichte bei der Auslegung des nationalen Rechts zu beachten. Das LAG weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass europarechtliche Fragestellungen hier nicht entscheidungsrelevant gewesen seien. Vielmehr ergebe sich das Initiativrecht des Betriebsrats aus den Absichten des Gesetzgebers der BetrVG-Reform unter Verweisung auf Gesetzesmaterialien aus dem Jahre 1972 grundsätzlich bei allen Mitbestimmungstatbeständen des § 87 Abs. 1 BetrVG.

Aussichten

Es bleibt abzuwarten, ob das BAG in seiner anstehenden Entscheidung an der Rechtsauffassung aus dem Jahre 1989 festhält oder diese aufgibt. Ein zeitnahes Urteil wäre wünschenswert, da die Frage des Initiativrechts des Betriebsrats im Zusammenhang mit einem elektronischen Zeiterfassungssystem von erheblicher praktischer Bedeutung ist.

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