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Streikverbot für Beamtinnen und Beamte bestätigt: „Erfolg auf ganzer Linie“

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die dbb-Position zum Streikverbot im Beamtentum voll bestätigt. Im Expertengespräch wurden die Hintergründe erläutert.

Beamtinnen & Beamte

„Es ist richtig und wichtig, dass der dbb vor dem EGMR klar Stellung bezogen und das Wesensmerkmal des Streikverbots für das deutsche Berufsbeamtentum herausgestellt hat“, unterstrich der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am 24. Januar 2024 im Vorfeld des dbb forums ÖFFENTLICHER DIENST am gleichen Tag. Bei der Veranstaltung mit dem Titel „Deutsches Berufsbeamtentum und Menschenrechte – gab’s da ein Problem?“ diskutierte Silberbach das EGMR-Urteil und seine Hintergründe mit Prof. Dr. iur. Matthias Pechstein. Pechstein ist Inhaber des Jean Monnet-Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Europarecht, an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. „Die Entscheidung der Richterinnen und Richter in Straßburg deckt sich in allen relevanten Punkten mit den Feststellungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts und den rechtlichen und gewerkschaftspolitischen Einordnungen des dbb. Darüber freue ich mich ganz besonders“, sagte Silberbach.

In der Sache ging es um vier verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer aus verschiedenen Bundesländern, die trotz eindeutigen Streikverbots für alle Berufsbeamtinnen und -beamten in Deutschland in den Jahren 2009 und 2010 an gewerkschaftlichen Streikmaßnahmen während der Unterrichtszeit teilnahmen. „Beamte haben so wichtige Aufgaben für die Funktionsfähigkeit des Staates auf allen seinen Ebenen, dass dort nicht gestreikt werden darf. Als Beamtinnen und Beamte hätten auch diese Lehrkräfte ihre Arbeit nicht niederlegen dürfen“, so Silberbach. Gegen die ausgesprochenen Disziplinarmaßnahmen gingen die Lehrkräfte erfolglos durch alle Instanzen. Silberbach: „Das Bundesverfassungsgericht hat daraufhin im Jahr 2018 eindeutig und umfassend entschieden, dass das Streikverbot für deutsche Beamtinnen und Beamte verfassungsgemäß und auch europarechtlich rechtmäßig ist. Das Urteil ist nach wie vor wegweisend.“ Mit dem Gang vor den Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg beriefen sich die Lehrkräfte zuletzt auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Auch hier ohne Erfolg: Der Gerichtshof hat im Dezember 2023 entschieden, dass das für deutsche Beamte geltende Streikverbot zulässig ist und nicht die europäische Menschenrechtskonvention verletzt.

Wegweisendes Urteil

Matthias Pechstein, der den dbb vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten hatte, bewertete dieses Verfahren als eine „konstruktive und positive Grundlagenentscheidung zu Wesen, Struktur und besonderen Merkmalen des Berufsbeamtentums auf nationaler und europäischer Ebene.“ Über den Verlauf, insbesondere die Haltung der Bundesregierung, zeigte er sich wie Silberbach erfreut: „Die Stellungnahme der Bundesregierung war herausragend. Dass der dbb eine ähnliche Stellungnahme abgegeben hatte, zeigte, dass dbb und Bundesregierung an einem Strang ziehen.“ Am Ende wurden sogar Passagen aus der Stellungnahme in das Urteil übernommen. „Der EGMR ist sehr tief in die Gesetzeslage eingestiegen“, berichtete Pechstein. „Er hat es an die Große Kammer weitergegeben, was bedeutet, dass er das Thema ernst genommen hat.“

Der Kontext macht den Unterschied

Pechstein hob als zentralen Punkt des Urteils die Kontextualität hervor: „Der EGMR hat die Individualbeschwerden und die darüber hinausgehenden Stellungnahmen im Kontext der nationalen Rechtsordnung gesehen und die entsprechenden Rückschlüsse gezogen.“ Das bedeute, dass die Rechtmäßigkeit von Beamtenstreiks in jedem Land anders ausgelegt werde. So hatte der EGMR das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte in der Türkei 2009 als nicht mit der EMRK vereinbar bezeichnet. Dies wurde von der Gegenseite als Präzedenz für die Unrechtmäßigkeit des Streikverbots herangezogen. Der EGMR habe mit dem jetzigen Urteil jedoch festgestellt, „dass die Stellung der türkischen Beamten eine vollkommen andere ist als die der deutschen“, erklärte Pechstein. Es sei Anliegen des dbb gewesen, dass die Bewertung stets im Kontext der jeweiligen nationalen Gesetzeslage stattfinde. Im Zuge des Verfahrens hatte der EGMR festgestellt, dass in Deutschland ein statusbezogenes Streikrecht gelte und nicht ein funktionsbezogenes. Straßburg könne deutsches Recht allerdings nicht aufheben, da es unter dem Grundgesetz stehe, betonte Pechstein. Die Urteile der EGMR haben viel mehr eine Orientierungswirkung. „Jeder Staat sollte sich aus Eigeninteresse die Urteile anschauen und sich fragen, ob das Urteil mit der Rechtslage bei sich vergleichbar ist, und sich gegebenenfalls beeilen, die Lage anzupassen.“

Scharfe Worte fand er für die Gegenseite: „Es hat sich als fadenscheiniger Unsinn entpuppt, dass die GEW scheinheilig behauptete, sie müsste die Beamten, ‚die autoritär von ihren Dienstherren geknechtet werden, befreien‘. Die Arbeitgebenden kontrollieren ihre Beschäftigten nicht autoritär. Wir haben schlicht eine Situation, die das Streikrecht überflüssig macht.“ Beamtinnen und Beamte haben über den Gerichtsweg eine Möglichkeit, für ihre Arbeitsbedingungen und die Besoldung einzustehen. „Tatsache ist, dass Beamtinnen und Beamte eine angemessene Besoldung in Gerichtsverfahren einklagen können“, erklärte Pechstein. Beamtinnen und Beamte dürften nicht streiken, könnten aber klagen. „Das müssen sie dann aber auch tun“, machte Pechstein deutlich.

Kein Raum für politische Interpretationen

Silberbach pflichtete Pechstein in der Einschätzung bei, dass es im Bereich des öffentlichen Dienstes Gewerkschaften gebe, die offenbar Schwierigkeiten mit dem Berufsbeamtentum hätten. „Für den Beamtenbund ist der Beamtenstatus ein unverzichtbarer Eckpfeiler unseres Staatswesens. Die Bundesrepublik ist zum Beispiel nur so gut durch die Coronakrise gekommen, weil es ein Berufsbeamtentum mit Streikverbot gibt und damit alle wichtigen staatlichen Aufgaben im Krisenfall ohne Wenn und Aber erfüllt werden.“ Weil der dbb mehr als die Hälfte der Beamtinnen und Beamten in Deutschland vertrete und dieser Verantwortung gerecht werden wolle, habe er für den Prozess vor dem EGMR erfolgreich die Drittbeteiligung angestrebt und eine entsprechende Stellungnahme abgegeben. „Auf der anderen Seite vertritt der dbb aber auch die Interessen von rund 400 000 Tarifbeschäftigten, die für das Funktionieren des Staates genauso wichtig sind und für deren Streikrecht wir nachdrücklich eintreten. Was wir gerade feststellen, ist eine politisch motivierte Diskussion über das Streikrecht, die zum Teil schon verfangen hat, frei nach dem Argument: Wenn der Staat den Beamten verfassungsrechtlich garantierte Bestandteile ihrer Dienst- und Treuepflicht, etwa die amtsangemessene Alimentation, nicht einwandfrei und umfänglich gewährt, müsse im Gegenzug über ein Streikrecht für Beamte nachgedacht werden. Ich teile derartige Überlegungen nicht und erwarte von den Dienstherren, dass sie mit beiden Beinen auf dem Grund der Verfassung stehen. Dann erübrigen sich Diskussionen um das Streikrecht für Beamte von selbst.“

Mit Blick auf den aktuellen Konflikt der dbb Gewerkschaft GDL mit der Bahn verteidigte Silberbach, dass die Lokführer von ihrem Streikrecht Gebrauch machen, und konstatierte, dass das Berufsbeamtentum bei der Bahn seinerzeit bewusst abgeschafft worden sei. „Ein Schritt, vor dem der dbb gewarnt hat. Dadurch wurde ohne Not ein streikgefährdeter Bereich in der Infrastruktur geschaffen.“ Eine erneute Verbeamtung von Lokführerinnen und Lokführern würde der dbb Chef zwar begrüßen, „ich sehe aber nicht, dass das auf absehbare Zeit passiert“.

Das Video zur Veranstaltung

 

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