dbb magazin 03/2016 - page 25

Frauen in Ostdeutschland mit
8,5 Prozent, bei Männern der
gleichen Gruppe gab es ein
Plus von 8 Prozent.
Vor allem in Dienstleistungs­
berufen hat sich die Bezahlung
verbessert: Der ostdeutsche
Einzelhandel, das Gastgewer-
be, die Wach- und Sicherheits-
dienste und „sonstige perso-
nennahen Dienstleistungen“,
zu denen etwa Wäschereien
und Frisöre gehören, verzeich-
neten kräftige Steigerungen.
Im Gastgewerbe, das vomMin-
destlohn am stärksten betrof-
fen ist, stiegen die Verdienste
um 2,9 Prozent, in Ostdeutsch-
land sogar um 8,6 Prozent. In-
nerhalb des produzierenden
Gewerbes wurde in der Fleisch-
verarbeitung bis zum dritten
Quartal ein Zuwachs von ins-
gesamt 5,6 Prozent erreicht.
Auch die Tarifpolitik hat nach
der WSI-Analyse dazu beige­
tragen, dass die unteren Lohn-
gruppen weiter aufholen konn-
ten. In mehreren Branchen, in
denen es noch tarifliche Nied-
riglöhne unter 8,50 Euro gab,
wurden höhere Verdienste be-
reits vor 2015 vereinbart. Die
Gewerkschaften wollten damit
niedrige Tarifentgelte an das
Mindestlohnniveau heranfüh-
ren, während die Arbeitgeber-
verbände auf die möglichst
weitgehende Ausnutzung des
Übergangszeitraums von zwei
Jahren zielten. Zu den betrof­
fenen Branchen zählen das
Friseurgewerbe, die Fleisch­
industrie sowie der Bereich
Land- und Forstwirtschaft und
Gartenbau. Anfang 2015 lag
der Anteil der Niedriglohngrup-
pen unter 8,50 Euro in Tarifver-
trägen nur noch bei 6 Prozent.
Durch weitere Tarifanpassun-
gen konnte er im Laufe des
Jahres 2015 auf 3 Prozent
weiter reduziert werden,
zeigt die Auswertung der
Wissenschaftler.
Die von vielen Ökonomen prog-
nostizierten Jobverluste sind
ausgeblieben, geht weiter aus
der WSI-Analyse hervor. Die Be-
schäftigung hat im Gegenteil
kontinuierlich zugenommen.
Im Oktober 2015 gab es nach
Angaben der Bundesagentur
für Arbeit 713 000 mehr so­
zialversicherungspflichtige
Beschäftigte als im gleichen
Monat des Vorjahres. Dies ent-
spricht einem Zuwachs von 2,3
Prozent. In Ostdeutschland fiel
das Plus mit 1,9 Prozent leicht
geringer als in Westdeutsch-
land mit 2,4 Prozent aus. Gera-
de in Branchen mit traditionell
vielen Geringverdienern sind
nach Einführung des Mindest-
lohns nicht nur die Verdienste,
sondern auch die Zahl der Jobs
kräftig gestiegen. Den größten
Beschäftigungsaufbau ver-
zeichnete mit 6,6 Prozent das
Gastgewerbe, gefolgt von den
Bereichen „sonstige wirtschaft-
liche Dienstleistungen“, Leihar-
beit, Heime und Sozialwesen
sowie Verkehr und Lagerei. Le-
diglich bei der Beschäftigung in
der ostdeutschen Land- und
Forstwirtschaft weist die Sta-
tistik einen geringen Rückgang
in einer traditionellen Niedrig-
lohnbranche aus. Allerdings
könne dieser kaum auf den
Mindestlohn zurückgeführt
werden, so die Forscher. Denn
gerade in diesem Bereich gilt
ein Branchenmindestlohn un-
terhalb von 8,50 Euro.
<<
Mindestlohn
noch zu niedrig
Vor dem Hintergrund der posi-
tiven Erfahrungen werde der-
zeit über die Anhebung des
Mindestlohns diskutiert, so
das WSI. Diese soll erstmals
Anfang 2017 erfolgen. Als Ori-
entierungsgröße für die Emp-
fehlung der Mindestlohnkom-
mission gilt die Entwicklung
der Tariflöhne in den Vorjah-
ren. Nach dem Tarifindex des
Statistischen Bundesamtes
stiegen die Tariflöhne 2014
und 2015 insgesamt um 5,5
Prozent. Das heißt für den Min-
destlohn: Er müsste auf etwa
neun Euro angehoben werden.
Darüber hinaus wäre zu prüfen,
ob ein solches Mindestlohnni-
veau tatsächlich den im Gesetz
geforderten „angemessenen
Mindestschutz der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer“
gewährleistet, heißt es imWSI-
Bericht. Für eine Abwägung se-
hen die Forscher verschiedene
relevante Orientierungsmar-
ken: So liegen die Mindestlöh-
ne in Westeuropa derzeit alle
oberhalb von neun Euro pro
Stunde. Der französische Min-
destlohn liegt sogar mehr als
einen Euro über dem deut-
schen Niveau. Auch relativ be-
trachtet ist der deutsche Min-
destlohn niedrig: Er entspricht
weniger als 50 Prozent des
Medianlohns in Deutschland.
Nach gängiger Definition müs-
se er damit als „Armutslohn
betrachtet werden“, schreiben
die Wissenschaftler. In den Dis-
kussionen um eine europaweit
koordinierte Mindestlohnpoli-
tik werde oft eine Untergrenze
von 60 Prozent des Median-
lohns im jeweiligen Land als
„angemessen“ betrachtet. Für
Deutschland würde dies eine
Erhöhung auf mehr als zehn
Euro bedeuten. Oberhalb dieser
Marke liegen auch die meisten
tariflich vereinbarten Bran-
chenmindestlöhne.
<<
Öffentlicher Dienst
und Mindestlohn
Was hat das mit dem öffentli-
chen Dienst zu tun, wo nach
Entgelt- und Besoldungsgrup-
pen bezahlt wird? Theoretisch
dürfte der Mindestlohn hier
gar kein Thema sein. „Das
stimmt nicht ganz“, weiß Vol-
ker Geyer, Bundesvorsitzender
der Kommunikationsgewerk-
schaft DPV (DPVKOM). „In den
Postnachfolgeunternehmen
Post, Postbank und Telekom
spielt das Thema Mindestlohn
in der Tat keine Rolle. Das kann
für den gesamten Postmarkt
jedoch nicht behauptet wer-
den. Insbesondere im Bereich
alternativer Zustelldienste ver-
dienen die Beschäftigten oft-
mals weniger als den Mindest-
lohn.“ So seien dort viele
Beschäftigte als Subunterneh-
mer und Scheinselbstständige
auf dem Postmarkt tätig. Für
diese Gruppen gelte der ge-
setzliche Mindestlohn nicht.
„Im Bereich der Call-Center
wurde der gesetzliche Min-
destlohn unseres Wissens
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