dbb magazin 03/2016 - page 24

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Mindestlohn:
Neue Aufgaben für den öffentlichen Dienst
Aus gewerkschaftspolitischer Sicht ist der Min-
destlohn eine gerechte Sache. Niemand sollte für
Hungerlöhne arbeiten müssen. Seit 1. Januar 2015
gilt der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro
Stunde, für den die Gewerkschaften lange ge-
kämpft haben. Befürchtungen, der Mindestlohn
könnte Arbeitsmarkt und Konjunktur dämpfen,
haben sich ein Jahr nach der Einführung nicht
bewahrheitet. Die Probleme liegen anderswo.
Auf einer Pressekonferenz zur
Lage auf dem Arbeitsmarkt zog
Bundesarbeitsministerin Andrea
Nahles am 5. Januar 2016 in
Berlin eine weitgehend positive
Bilanz: „Die Arbeitslosenquote
ist weiter gesunken und mit
Blick aufs Gesamtjahr waren in
Deutschland so wenige Men-
schen ohne Arbeit wie seit
1991 nicht mehr. Besonders er-
freulich ist mit plus 600000 der
erneute Zuwachs bei der sozial-
versicherungspflichtigen Be-
schäftigung im Vergleich zum
Vorjahr“, erklärte Nahles. Die
Arbeitsplätze in Deutschland
seien so sicher wie nie. Das Risi-
ko, eine sozialversicherungs-
pflichtige Arbeit zu verlieren
und arbeitslos zu werden, liege
bei deutlich unter einem Pro-
zent. „Zu dieser guten Entwick-
lung hat allen Unkenrufen zum
Trotz auch die Einführung des
Mindestlohns vor einem Jahr
beigetragen: Er schafft Dyna-
mik von geringfügiger Beschäf-
tigung hin zu sozialversiche-
rungspflichtiger Arbeit – und
das besonders häufig in Nied-
riglohnbranchen.“
Ebenso ist die befürchtete Kla-
gewelle wegen des Mindest-
lohns ausgeblieben. Vor dem
Bundesarbeitsgericht sind
kaum Klagen in der Sache an-
hängig, was nicht zuletzt auf
die saftigen Bußgelder zurück-
zuführen ist, die auf Verstöße
gegen den Mindestlohn ste-
hen. Gerichtspräsidentin Ingrid
Schmidt sagte der „Welt“ am
10. Februar 2016: „Eine Klage-
welle gibt es nicht [...] Der Min-
destlohn wird gezahlt!“ Unter
anderem dürfen Arbeitgeber
ihren Angestellten nicht kündi-
gen, weil sie das Gehalt nicht
auf den Mindestlohn anheben
wollen. Der Bundesgerichtshof
wird darüber hinaus noch fest-
legen, welche Sonderzahlun-
gen Arbeitgeber als Lohnbe-
standteile in den Mindestlohn
einrechnen dürfen.
Auch die Ende Januar 2016
vorgestellte Studie des Wirt-
schafts- und Sozialwissen-
schaftlichen Instituts (WSI) der
Hans-Böckler-Stiftung kommt
zu positiven Ergebnissen: Der
gesetzliche Mindestlohn nutze
Millionen Beschäftigten. Vor
allem in klassischen Niedrig-
lohnbranchen seien die Ver-
dienste kräftig gestiegen. Der
positiven Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt habe der Min-
destlohn unter dem Strich
nicht geschadet. Es sei deutlich
zu erkennen, dass die neue Be-
zahlungsuntergrenze das Lohn-
gefüge in Deutschland verän-
dert habe, aufgeholt hätten
vor allem weniger gut qualifi-
zierte Arbeitnehmer.
Die Lohnentwicklung sei
„wesentlich ausgeglichener“
geworden, schreiben die
WSI-Forscher Marc Amlinger,
Dr. Reinhard Bispinck und Dr.
Thorsten Schulten. Auch wenn
sich bislang noch nicht exakt
sagen lasse, wie viele Men-
schen letztendlich vomMin-
destlohn profitiert haben, so
deuteten überdurchschnittlich
hohe Steigerungen in klassi-
schen Niedriglohnbranchen
auf „erhebliche Effekte“ hin.
Potenziell betroffen seien nach
Daten des Sozio-oekonomi-
schen Panels (SOEP) zwischen
4,8 und 5,4 Millionen Beschäf-
tigte, die im Jahr 2014 noch ei-
nen geringeren Stundenlohn
als 8,50 Euro hatten.
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Ostdeutsche profitieren
Weitere Ergebnisse der Studie:
2015 sind die Bruttostunden-
löhne von Voll- und Teilzeit­
beschäftigten gestiegen, im
dritten Quartal um 2 Prozent
gegenüber dem Vorjahresquar-
tal. In Ostdeutschland lag die
Steigerung im Schnitt sogar bei
3,6 Prozent, in Westdeutschland
bei 1,7 Prozent. Die stärksten
Zuwächse erzielten ungelernte
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