dbb magazin 03/2016 - page 30

Malta und die Flüchtlingsproblematik:
Keine Chance im „Zufluchtsort“
Am 18. und 19. Januar 2016 besuchte eine dreiköpfige Delegation des Europäischen Wirtschafts- und
Sozialausschusses (EWSA) das Europäische Asylunterstützungsbüro in Valletta, das gemeinsammit der
Europäischen Kommission und weiteren EU-Agenturen die Einrichtung der Hotspots in Griechenland
und Italien koordiniert. Die EWSA-Delegation sprach mit demmaltesischen Innenminister, mit dem
UNHCR und einer Reihe von in der Flüchtlingshilfe engagierten Nichtregierungsorganisationen. Ein
Flüchtlingslager, das Open Centre von Marsa, wurde besichtigt, das Hauptquartier der Migrant Off-
shore Aid Station besucht. Ein Fazit des Besuchs: Malta, dessen Name im Phönizischen „Zufluchtsort“
bedeutet, muss alles daransetzen, jede Art von Hilfe für Migranten zu gewähren.
Ahmed ist ein 21-jähriger Soma-
lier. Er wirkt intelligent und
sympathisch, vielleicht einen
Tick zu erwachsen für sein Alter.
Ahmed kam vor drei Jahren in
einer seeuntauglichen Nuss-
schale nach Malta. Sein Englisch
– neben Maltesisch die offizielle
Landessprache der kleinen In-
selgruppe – ist hervorragend.
Ahmed betreibt einen Radio-
sender für Migranten und wird
hierbei von einem Verein für
Flüchtlinge unterstützt. Der
Radiosender leistet einen Bei-
trag, den Mangel an Informati-
on zu lindern, den Flüchtlinge
und auch die Hilfsorganisatio-
nen beklagen. „Ich will hier
mein Leben aufbauen“, sagt
Ahmed, „ will die Werte der Be-
wohner dieser schönen Insel
teilen und verteidigen.“
So positiv wie Ahmed wirken
indes nicht alle Migranten, die
sich in der Inselhauptstadt
aufhalten. Im Gewerbegebiet
von Valletta erregen Gruppen
schwarzafrikanischer Männer
an einigen Straßenkreuzungen
Argwohn. Doch die, die am
Straßenrand warten, sind keine
Verbrecher, sondern Tagelöh-
ner. Sie schuften ohne jeden
Schutz auf Baustellen und Fel-
dern, in Fabrik- oder Lagerhal-
len. Die „Kriminellen“ sitzen in
den heranfahrenden Pick-ups
und Lastwagen: Malteser, die
unter den Asylsuchenden oder
bereits abgelehnten Migranten
kräftige Hände für schwierige
Arbeit suchen. Die Folgen sind
fatal. Während die EWSA-Dele-
gation sich auf Malta aufhielt,
brach auf einer Baustelle ein
Gerüst ein. Ein Iraker stürzte
aus dem dritten Stock ab und
starb wenige Stunden später
im Krankenhaus. Gegen den
Geschäftsführer der Baufirma
wird nun ermittelt. Ein anderer
Flüchtling wurde kurz zuvor
von einem herunterfallenden
Kranteil in der Hafenanlage
erschlagen.
Doch nicht alle Arbeitgeber be-
schäftigen illegal Flüchtlinge.
Die Regierung hat den Arbeits-
markt für Flüchtlinge geöffnet,
Arbeitserlaubnisse werden
ausgestellt, dennoch bleiben
die bürokratischen Hürden
für arbeitsuchende Migranten
laut örtlicher Handelskammer
hoch.
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Aufnahmelager
statt Gefängnis
Das Open Centre in Marsa
ist ein Aufnahmelager für
Flüchtlinge, das die Regierung
betreibt. Die Flüchtlinge fristen
wie andernorts in Europa ein
Leben auf engstem Raum. Nur
scheint einem die Armut der
Bewohner noch rascher ins
Auge zu springen. Pritschen
aus Metall und hohe Spinde
reihen sich in den Schlafräu-
men aneinander. Ein Mann
wäscht draußen eine Pfanne
unter einem rostigen Wasser-
hahn. Und doch, erfahren die
EWSA-Beobachter, ist die Lage
der Flüchtlinge besser als noch
vor einem Jahr. Denn bis 2015
nahmen die maltesischen Be-
hörden Asylsuchende, die ohne
Visum einreisten, in Haft. In-
zwischen führte internationa-
ler Druck zum Umdenken, und
es darf davon ausgegangen
werden, dass die rudimentär
wirkende Versorgung, die das
Open Centre leistet, weit bes-
ser ist als die Zustände in den
maltesischen Gefängnissen.
Derzeit beherbergt das Lager
nur etwa 100 Flüchtlinge. Seit
einem Jahr kämen kaum noch
Flüchtlingsboote nach Malta,
berichtet der Repräsentant des
Myriam Thyes
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