dbb magazin 03/2016 - page 28

Antirassismus-Arbeiter Ansgar Drücker (IDA e. V.):
Angst ist ein schlechter Ratgeber
Ansgar Drücker ist Geschäftsführer des Informa-
tions- und Dokumentationszentrums für Antiras-
sismusarbeit e. V. (IDA). IDA ist das Dienstleistungs-
zentrum der Jugendverbände für die Themenfelder
(Anti-)Rassismus, (Anti-)Rechtsextremismus und
Migrationspädagogik. Auch die dbb jugend ist
IDA-Mitglied.
dbb magazin:
Eine Partei, die Schüsse auf
Flüchtende aus kriegs- und kri-
sengeschüttelten Ländern für
gerechtfertigt hält. Tausende
Demonstrierende gegen eine
angebliche „Islamisierung des
Abendlandes“. Obergrenzen ge-
gen Willkommenskultur. Muss
uns diese Stimmung in Deutsch-
land Angst machen?
Drücker:
Angst würde uns lähmen und
wohlüberlegte Schritte gegen
diese Stimmung blockieren,
aber Besorgnis und Strategien
zur Auseinandersetzung mit
rassistischen Vorurteilen sind
auf jeden Fall angesagt. Wir
beobachten nicht erst seit der
kontroversen gesellschaftli-
chen Diskussion über die
Flüchtlingspolitik, dass sich ras-
sistische Einstellungen bis weit
in die Mitte der Gesellschaft
hinein breitmachen. Mit der
AfD füllt eine Partei die
rechtspopulistische Lücke im
deutschen Parteiensystem, die
mit plakativen und ebenso ein-
fachen wie unrealistischen For-
derungen auf viel Zustimmung
stößt und sich zu einer Art poli-
tischem Arm der Pegida-Bewe-
gung entwickelt hat. Dadurch
ist eine gesellschaftliche Stim-
mung entstanden, die Rechts-
extreme als Unterstützung für
Brandanschläge auf Flücht-
lingsunterkünfte wahrnehmen.
Und das ist in der Tat besorg-
niserregend, denn das „wir“ in
Deutschland umfasst nun auch
eine Million neu nach Deutsch-
land gekommener Menschen,
die zwar einer weiterhin vor-
handenen Willkommenskultur
begegnen, aber eben auch zu-
nehmend auf Vorurteile, Aus-
grenzung und Ablehnung sto-
ßen und täglich bedroht sind,
Opfer von Übergriffen und Ge-
walttaten zu werden. Das ist
das völlig falsche Signal an die
übergroße Mehrheit der Neu-
en, die sich integrieren wollen.
Dabei geht leider zunehmend
auch der Blick für die Situation
verloren, vor der die Menschen
fliehen, und unser Mitgefühl
droht zu schwinden. Die Ge-
flüchteten des Jahres 2015 ma-
chen etwa ein Prozent der Be-
völkerung aus und nicht alle
sind Muslime, von einer Islami-
sierung des Abendlandes kann
also keine Rede sein. Eher sind
wir aufgerufen, den Islam als
eine selbstverständlich auch in
Deutschland praktizierte Reli­
gion wahrzunehmen, deren
Glaubensgemeinschaften übri-
gens gegenüber den christli-
chen Kirchen strukturell eher
benachteiligt sind.
dbb magazin:
Warum sagen in den laufenden
Diskussionen und Gesprächen
so viele Menschen „Ich bin kein
Rassist, aber ...“?
Drücker:
Diese Formulierung ist fast im-
mer der Anfang eines Satzes,
der zu keinem guten Ende füh-
ren kann. Sie geht etwa von
einem Bild aus, dass man auf-
grund einer vermeintlichen po-
litischen Korrektheit, beispiels-
weise die Herkunft von Tätern,
nicht offen ansprechen dürfe.
Ganz im Gegenteil wird aber
beispielsweise nach den Über-
griffen in Köln in der Silvester-
nacht fast ausschließlich über
die Herkunft der Täter statt
über Sexismus und sexualisier-
te Gewalt und ihre Prävention
oder über Drogen gesprochen.
Geflüchtete werden massen-
weise als Täter verdächtigt, ob-
wohl allenfalls einzelne betei-
ligt waren. Seit Jahresbeginn
hat dies die Stimmung im Lan-
de in gefährlicher Weise kip-
pen lassen – und dies hat auch
mit der geballten Verbreitung
von Vorurteilen und Klischees
über Geflüchtete und Men-
schen arabischer oder nordafri-
kanischer Herkunft zu tun. Je-
der, der intensiver im Kontakt
mit geflüchteten Menschen
steht, weiß, wie unterschied-
lich „die Neuen“ sind, die zu uns
kommen, und wie falsch die
sowohl in den Medien als auch
in Alltagsgesprächen kommu-
nizierten Stereotype sind. Wer
diese Formulierung benutzt,
©Franz Pfluegl – Fotolia.com
Jan Brenner
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