dbb magazin 10/2022

dbb magazin Arbeitszeitmodelle im öffentlichen Dienst | Starre Systeme adé Interview | Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales Einkommensrunde Bund und Kommunen 2022 | Erste Branchentage 10 | 2022 Zeitschrift für den öffentlichen Dienst

STARTER Anschluss halten im Wettbewerb um Fachkräfte Mit Verkündung der Forderung der Gewerkschaften am 11. Oktober beginnt der Tarifmarathon und endet Anfang 2024. Obwohl es den Arbeitgebern nur ums liebe Geld gehe, gelte es vor allem, Forderung und Durchsetzung einheitlicher zu gestalten, so dbb Tarifchef Volker Geyer. Den Anfang des bekannten Rituals macht die Einkommensrunde für Bund und Kommunen Anfang 2023. Damit einhergehend starteten bereits im September die dbb Branchentage mit Diskussionen zu den möglichen Forderungen. Im Interview prangert Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil den Fachkräftemangel in allen Bereichen an. Als eine Hauptursache nennt er die ungenügende Flexibilität am Arbeitsplatz, warnt aber zugleich, die Auseinandersetzung um eine höhere Regelaltersgrenze auszuweiten, die versteckte Rentenkürzungen zur Folge hätte. Vivien Tharun betrachtet in ihrer Reportage die unterschiedlichen Arbeitszeitmodelle und wirft einen Blick auf das brandneue Modellprojekt „Führen in Teilzeit“, das Bundesfamilienministerium und dbb frauen angekündigt haben. Frank Specht vom „Handelsblatt“ definiert den Arbeits- und Fachkräftemangel als eine „echte Wachstumsbremse“ und sieht auch eine „hausgemachte Personalnot“ im öffentlichen Dienst, der dringend darauf angewiesen ist, imWettbewerb um Fachkräfte Anschluss zu halten. Er stellt aber auch klar, dass Finanzminister und Parlamente in Bund und Ländern Bereitschaft zeigen müssen, sich einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst etwas kosten zu lassen. red TOPTHEMA Arbeiten im öffentlichen Dienst 20 30 AKTUELL NACHRICHTEN 4 Demografischer Wandel: Maßnahmen gegen den Personalmangel 5 MEINUNG Fachkräftemangel: Die Stellschrauben jetzt drehen 6 ONLINE-FORUM dbb Ideenfabrik „Geh, hör!“ Staatliches Handeln braucht Resilienz 8 ZUR SACHE 2022 bis 2024: Das lange Tarifjahr 14 EKR BUND UND KOMMUNEN Erste Branchentage: Mitreden, mitarbeiten, mitentscheiden 16 FOKUS INTERVIEW Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales 20 REPORTAGE Arbeitszeitmodelle: Starre Systeme adé 22 VORGESTELLT Digitalstrategie der Bundesregierung: Deutschland muss jetzt liefern 28 INTERN IN EIGENER SACHE dbb Imagekampagne: How-to Social-Media-Toolbox 30 Neuer dbb Podcast gestartet: Menschen, die Staat machen 31 JUNGE BESCHÄFTIGTE Bundesjugendausschuss 2022: 75 Anträge an den Gewerkschaftstag 32 Neues dbb jugend magazin: #staatklar 33 FRAUEN Bundesweite Kampagne: Mitmachen für #ParitätJetzt 34 SENIOREN Politikergespräch: Mobilität und Teilhabe sicherstellen 35 SERVICE 38 Impressum 41 KOMPAKT GEWERKSCHAFTEN 42 8 22 Foto: Kit8net/Colourbox.de AKTUELL 3 dbb magazin | Oktober 2022

NACHRICHTEN Fachkräftegipfel der Bundesregierung Der Staat hat seine Hausaufgaben nicht gemacht Im Vorfeld des „Fachkräftegipfels“ der Bundesregierung hatten ver.di und der dbb darauf hingewiesen, dass Bund, Länder und Kommunen selbst erheblichen Nachholbedarf haben. Es sei grundsätzlich zu begrüßen, dass die Bundesregierung das Problem des Fachkräftemangels strategisch angehen wolle, erklärten der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke und der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am 6. September 2022. So müsse etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch den Gesetzgeber weiter verbessert werden, beispielsweise durch die Einführung von Familienpflegezeit und -geld. Entscheidend seien aber ebenso massive Investitionen in die Stärkung des öffentlichen Dienstes. Ein Schlüssel zur Stärkung der Fachkräftebasis, so die Gewerkschafter, sei etwa die Bildung. In den Kitas, Schulen – insbesondere den Berufsschulen – und Universitäten sei der Fachkräftemangel aber ebenfalls längst bittere Realität. Der Staat müsse daher vor der eigenen Tür kehren: Neben zusätzlichen Stellen würden bessere Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst gebraucht. Dabei geht es nicht nur um die Bezahlung, sondern beispielsweise auch um Ausstattung und Weiterbildungsmöglichkeiten. Von der notwendigen, aber bisher verschlafenen Verwaltungsdigitalisierung ganz zu schweigen. „Wir brauchen eine ‚Verantwortungsgemeinschaft‘ von Bund, Ländern und Sozialpartnern, um ein bundesweit attraktives Aus- und Weiterbildungssystem zugunsten von Kitas und Schulen zu schaffen. Mehr noch: Im Gesundheits- und Altenpflegebereich lässt sich der Fachkräftemangel nur mit einer bedarfsgerechten Personalausstattung und einer flächendeckenden Tarifbindung beheben. Und wir brauchen ein Gesamtkonzept für eine duale Ausbildung von Heilberufen“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Ulrich Silberbach betonte: „Wie in so vielen Bereichen haben wir kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Es ist lange bekannt, dass uns im öffentlichen Dienst schon heute über 360000 Beschäftigte fehlen. Und der demografische Wandel macht natürlich auch vor der Verwaltung nicht halt: In den kommenden zehn Jahren gehen allein 1,3 Millionen Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand, die ersetzt werden müssen. Bund, Länder und Kommunen gehen diese Probleme aber immer noch zu zögerlich an. Um dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen, hat der Staat also in der Gesetzgebung und in der eigenen Personalpolitik seine Hausaufgaben nicht gemacht.“ ■ Ein starker Rechtsstaat braucht eine starke Justiz Schwindendes Vertrauen in den Rechtsstaat und die Handlungsfähigkeit des Staates hat der Zweite Vorsitzende und Fachvorstand Beamtenpolitik des dbb, Friedhelm Schäfer, auf dem Amtsanwaltstag des Deutschen Amtsanwaltsvereins (DAAV) am 16. September 2022 in Düsseldorf bemängelt. Der Justiz komme als dritter Gewalt im Staat nicht nur eine besondere verfassungsrechtliche Rolle zu, sondern auch eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion. Wenn aber der aktuellen dbb Bürgerbefragung zur Folge zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr an die Handlungsfähigkeit des Staates glaubten, sei das ein besorgniserregender Trend, der die Politik wachrütteln müsse. „Dennoch genießt die Justiz in Deutschland grundsätzlich hohes Ansehen, und unser Rechtssystem gilt in vielen Ländern als vorbildlich“, sagte Schäfer und unterstrich, dass ein starker Rechtsstaat eine starke Justiz brauche. Um diese hohe Qualität aufrechtzuerhalten, bedürfe es eines Dreiklanges aus mehr Personal, einer besseren technischen Ausstattung und eines effizienten Verfahrensrechts. „Darüber hinaus braucht es angesichts erheblicher Personalprobleme und vor allem auch großer Digitalisierungsaufgaben neben Aufgabenkritik und Nachwuchsgewinnung ein umfängliches Investitionspaket für die gesamte Justiz“, umriss Schäfer die Forderungen des dbb. „Dadurch muss vor allem für eine flächendeckende Umsetzung von digitalen Vorhaben in allen Bereichen der Justiz sowie für eine einheitliche Umsetzung der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs gesorgt werden.“ Bislang sei die Bundesregierung die Umsetzung des versprochenen Rechtsstaatspaktes 2.0 schuldig geblieben. „Eine funktionsfähige Rechtspflege ist und bleibt Dreh- und Angelpunkt unseres Rechtsstaates. Darauf sollen unsere Bürgerinnen und Bürger auch weiter vertrauen können.“ Amtsanwälte Model Foto: Colourbox.de 4 AKTUELL dbb magazin | Oktober 2022

Demografischer Wandel im öffentlichen Dienst Maßnahmen gegen den Personalmangel 360 000 Beschäftigte fehlen aktuell im öffentlichen Dienst. Den größten Bedarf haben derzeit die Kommunalverwaltungen und der Gesundheitsbereich. Bis 2030 steigt diese Lücke auf eine Million Beschäftigte bei Bund, Ländern und Kommunen. Das sind ungefähr so viele Beschäftigte, wie die Stadt Köln Einwohner hat. Wenn Zahlen sehr groß sind, wirken sie abstrakt. Dennoch spüren Bürgerinnen und Bürger die Lücke: Bürgeramtstermine müssen Monate im Voraus gebucht werden, in den Schulen fehlen Lehrende und in den Kitas Erziehende, Genehmigungsverfahren laufen schleppend und bei den Gerichten bewegt sich manchmal gar nichts. Das ist nicht nur lästig, sondern bedroht auch den Wirtschaftsstandort Deutschland. Investitionen stauen sich und Fortschritt, Bildung und Forschung treten auf der Stelle. Doch es gibt Möglichkeiten zum Gegensteuern. Viele Entgelte im öffentlichen Dienst sind zum Beispiel nicht mehr konkurrenzfähig. Die Rechnung „Geld zu Arbeitszeit“ geht für viele Bewerber nicht mehr auf. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum es kein Sondervermögen für den öffentlichen Dienst gibt. Aber auch bei den sogenannten „weichen Faktoren“ gibt es Nachholbedarf. Wird zum Beispiel mehr Wertschätzung gefordert, mangelt es im Umkehrschluss an der Führungskultur im öffentlichen Dienst. Dafür müssen Führungskräfte gezielt geschult werden. Quereinstiege erleichtern Der öffentliche Dienst braucht darüber hinaus mehr Quereinstiege aus der Privatwirtschaft. Dazu müssen formelle Hürden abgebaut werden, die Qualifikation für die Tätigkeit muss in den Vordergrund treten. Im Zuge der Digitalisierung muss der öffentliche Dienst eine Qualifizierungsoffensive starten, bei der die Herausforderungen der neuen Arbeitswelt berücksichtigt werden. Eigenverantwortliches, flexibleres Arbeiten muss gefördert werden. Diese Emanzipation der Mitarbeiter kann nicht ohne Weiterbildung erfolgen. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass sich damit Karrieremöglichkeiten verbessern und die Attraktivität des öffentlichen Dienstes steigt. Einfachste Tätigkeiten müssen so weit wie möglich automatisiert und digitalisiert werden. So wird mehr Personal für komplexe Sachverhalte und den Dienst amMenschen frei. Hier sind andere Länder in der Europäischen Union schon weiter und bieten ihren Bürgerinnen und Bürgern erweiterte Services und vereinfachten digitalen Zugang ohne persönliche Vorsprache im Amt. In Deutschland gleicht die Verwaltungsdigitalisierung dagegen einem Flickenteppich. Ohne Investitionen in den und Innovation für den öffentlichen Dienst wird Deutschland existenzielle Zukunftsaufgaben nicht adäquat bewältigen können. Mit zu wenig Personal sind ein Übermaß an Bürokratie, Vorschriften und komplexen Verfahren kontraproduktiv. Schon jetzt gibt es viele Verwaltungsvorschriften, die aufgrund von Personalmangel nicht vollzogen werden können. Das schafft Politikverdrossenheit, denn in der Konsequenz bedeutet das, dass die Politik die Ausgestaltung staatlicher Aufgaben einerseits und die Gesellschaft die Forderung an den Staat andererseits auf das notwendige, erfüllbare Maß zurückführen soll. Ziel muss daher eine neue Verantwortungsteilung zwischen Staat, Gesellschaft und Unternehmen sein. Anreizsysteme schaffen Die Zahl der Beschäftigten mit Migrationshintergrund ist im Vergleich zur Privatwirtschaft unterdurchschnittlich. Zudem ist dieser Personenkreis überdurchschnittlich häufig in befristeten Beschäftigungsverhältnissen tätig. Es fällt auf, dass konkrete Rekrutierungsvorhaben im Ausland für den öffentlichen Sektor dennoch fehlen. Der dbb macht bei diesen Themen Druck. Daher forderte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach von Bund und Ländern am 18. August 2022 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung konkrete Maßnahmen: „Zwei Dinge sind sehr wichtig: Zum einen brauchen wir endlich eine langfristige Personalplanung in der Verwaltung, die den demografischen Wandel berücksichtigt. Wir müssen schon jetzt Stellen schaffen, um zukünftige Generationen auf die anstehenden Aufgaben vorzubereiten. Zum anderen müssen wir den öffentlichen Dienst durch Anreizsysteme attraktiver machen.“ Der dbb wolle schon lange eine echte Qualifizierungsoffensive und eine leistungsgerechte Bezahlung. „Wer sich weiterbildet, soll mehr bekommen“, so Silberbach. ■ Foto: Colourbox.de AKTUELL 5 dbb magazin | Oktober 2022

Fachkräftemangel Die Stellschrauben müssen jetzt gedreht werden Es gibt Dinge, die lassen sich nur schwer vorhersehen. Wladimir Putins brutaler Angriffskrieg in der Ukraine gehört dazu. Die möglichen Konsequenzen aus der Entscheidung, sich bei der Energieversorgung weitgehend von einem einzigen Lieferanten abhängig zu machen, hätte man zumindest erahnen können. Glasklar prognostizieren ließ sich dagegen der Arbeits- und Fachkräftemangel, der zu einer echten Wachstumsbremse zu werden droht. Geburtenziffern, Schulanfänger, Ausbildungs- und Studienabsolventen, Alterskohorten, Renteneintritte, Einwanderungszahlen – die Daten, aus denen sich Mangel oder Überangebot auf dem Arbeitsmarkt ablesen lassen, sind bekannt. Und die Probleme fangen erst richtig an, wenn sich ab Mitte des Jahrzehnts die geburtenstarken BabyboomerJahrgänge in den Ruhestand verabschieden. Der Mangel trifft Wirtschaft und Verwaltungen in der Breite. ITFachkräfte werden ebenso gesucht wie Erzieherinnen, Handwerker, Polizistinnen oder Kellner. In der Industrie, der Bauwirtschaft oder bei den Dienstleistern war der Fachkräftemangel im Frühsommer nach einer DIHKUmfrage das zweitgrößte Geschäftsrisiko, gleich hinter den Energie- und Rohstoffpreisen. Mehr als 360000 Beschäftigte fehlen allein im öffentlichen Dienst. Dabei ist gerade die Personalknappheit in den Kitas und Schulen besonders fatal, weil sie das Problem des Fachkräftemangels verschärft. Ohne ausreichende Betreuungsmöglichkeiten ist Eltern der Weg in den Beruf oder zu einer höheren Stundenzahl versperrt – betroffen sind meist gut qualifizierte Frauen. Und jede Stunde Unterrichtsausfall in den Schulen verkleinert den potenziellen Fachkräftepool und vergrößert den Anwärterkreis für das künftige Bürgergeld. Ohne ausreichende Personalausstattung verspielt der öffentliche Dienst aber auch das Vertrauen, das er sich in zwei Jahren Pandemie aufgebaut hat. Das ist fatal, wenn man bedenkt, dass der öffentliche Dienst momentan so gefragt ist wie lange nicht mehr. Beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren für Flüssiggasterminals oder Windparks, die große Bildungsoffensive, die Umsetzung des neuen Bürgergeldes, die Auszahlung von Krisenhilfen an Bürger und Unternehmen – überall kommt es auf funktionierende Verwaltungen an. Die Politik muss für eine bessere Berufsorientierung und leistungsfähige Bildungseinrichtungen sorgen und bestehende Beschäftigungshürden abbauen. Dazu zählen steuerliche Fehlanreize wie das Ehegattensplitting genauso wie fehlende Ganztagsbetreuung. Auch sollte die Regierung dem späten Bekenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, endlich auch ein praxistaugliches Migrationsrecht folgen lassen. Nicht zuletzt kommt es darauf an, Produktivitätspotenziale zu heben. Solange Verwaltungsmitarbeiter damit beschäftigt sind, Papierakten von A nach B zu schicken, weil die versprochene E-Akte weiter auf sich warten lässt oder Bürger für jede Kleinigkeit auf dem Amt vorsprechen müssen, ist die Personalnot im öffentlichen Dienst auch hausgemacht. Arbeitgeber und Gewerkschaften sind gemeinsam gefragt, für vernünftige Arbeitsbedingungen zu sorgen, wozu neben einer angemessenen Bezahlung auch eine ausreichende Personalausstattung gehört. Im öffentlichen Dienst muss die Bereitschaft der Finanzminister und Parlamente in Bund und Ländern hinzukommen, sich einen leistungsfähigen Staat auch etwas kosten zu lassen. Die Gewerkschaften müssen sich allerdings auch fragen lassen, ob sie mit einer vor allem auf untere Entgeltgruppen ausgerichteten Tarifpolitik so gut beraten sind, wenn in Ämtern und Behörden IT-Kräfte oder Ingenieurinnen und Ingenieure fehlen. Die Beschäftigten selbst sind gut beraten, regelmäßig die eigene berufliche Tätigkeit auf ihre Zukunftsfähigkeit abzuklopfen. Und bei Bedarf die Bereitschaft mitzubringen, sich weiter zu qualifizieren oder etwas ganz Neues anzufangen. Sonst droht das Paradox, dass in Deutschland Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel gleichzeitig zunehmen. Der Fachkräftemangel ist nicht plötzlich gekommen und er wird auch nicht über Nacht wieder verschwinden. Aber die Stellschrauben, mit denen er sich beheben lässt, sind bekannt. Jetzt müssen nur noch alle daran drehen. Frank Specht ... Frank Specht berichtet für das „Handelsblatt“ aus Berlin. Der Autor ... Solange Verwaltungsmitarbeiter Papierakten von A nach B schicken, ist die Personalnot im öffentlichen Dienst auch hausgemacht. Foto: Enenvski/Colourbox.de MEINUNG 6 AKTUELL dbb magazin | Oktober 2022

Wann müssen Lebenszeitbeamte raus aus dem Dienst? In einer weiteren Veranstaltung der Reihe dbb forum ÖFFENTLICHER DIENST digital wird der dbb das Thema: „Wann müssen Lebenszeitbeamte raus aus dem Dienst?“ in den Blick nehmen. Das Berufsrecht der Beamtinnen und Beamten ist auch im Bereich der vorzeitigen Beendigung des Beamtenverhältnisses spezifisch ausgestaltet. Grundsätzlich ist das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis auf Lebenszeit angelegt. Wegen des Lebenszeitprinzips gibt es beim Zugang zum Beamtenverhältnis hohe Hürden und spezielle Anforderungen. Wie geht man jedoch mit Beamtinnen und Beamten um, die sich im Verlauf der Dienstjahre beispielsweise etwas Gravierendes haben zuschulden kommen lassen, die nicht mehr fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen – oder sogar eine verfassungsfeindliche Haltung an den Tag legen? Der Rechtsstaat ist auch bei Berufsbeamten in solchen Fällen nicht hilflos. Beamtinnen und Beamte, die ein schweres Dienstvergehen verüben, das zu einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn oder der Allgemeinheit geführt hat, können aus dem Dienst entfernt werden. Dafür gibt es jedoch eigenständige und vom allgemeinen Arbeitsrecht abweichende Verfahrensregelungen. So ist im Regelfall vom Dienstherrn eine Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht zu erheben. Diese gerichtlichen Verfahren sind nach geltendem Recht mit verhältnismäßig langen Verfahrensdauern verbunden. Mit dem 9. dbb forum ÖFFENTLICHER DIENST sollen die Grundstrukturen aufgezeigt und die – zum Glück wenigen – problematischen Fälle von Beamtinnen und Beamten erörtert werden, die aufgrund von schwerwiegenden dienstlichen Verfehlungen aus dem Dienst entfernt werden sollen. Gemeinsammit Expertinnen und Experten werden dazu die grundlegenden Verfahren und Abläufe aufgezeigt und diskutiert, inwieweit eine Verfahrensstraffung möglich und sinnvoll ist. Dabei sollen auch die Unterschiede im Beamtenrecht von Bund und Ländern thematisiert werden. Das digitale Diskussionsforum ist ab 15 Uhr über die dbb Homepage per Livestream abrufbar. Eine Voranmeldung ist nicht erforderlich. 9. dbb forum ÖFFENTLICHER DIENST Montag, 7. November 2022, 15 Uhr im Livestream

ONLINE-FORUM dbb Ideenfabrik „Geh, hör!“ Staatliches Handeln braucht digitale Resilienz Verwaltungen und Infrastruktur müssen auch digital krisenfest aufgestellt werden, fordert dbb Chef Ulrich Silberbach. IT-Resilienz sei Voraussetzung für verlässliches Staatshandeln. Darüber diskutierten Beschäftigte sowie Expertinnen und Experten aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft im neuen dbb Format „Geh, hör!“ am 14. September 2022 in Berlin. In der als Ideenfabrik angelegten Veranstaltungsreihe, die wahlweise analog, hybrid oder digital stattfindet, werden aktuelle Themen des öffentlichen Dienstes aufgegriffen und in verschiedenen Themensessions diskutiert. In der ersten Ausgabe standen unter der Überschrift „#digital“ Cybersicherheit, Fachkräftegewinnung und Katastrophenschutz auf der Agenda. Gerade in Krisenzeiten sei es erforderlich, dass die Bürgerinnen und Bürger auf die Leistungsfähigkeit ihres Staates vertrauen können – „und dazu zählt im 21. Jahrhundert selbstredend auch die digitale Verlässlichkeit. IT-Resilienz ist Voraussetzung für verlässliches Staatshandeln“, so Silberbach. „Pandemie, Klimawandel, die Auswirkungen des furchtbaren Angriffskrieges in der Ukraine, die Energiekrise und nicht zuletzt die Inflationsentwicklung sind Faktoren, die jede und jeden Einzelnen von uns betreffen und verunsichern. Gerade in solchen Krisenzeiten ist es wichtig, dass sich der Staat auf allen Ebenen handlungsfähig und krisenfest präsentiert“, erläuterte Silberbach. Dies sei jedoch aktuell nicht der Fall, stellte er mit Blick auf die derzeitige dbb Bürgerbefragung fest: „Rund zwei Drittel der Bundesbürger stufen staatliche Akteure und Institutionen derzeit als nicht handlungsfähig ein. Wenn die Menschen dem Staat keine praktikablen, ökonomisch verantwortungsvollen und sozial gerechten Lösungsstrategien mehr zutrauen, ist das ein tiefgehender Vertrauensverlust, der das demokratische Fundament unseres Gemeinwesens erschüttern kann, wenn wir nicht gegensteuern“, warnte der dbb Chef. „Insbesondere das seit Jahrzehnten andauernde Digitalisierungsdebakel in Verwaltungen und Behörden sowie die augenscheinliche Unfähigkeit, staatliche Institutionen und systemrelevante Infrastrukturen nachhaltig gegen digitale Attacken zu schützen, tragen zu einer großen Verunsicherung bei. Auch die Staatsbediensteten selbst fühlen sich in Sachen Digitalisierung und IT-Sicherheit alleinegelassen, es gibt hier viel zu wenige personelle und technische Ressourcen“, zeigte Silberbach auf und forderte entsprechende Investitionen, um Verwaltungen und öffentliche Infrastruktur „auch digital krisenfest aufzustellen“. Cyberabwehr muss Schritt halten „Wir leben noch gar nicht in einer digitalen Welt“, begann der Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, sein Impulsreferat und verwies darauf, dass eine komplette Digitalisierung der Welt noch längst nicht Realität sei. „Trotzdem bereiten wir uns intensiv auf die Zukunftsthemen vor, denn obwohl unsere Lebenswelt noch nicht digital ist, nehmen die Angriffe auf IT-Infrastrukturen permanent zu.“ So werde mit Cybercrime mittlerweile mehr Geld verdient als mit Drogen. Es herrsche bereits heute „Alarmstufe Rot“ angesichts von 121 144 Millionen erkannten neuen MalwareprogramModelfoto: Tomasz Zajda Virrage Images Inc/Colourbox.de © iStock/dbb 8 AKTUELL dbb magazin | Oktober 2022

men im Jahr 2021. „Das sind bis zu 55 000 pro Tag“, konkretisierte Schönbohm. „Sie werden programmiert, um private, wirtschaftliche und öffentliche IT-Strukturen anzugreifen. Rund 40 000 Systeme werden täglich infiziert.“ Wenn etwa die Daten eines Krankenhauses erst von Erpressern verschlüsselt sind, entstehe ein digitaler Katastrophenfall, bei dem Cyberattacken letztlich reale Konsequenzen für den Einzelnen haben können, wenn aufgrund dessen etwa der Krankenwagen zu spät eintreffe. Weiter berichtete Schönbohm von möglichen Kollateralschäden durch sogenannten „Hacktivismus“: Konkret habe das internationale Hackerkollektiv „Anonymous“ als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine Rosneft Deutschland angegriffen, einen zentralen Öllieferanten für die neuen Bundesländer. Im selben Maße, wie sich die Innovationsgeschwindigkeit erhöhe, sei es nötig, dass das BSI als Sicherheitsbehörde des Bundes Schritt halte, zumal das BSI mittlerweile auch Sicherheitsdienstleistungen für die Bundesländer und große infrastrukturrelevante Konzerne anbieten könne. Notwendig dafür seien vor allem gut geschulte und motivierte Nachwuchskräfte. „Mittlerweile ist das BSI einer der beliebtesten Arbeitgeber der Bundesverwaltung. Das rührt auch daher, dass wir versuchen, junge Fachkräfte zu binden und ihnen berufliche Perspektiven in Form von Fortbildung und Möglichkeiten für Stellenwechsel zu bieten.“ In der Themensession zur Cybersicherheit diskutierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung und der Sicherheitsinstitutionen interaktiv über aktuelle Erfahrungen mit und Fragen zur Cybersicherheit. Dabei kristallisierte sich heraus, dass es bei der Bekämpfung von Cyberangriffen einerseits an Zentralisierung und andererseits massiv an Fachkräften fehlt. Weiter forderten die Diskutierenden mehr Kooperation und Vernetzung der Akteure und Institutionen sowie eine klare Verteilung der Zuständigkeiten in Bund, Ländern und Kommunen. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass der öffentliche Dienst den Wettbewerb mit der Wirtschaft um Fachkräfte kaum aufnehmen könne, weil die Vergütung im IT-Bereich der öffentlichen Hand zu schlecht und die Strukturen zu starr seien. Attraktivität für Fachkräfte steigern Den zweiten Input mit dem Schwerpunkt „Fachkräftegewinnung“ lieferte Johann Saathoff, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern und für Heimat. Aus seiner Sicht ist Deutschland mit seinem öffentlichen Dienst grundsätzlich gegen Krisen gewappnet, wenn es auch weiteres Potenzial für Verbesserungen gebe. Dies gelte auch für den Bereich der Fachkräftegewinnung. Hier habe gerade der Bund als Arbeit- beziehungsweise Dienstgebender bereits einiges zu bieten: Neben den 130 verschiedenen Ausbildungs- und Studienangeboten zählt Saathoff auch Bezahlung, Arbeitszeit sowie „weiche“ Faktoren wie Fortbildungsmöglichkeiten zu den Vorteilen. Im Bereich der Vergütung sei man durchaus konkurrenzfähig auf dem Markt, könnten doch etwa IT-Fachkräfte unter anderem durch Zulagen auf einen Jahresbruttoverdienst von circa 88 500 Euro kommen. Besonders hob der Staatssekretär jedoch hervor, dass die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit für viele junge Menschen bei der Berufswahl entscheidend sei – was im Staatsdienst an vielen Stellen in besonderemMaße gegeben ist. Diesen Punkt wolle man auch besonders herausstellen, wenn demnächst insbesondere über Social-Media-Kanäle verstärkt für die Plattform www.wir-sindbund.de geworben werde, auf der die Bundesregierung in vielen Sprachen für die Arbeit in der Bundesverwaltung wirbt. „Wir wollen Menschen zwischen 15 und 25 ansprechen, gerade auch mit Migrationshintergrund“, erklärte Saathoff. „Denn ich bin überzeugt: Diversität führt zu besseren Lösungen.“ Diese sei aber aktuell in den Bundeseinrichtungen tatsächlich noch ausbaufähig. Auch wolle man beispielsweise im Bereich des Gesundheitsschutzes noch besser werden. „Als Bundesregierung werden wir gemeinsam die Arbeit im öffentlichen Dienst weiter attraktiver machen“, versprach Saathoff. In der Themensession Fachkräftegewinnung diskutierten die Teilnehmenden Auswirkungen des Fachkräftemangels auf die eigene Arbeitsqualität. Der Personalmangel verursache etwa bei der Justizverwaltung erhebliche Wartezeiten: „Wer zum Beispiel Mitte September beim Amtsgericht in Berlin die Beurkundung eines Erbschaftsantrages beantragt, muss damit rechnen, erst im Februar kommenden Jahres einen Termin zu bekommen“, so eine Teilnehmerin. Als probate Mittel, die Personaldecke zu verstärken, nannten die Diskutierenden attraktivere und flexiblere Ar- „Angriffe auf IT-Infrastrukturen nehmen permanent zu.“ Arne Schönbohm „Junge Menschen suchen Sinnhaftigkeit im Beruf.“ Johann Saathoff © BSI Bund © Henning Schacht AKTUELL 9 dbb magazin | Oktober 2022

beitszeiten und -orte sowie verbesserte und modernere Vergütungsstrukturen. „Ohne die Möglichkeiten eines agilen und teamorientierten Arbeitens hätten wir die Herausforderungen während der heftigsten Coronaphase nicht so gut in den Griff bekommen“, fasste der Mitarbeiter eines Gesundheitsamtes die Chancen modernen Arbeitens zusammen. Auch aktuell werde Homeoffice „als wunderbare Ergänzung empfunden: Man sollte aber Wert darauf legen, dass bestimmte Mindestzeiten im Büro stattfinden.“ Wenn Personen „nicht für den öffentlichen Dienst brennen“, sei es indes eher schwierig, Überzeugungsarbeit zu leisten. Eine Teilnehmerin bekräftigte, dass bei der Werbung um junge Beschäftigte deutlich mehr Wert auf die Themen Lebenszeit- und Qualitätsorientierung gelegt werden müsse. „Die jungen Menschen sind sehr darauf bedacht, dass die Vereinbarkeit zwischen ihrem Leben und dem Beruf funktioniert.“ Bei der Etablierung moderner Arbeitsformen sei es sehr wichtig, die Skepsis insbesondere der älteren Führungskräfte durch Schulungen zu überwinden, zeigten sich die Teilnehmenden überzeugt. „Es gilt, Feedbackkultur einzuführen und Führungskräfte generell für die moderne Arbeitswelt zu sensibilisieren und fit zu machen: Dazu zählen Tools wie das Führen im Team und auch auf Distanz“, listete eine Hauptpersonalrätin aus dem Bundesumweltministerium (BMU) die Instrumente auf, die in ihrem Haus gezielt gegen den Fachkräftemangel eingesetzt werden. Katastrophenschutz digital Dr. Vanessa Just, Gründerin und CEO des Start-ups juS.TECH AG, erläuterte in ihrem Impulsvortrag, wie der Katastrophenschutz durch digitale Werkzeuge krisenfester gemacht werden kann. Die Expertin erklärte, dass besonders künstliche Intelligenz in allen Phasen der Katastrophenbekämpfung eingesetzt werden könne, also zur Prävention, Vorbereitung, Nachbereitung und Bewältigung. Technologien, die einzeln oder kombiniert für das Krisenmanagement eingesetzt werden können, sind beispielsweise Big Data und künstliche Intelligenz, Datenbanken, Datenquellen und eine zuverlässige Infrastruktur zur Kommunikation. So können zum Beispiel Bildanalysen Ermittelnden Hinweise liefern oder KI-Software dabei helfen, die Schwere einer möglichen Bedrohung einzuschätzen. „Künstliche Intelligenz kann vielfältig im Krisenmanagement eingesetzt werden. Wir brauchen allerdings auch Rahmenbedingungen, die es uns ermöglichen, diese Technologien ohne Schwierigkeiten anzuwenden“, so Just, die auch auf die Schattenseiten des Gebrauchs von KI einging. Insbesondere sprach sie Fragen der Ethik und der Datensicherheit an und wies auf die Notwendigkeit von gesetzlichen und regulatorischen Maßnahmen hin. Im Diskussionsforum zum Thema trugen die Teilnehmenden zusammen, woran es beim Einsatz von KI im Katastrophenfall mangele. Ergebnis: vor allem am Zugriff auf verwertbare Daten. Ohne Daten kann keine KI eingesetzt werden, Datenschnittstellen sind die Voraussetzung für funktionsfähige KI-Warnsysteme. Zudemmüsse klar sein, welche Daten überhaupt notwendig seien, damit KI zielsichere Ergebnisse liefern könne, hielten die Teilnehmenden fest. Auch ausreichend Fachpersonal und dessen Digitalkompetenz sind aus Sicht der Verwaltungsexpertinnen und -experten wichtig, um im Katastrophenfall handlungsfähig zu sein. Angesprochen wurde auch die verlässliche Funktionsfähigkeit von digitalen Warnsystemen. Gerade im Krisenfall müssten diese zuverlässig und autark funktionieren, war man sich einig. Bei der Entwicklung solcher Tools müsse insbesondere darauf geachtet werden, dass kein Flickenteppich aus unterschiedlichen Produkten entstehe, die nicht miteinander kompatibel funktionieren und keine Zuverlässigkeit bieten. Aufgrund der föderalen Zuständigkeiten sei dies jedoch bereits der Fall, beispielsweise bei der Einsatzsoftware für die örtlichen Feuerwehren. Eine Lösung könnten in solchen Dingen zentralisierte Entwicklungsprozesse sein. dbb Chef Ulrich Silberbach hielt in seinem Resümee der Ideenfabrik fest, dass sich wieder einmal gezeigt habe: „Egal, auf welches Problemfeld wir derzeit schauen – wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Alle diskutierten Probleme und Fallstricke kennen wir und insbesondere die Beschäftigten im öffentlichen Dienst seit Langem.“ Gleichwohl werde man nicht müde und werde die Forderungen, die sich in den Diskussionsforen herauskristallisiert hätten, „gezielt in den politischen Prozess und den Dialog mit Dienst- und Arbeitgebenden einbringen. Fest steht, dass es uns endlich gelingen muss, bei der Digitalisierungskompetenz und der Fachkräftegewinnung spür- und messbare Ergebnisse zu erzielen. Wir brauchen keine Workshops mehr, sondern müssen jetzt ins Tun kommen. Die Beschäftigten warten darauf, ebenso wie die Bürgerinnen und Bürger“, machte Silberbach deutlich. bas/br/cri/ef/iba/ows „Künstliche Intelligenz kann vielfach für das Krisenmanagement eingesetzt werden.“ Vanessa Just dbb Chef Ulrich Silberbach und Moderatorin Barbara Scherle © Jan Brenner © Faceland.com 10 AKTUELL dbb magazin | Oktober 2022

NACHRICHTEN Digitalisierung der Justizverwaltung „Pakt für den Rechtsstaat“ weiterführen Bund und Länder haben mit dem „Pakt für den Rechtsstaat“ mehr Stellen in der Justiz geschaffen. Der dbb fordert eine Fortsetzung, nun mit der Digitalisierung als Schwerpunkt. Die vorherige Bundesregierung hatte sich 2019 mit den Ländern neben weiteren Maßnahmen auf 2000 neue Stellen für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte verständigt, außerdem sollte zur Unterstützung entsprechend Büropersonal eingestellt werden. „Die Umsetzung ist praktisch vollständig abgeschlossen, das ist gut und richtig. Dabei darf es angesichts der enormen Herausforderungen aber nicht bleiben. Mit einem neuen Pakt müssen Bund und Länder jetzt die Digitalisierung der Justiz voranbringen. Wenn die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte gelingen sollen, dann muss weiter investiert werden“, sagte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am 15. September 2022 beim Rechtspflegertag des Bundes Deutscher Rechtspfleger (BDR) in Berlin. Die Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit in verschiedenen Ländern, sogar in einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, habe zuletzt eindringlich gezeigt, dass eine unabhängige Justiz nicht selbstverständlich sei und ihre Grundprinzipien gefestigt werden müssten. Silberbach: „Wir beobachten ein sinkendes gesellschaftliches Bewusstsein für den Wert des Rechtsstaates. Unsere jährliche Bürgerbefragung hat vor wenigen Tagen ergeben, dass sogar der Staat insgesamt an Ansehen verliert: Wenn rund zwei Drittel der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger ihn als handlungsunfähig einstufen, dann ist das mehr als alarmierend. Ich fürchte, dass diese Entwicklung zu einer Aushöhlung der demokratischen Haltung in der Gesellschaft führen kann.“ ■ Model Foto: Colourbox.de Tarifpflege mit Wirkung bei der Autobahn GmbH: Klare Verbesserungen vereinbart Eine Nachjustierung des noch jungen Tarifvertrages bei der Autobahn GmbH vor dem Ende der Laufzeit war dem dbb von Anfang an ein besonderes Anliegen. Im Rahmen der „Evaluierung“ sind nun eine Reihe von konkreten Verbesserungen vereinbart worden, die nun schon vor dem Ende der Laufzeit vorzeitig greifen. „Der Verkehr auf den Autobahnen läuft, weil die Kolleginnen und Kollegen ihren Job hervorragend machen. Innerhalb der Autobahn GmbH gibt es noch einige Stolpersteine. Die auszuräumen, muss unser gemeinsames Ziel sein. Mit dieser Einigung sind wir diesem Ziel ein gutes Stück nähergekommen“, machte Volker Geyer, Fachvorstand Tarifpolitik des dbb, am 21. September 2022 deutlich. Für den Bundesvorsitzenden der VDStra.-Fachgewerkschaft, HermannJosef Siebigteroth, ist es wichtig, dass der noch junge Tarifvertrag fortlaufend überprüft und bei begründetem Nachbesserungsbedarf auch weiter angepasst wird. Auch der Autobahn GmbH müsse klar sein, dass ihr wertvollstes und wesentlichstes Kapital die Kolleginnen und Kollegen sind, denen entsprechend Anerkennung und Wertschätzung entgegengebracht werden muss. Einzelheiten zu den vereinbarten Verbesserungen im Tarifvertrag mit der Autobahn GmbH: https://bit.ly/3BBzqoG Autobahn GmbH 12 AKTUELL dbb magazin | Oktober 2022

Öffentliche Infrastruktur Weitere Investitionen nötig Der dbb drängt weiter auf Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur. Eine „Privatisierung durch die Hintertür“ soll es dabei aber nicht geben. Wir dürfen unsere öffentliche Infrastruktur nicht auf Verschleiß fahren. Je länger Erhalt und Sanierung auf die lange Bank geschoben werden, desto aufwendiger, langwieriger und natürlich teurer wird es am Ende. Wir brauchen daher jetzt einen Zukunftsfonds, um den enormen Investitionsstau abzubauen und ihn nicht einfach der nächsten Generation zu überlassen. Dafür sollte der Bund ein Sondervermögen bilden, das nicht in die Schuldenbremse eingerechnet wird“, sagte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am 19. September 2022 beim Gewerkschaftstag der VDStra. (Fachgewerkschaft der Straßen- und Verkehrsbeschäftigten). Der Investitionsbedarf zeige sich auch im Straßenverkehr: Jede zehnte Brücke in Deutschland sei sanierungsbedürftig, alleine bei den Kommunen bestehe ein Investitionsstau von 34 Milliarden Euro nur für Straßen und Brücken. Zugleich habe der allgegenwärtige Personalmangel auch den Straßenbetriebsdienst erheblich geschwächt. „Weil nur noch schwer Nachwuchs zu finden ist, sind die Kolleginnen und Kollegen permanent überlastet, die Unfallgefahr steigt“, erklärte Silberbach. „Dabei sind die Beschäftigten ohnehin einem deutlich erhöhten Risiko für Leben und Gesundheit ausgesetzt. Unfälle mit Todesfolge sind bei der Arbeit auf Straßen und Autobahnen leider nicht selten.“ Mit Blick auf die notwendigen Investitionen erteilte der dbb Chef den sogenannten ÖPP-(Öffentlich-Privaten Partnerschafts-) Modellen eine klare Absage. „Dabei gibt der Staat nicht nur zu viel Verantwortung aus der Hand, sondern zahlt am Ende auch noch drauf, wie die unterschiedlichen Rechnungshöfe immer wieder zu Recht kritisiert haben“, so Silberbach. „Die englische Abkürzung für die Projekte, PPP (Public Private Partnership), könnte auch für Pleiten, Pech und Pannen stehen. Statt sich immer wieder auf solche finanzpolitischen Abenteuer einzulassen, muss die Politik endlich mutig staatliche Investitionen vorantreiben.“ ■ Foto: Tomasz Zajda Virrage Images Inc/Colourbox.de EU-Strategie für Pflege und Betreuung Zu kurz gegriffen Die EU-Kommission hat eine Strategie für Pflege und Betreuung vorgestellt. Aus Sicht des dbb gehen deren Pläne aber nicht weit genug. UmWirksamkeit zu entfalten, müssten sie zudem von einer europäischen Fachkräfteoffensive begleitet werden. Mit dieser Initiative zur Verbesserung der Situation in der Langzeitpflege und der Kinderbetreuung lenkt Brüssel die Aufmerksamkeit zu Recht auf zwei Bereiche, in denen in den Mitgliedstaaten dringender Handlungsbedarf besteht“, sagte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am 9. September 2022. In Deutschland gebe es zwar bereits Fortschritte wie den Steuerzuschuss für die soziale Pflegeversicherung. „Nichtsdestotrotz fehlen nach wie vor nachhaltige Konzepte, die großen Probleme der Pflegeversicherung, allen voran die Alterung der Gesellschaft und den Fachkräftemangel, anzugehen.“ Die Initiative der Kommission benenne zwar wichtige Probleme, gehe aber in ihren Schlussfolgerungen nicht weit genug. „Der dbb fordert seit Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Pflegeplatz – analog zur Kinderbetreuung.“ Der Rechtsanspruch allein reiche jedoch nicht aus. Der dbb Chef: „Der Rechtsanspruch muss, das gilt für die Pflege ebenso wie für die Kinderbetreuung, von einer europäischen Fachkräfteoffensive begleitet werden. Wir haben in Europa schlicht nicht mehr genug junge Leute, die sich für diese wichtigen sozialen Berufe interessieren.“ Gezielte Einwanderung könne einen Beitrag zur Lösung des Mangels darstellen, sei aber nicht die alleinige Lösung. „Der Pflegeberuf muss wie der des Erziehers und der Erzieherin attraktiver werden.“ ■ Model Foto: Barabasa/Colourbox.de AKTUELL 13 dbb magazin | Oktober 2022

ZUR SACHE 2022 bis 2024 Das lange Tarifjahr Ein normales Kalenderjahr hat 365 Tage. Das Tarifjahr 2023 wird deutlich länger. Im nächsten Jahr findet zunächst die Einkommensrunde mit Bund und Kommunen statt. Wenn diese im Frühjahr beendet sein wird, bereiten wir die Runde mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) vor, der sich dann Anfang 2024 noch die Einkommensrunde mit dem Land Hessen anschließen wird. Und da die kommunale Runde mit dem Termin der Forderungsfindung am 11. Oktober 2022 beginnt, wird das Tarifjahr 2023 etwa anderthalb Jahre dauern. Hier ist unsere interne Mitgliederdiskussion noch gar nicht einberechnet. Am 6. September 2022 haben wir mit unseren mittlerweile schon fest institutionalisierten Branchentagen begonnen. Manche wurden digital und manche klassisch analog durchgeführt. So oder so haben sie die wichtige Aufgabe, die Forderungsdiskussion im dbb ins Rollen zu bringen. So ist die Ausgangslage Die Erwartungshaltung unserer Mitglieder an die Einkommensrunden schätze ich als hoch ein. Schließlich haben alle in schwerer Zeit gute Arbeit geleistet und spüren an der Supermarktkasse oder der Zapfsäule, dass Inflation und Preissteigerung nicht nur in den Zeitungen stattfindet. Auch die Pandemie ist für jedermann – auch im engen Bekanntenkreis – spürbar. Denn während ich diesen Text schreibe, liegt die Coronainzidenz bei knapp 600. Wenn dieser Beitrag gelesen wird, ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Wert deutlich höher liegt. Ähnlich verhält es sich mit der Inflation. Diese Unbestimmtheit sowie die Tatsache, dass, wenn wir am 11. Oktober 2022 die Forderung zur nächsten Einkommensrunde beschließen, vielleicht noch immer Krieg in Europa herrscht, lässt das Fernbleiben von unseren Aktionen als einfache Alternative erscheinen. Aus meiner Am Ende wird es auch darauf ankommen, dass der einzelne Beschäftigte sich aufmacht und eine Einkommensrunde nicht für ein bloßes Ritual hält, sondern die Gelegenheit nutzt, die eigenen Interessen durchzusetzen.

Sicht ist es jedoch eindeutig die falsche. Denn wenn die Erwartungshaltung – zu Recht – hoch ist, muss es auch die Aktionsbereitschaft sein. Verbreitet ist auch eine Sicht der Dinge, wonach gerade die Pandemie gezeigt habe, wie wichtig der öffentliche Dienst sei. Folglich müssten die Arbeitgebenden doch selbst ein Interesse an einem Abschluss haben, der die Zukunftsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sichert. Das ist leider falsch. Denn in den Verhandlungen geht es den Arbeitgebenden vor allem ums liebe Geld und wie sie möglichst wenig davon an ihre Beschäftigten weitergeben müssen. Sie interessiert nur ihr Haushalt. Und wenn wir das ändern wollen, haben wir gerade jetzt viel zu tun und müssen frühzeitig anfangen, unser gemeinsames Vorgehen zu planen. Das ist unsere Aufgabe Ganz konkret geht es dabei zum Beispiel im ersten Teil, der TVöDRunde, darum, einen Zeitraum zu gestalten, der vom 11. Oktober 2022 bis (mindestens) zum 29. März 2023 dauern wird. An diesem Tag endet die dritte der vereinbarten drei Verhandlungsrunden. Wir müssen also Forderungsdiskussion, Forderungsfindung, Demonstrationen, Streiks und Verhandlungsführung – mehr noch als bisher – als eine Aufgabe ansehen, die uns alle betrifft. Wenn wir dieser Aufgabe gerecht werden wollen, werden wir viel kommunizieren müssen. Wir sind auf einem guten Weg, gemeinsammit unserer Bundestarifkommission sowie mit den von den jeweiligen Einkommensrunden betroffenen Fachgewerkschaften unsere Aktionsbereitschaft weiter zu erhöhen. Aber: So wichtig es sein wird, unsere Vorbereitungen gut zu strukturieren, so wird es am Ende doch auch darauf ankommen, dass der einzelne Beschäftigte sich aufmacht und eine Einkommensrunde nicht für ein bloßes Ritual hält, sondern als Gelegenheit, die eigenen Interessen durchzusetzen. Kurz gesagt: Unser Ziel muss sein, Forderung und Durchsetzung einheitlicher zu gestalten. Das ist umso wichtiger, als wir in den nächsten Jahren – der dbb als Dachverband genauso wie alle seine Fachgewerkschaften – vor riesigen Herausforderungen stehen werden. Die Verteilungskämpfe werden zunehmen und es wird nicht für jedes Problem ein sogenanntes Sondervermögen als Lösung geben. Zwischen Flensburg und dem Bodensee Und es sind nicht allein die schwierigen Rahmenbedingungen, von denen ich eingangs sprach, die unsere Arbeit in den nächsten Jahren erschweren. Hinzu kommt, insbesondere im Länderbereich, die Unfähigkeit der Arbeitgebenden und ihres tarifpolitischen Dachverbandes, der TdL, angemessen auf die neue Situation zu reagieren. Das haben wir alle während der zurückliegenden Einkommensrunde gemerkt, als die TdL mit ihrer sturen Politik in Sachen Arbeitsvorgang den Eindruck erweckte, Personal vergraulen zu wollen, obwohl doch sonst allerorten der Personalmangel beklagt wird. Nicht unwahrscheinlich ist, dass die TdL die sogenannte Schuldenbremse als willkommenen Vorwand nutzen wird, um sich einer konstruktiven Tarifpolitik zu verweigern. Aktuell verliert die TdL die Mitgliedschaft der sechs Unikliniken aus Nordrhein-Westfalen. Ursächlich ist die Weigerung, einen Entlastungstarifvertrag zu verhandeln. Dieser massive Substanzverlust ist schlecht für das Prinzip des Flächentarifs. Es könnte jedoch auch ein Beitrag sein, der TdL klarzumachen, dass Aussitzen in dieser dynamischen Zeit kein geeignetes Politikmodell ist. Übrigens: Arbeitsvorgang und Schuldenbremse können auch schon bei der TVöD-Runde eine Rolle spielen. Klar wird aber: Wir brauchen jede einzelne Berufsgruppe und jedes einzelne Mitglied, um unsere Ansprüche geltend zu machen. Die Einkommensrunden 2023 finden in Potsdam statt, entschieden werden sie jedoch zwischen Flensburg und dem Bodensee. In Berlin fand dieser Tage eine konzertierte Aktion der Sozialpartner statt. Im Vorfeld hatten Arbeitgebende schon den nationalen Notstand beschworen und damit eine Einschränkung von Streikmaßnahmen verbunden. Dazu ganz klar: Tarifpolitik findet tarifautonom statt und nicht im Kanzleramt. Ich habe bewusst das große und viel zitierte Wort von der Zeitenwende vermieden, um die aktuelle Situation und unsere Aufgaben zu beschreiben. Klar muss jedoch sein, dass wir nicht vor dem Hintergrund einer Schönwetterfront verhandeln. Mir geht es deshalb in diesem Beitrag und in meiner Arbeit der nächsten Monate darum, für die gemeinsame Aufgabe zu werben. Volker Geyer In den Verhandlungen geht es den Arbeitgebenden vor allem ums liebe Geld und wie sie möglichst wenig davon an ihre Beschäftigten weitergeben müssen. Wenn wir das ändern wollen, müssen wir frühzeitig anfangen, unser gemeinsames Vorgehen zu planen. Volker Geyer ist stellvertretender Bundesvorsitzender und Fachvorstand Tarifpolitik des dbb. Der Autor © Juergen Loesel/dbb AKTUELL 15

EKR BUND UND KOMMUNEN Erste Branchentage Mitreden, mitarbeiten, mitentscheiden Anfang 2023 beginnt die Einkommensrunde für die Beschäftigten von Bund und Kommunen. Die dbb Branchentage, bei denen mögliche Forderungen diskutiert werden, sind gestartet. „Mitreden, mitarbeiten, mitentscheiden – wenn wir die anstehende Einkommensrunde mit Bund und Kommunen erfolgreich gestalten wollen, dann geht das nur gemeinsam. Ob wir dabei erfolgreich sein werden, entscheidet sich bundesweit. Nur wenn wir geschlossen und gut sichtbar auftreten, können wir in schwerer Zeit ein gutes Ergebnis erzielen“, eröffnete dbb Tarifchef Volker Geyer die Branchentage am 6. September 2022 in Dortmund, wo sich Mitglieder der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ) aus dem Hauptzollamt Dortmund getroffen hatten. Von der Einkommensrunde sind die Arbeitnehmenden der Kommunen sowie die Arbeitnehmenden und Beamtinnen und Beamten des Bundes direkt oder indirekt betroffen. Bis zum 11. Oktober 2022, wenn die Bundestarifkommission die Forderung zur Einkommensrunde beschließen wird, finden bundesweit zahlreiche Branchentage statt. Ziel ist es, intern mögliche Forderungen zu diskutieren und ihre Durchsetzbarkeit zu prüfen. „Denn es ist klar: Forderungen ohne Aktionsfähigkeit sind bloß eine Wunschliste“, wies Geyer auf die Bedeutung hin, die die Mitarbeit aller Fachgewerkschaften und aller Mitglieder hat. Die Teilnehmenden diskutierten, welche Probleme ihren Arbeitsalltag bestimmen. Dabei stand der Personalmangel im Vordergrund. Deutlich wurde auch, dass die Ausgangslage für die anstehenden Tarifverhandlungen durch die Coronapandemie, den Krieg in der Ukraine, aber insbesondere durch die starke Inflation sehr schwierig werden. „Die Kolleginnen und Kollegen haben hohe Erwartungen und zeigen sich gleichermaßen aktionsbereit“, fasste Geyer die Diskussion zusammen. Beherrschendes Thema beim digitalen Branchentag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) NRW am 12. September 2022 war die aktuell enorme Belastung der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst. Schon die Auswirkungen der Pandemie haben die Kolleginnen und Kollegen bis aufs Äußerste gefordert. Mit den vielen geflüchteten und traumatisierten Menschen aus der Ukraine, die dringend Hilfe benötigen, kam eine weitere Kraftanstrengung hinzu. Trotzdem engagieren sich die Beschäftigten in der Sozialen Arbeit jeden Tag dafür, dass keiner auf der Strecke bleibt. Die Situation spitzt sich aufgrund des akuten Fachkräftemangels jedoch immer mehr zu. „Wenn wir nicht wollen, dass immer mehr Kolleginnen und Kollegen ihrem sehr anspruchsvollen Job den Rücken kehren, und es gleichzeitig immer schwerer wird, junge Menschen für diese Berufsfelder zu begeistern, dann müssen Bund und Kommunen handeln“, erklärte Volker Geyer. „Hierzu ist neben konkreten Perspektiven auch ein deutliches finanzielles Zeichen erforderlich.“ Die Bundespolizei veranstaltete ihren Branchentag gemeinsam mit dem dbb am 14. September 2022 in digitaler Form. Unter der Leitung von dbb Vize und Fachvorstand Beamtenpolitik, Friedhelm Schäfer, äußerten die Kolleginnen und Kollegen, dass die lineare Entgelterhöhung in dieser Einkommensrunde imMittelpunkt stehen müsse, denn die hohe Inflation mache dbb Tarifchef Volker Geyer eröffnete die Branchentage in Dortmund. Foto: Bernd Thissen Foto: Bernd Thissen 16 AKTUELL dbb magazin | Oktober 2022

den Beschäftigten große Sorgen. Friedhelm Schäfer brachte es auf den Punkt: „Wir brauchen eine hohe, aber vermittelbare Entgeltforderung sowie eine soziale Komponente für die unteren und mittleren Entgeltgruppen.“ Einer Einmalzahlung hingegen stehen die Teilnehmenden kritisch gegenüber. Diese entlaste zwar kurzfristig, entfalte aber keine dauerhafte Wirkung in der Tabelle. „Wir müssen uns bei bundesweiten Aktionen stark aufstellen und uns bei den Arbeitgebenden klar positionieren, um im Frühjahr das bestmögliche Verhandlungsergebnis herauszuholen“, so Schäfer. Zum Branchentag der GeNi – Gewerkschaft für das Gesundheitswesen am 14. September 2022 in Wunstorf bildete neben den enormen Belastungen der Beschäftigten in den Krankenhäusern die schwierige Ausgangslage der anstehenden Einkommensrunde mit Bund und Kommunen den Schwerpunkt der Diskussion. „Auch die hohe Inflation wird ein Thema am Verhandlungstisch in Potsdam sein“, betonte Volker Geyer. „Die Beschäftigten in den Krankenhäusern erwarten Wertschätzung für ihre Arbeit und das muss sich auch finanziell bemerkbar machen.“ Im öffentlichen Dienst nimmt der Tarifvertrag der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Sonderrolle ein. Und genau um diese Sonderrolle ging es beim Branchentag der vbba – Gewerkschaft Arbeit und Soziales am 15. September 2022 in Jena. Dort tauschten sich die Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Arbeit und Soziales engagiert mit Volker Geyer und dem vbba Bundesvorsitzenden Waldemar Dombrowski sowie dem tbb Landesvorsitzenden Frank Schönborn aus. Die Kolleginnen und Kollegen brachten zum Ausdruck, dass die stetig zunehmende Arbeitsbelastung, Sonderaufgaben zur Krisenbewältigung und der Personalmangel den Beschäftigten immer mehr abverlangte. „Die BA ist ein zentraler Pfeiler für den Erfolg unseres Sozialstaats. Das hat sie zuletzt unter erschwerten Coronabedingungen erst wieder bewiesen. Das gilt für die Zentrale in Nürnberg genauso wie für die vielen Filialen im ganzen Land. Und leider müssen unsere Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit oftmals unter erschwerten Bedingungen leisten. Gewalt durch Kunden ist nämlich im Bereich der BA immer wieder eine traurige Tatsache. Insgesamt gilt: Wir brauchen eine angemessene Einkommenserhöhung als Anerkennung für die tolle Arbeit und wir brauchen Einkommensverhältnisse, die helfen, die BA konkurrenzfähig zu halten, wenn es um die Gewinnung des Nachwuchses geht“, erklärte Volker Geyer. „Gerade in Anbetracht der derzeitigen Situation mit täglich ankommenden Flüchtlingen, die finanziell abgesichert und in den Arbeitsmarkt integriert werden müssen, und den immer noch andauernden Folgen der Coronapandemie sowie der hohen Inflation haben die Kolleginnen und Kollegen zu Recht hohe Erwartungen und fordern entsprechende Wertschätzung“, führte Waldemar Dombrowski aus. Beim gemeinsamen dbb Branchentag der Fachgewerkschaften komba, VBOB – Gewerkschaft Bundesbeschäftigte und Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ) am 21. September 2022 sagte dbb Chef Ulrich Silberbach in Bonn: „Wir merken durchaus, dass die Stimmung in der Belegschaft langsam kippt und die Menschen nahe an der Belastungsgrenze sind. Sie sind sauer, erschöpft und können teilweise nicht mehr. Deswegen haben sie auch verdient, dass sie im nächsten Jahr mit einem dicken Plus aus der Einkommensrunde herausgehen. Es ist aber wichtig, nun alle diese Emotionen auf die Straße zu bringen, damit die Arbeitgebenden das auch merken.“ Silberbach machte deutlich, was die anstehende Einkommensrunde besonders macht: „Wir werden ab Januar Tarifverhandlungen in einer Zeit führen, die noch mal schwieriger und komplexer ist als in den zurückliegenden Coronajahren. Aber es ist gut und richtig, dass wir jetzt in tarifautonome Verhandlungen gehen. Allerdings können die Gewerkschaften die Sorgen und Nöte der Beschäftigten nicht im Alleingang abarbeiten. Wir erwarten, dass die Bundesregierung jetzt passgenau erläutert, wie sie die Mitte der Gesellschaft bei der drängenden Strom- und Gaspreisfrage konkret unterstützt. Bund und Kommunen sollten noch vor Beginn der Einkommensrunde beweisen, dass sie gute Arbeitgebende sein wollen und ihre Beschäftigten jetzt nicht im Regen stehen lassen. Nötigenfalls werden wir hier Druck aufbauen.“ ■ Bis zum Forderungsbeschluss seiner Bundestarifkommission am 11. Oktober 2022 in Berlin wird der dbb weitere Branchentage durchführen. Die Verhandlungen starten am 24. Januar 2023. Die zweite Runde findet am 22. und 23. Februar 2023 statt und die Abschlussrunde ist für die Zeit vom 28. bis 30. März 2023 terminiert. Termine In Wunstorf diskutierten unter anderem Beschäftigte aus dem Sozialbereich. dbb Chef Ulrich Silberbach leitete den Branchentag in Bonn. Beschäftigte der Bundesagentur für Arbeit trafen sich in Jena. Fotos: FriedhelmWindmüller (3) AKTUELL 17 dbb magazin | Oktober 2022

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