dbb magazin 10/2022

Studien belegen, dass ein Überschreiten der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit von acht Stunden zu einem überproportionalen Anstieg des Risikos von Arbeitsunfällen führt. Der Koalitionsvertrag sieht gleichzeitig eine verstärkte Flexibilisierung im Arbeitszeitrecht vor. Wie wird sichergestellt, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten dabei gewahrt wird? Für den Acht-Stunden-Tag haben Arbeiter und Gewerkschaften jahrzehntelang gekämpft. Der ist eine große Errungenschaft, an der wir auch grundsätzlich festhalten! Zugleich ändern sich durch neue technische Möglichkeiten und veränderte Berufsbilder die Möglichkeiten, wie Arbeit über den Tag oder die Woche verteilt wird. Es gibt Menschen, die gerne mal früher in den Feierabend gehen und dafür an den anderen Tagen ein bisschen länger arbeiten. Andere brauchen und schätzen feste und planbare Arbeitszeiten. Ziel der Bundesregierung ist es, Flexibilität zu ermöglichen, damit die Arbeit zu den Bedürfnissen der Menschen passt – und nicht umgekehrt. Aus Studien wissen wir, dass nicht nur die Dauer der Arbeit, sondern auch die Flexibilität darüber entscheiden, wie belastend oder beanspruchend Beschäftigte ihre Arbeit finden. Deshalb haben die Koalitionspartner vereinbart, Gewerkschaften und Arbeitgeber dabei zu unterstützen, flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. Dazu soll befristet eine weitere Tariföffnungsklausel ins Arbeitszeitgesetz aufgenommen werden, damit per Tarifvertrag – und nur dann! – von den Regeln zur Tageshöchstarbeitszeit abgewichen werden kann. Wichtig ist mir dabei, dass bei der geplanten Änderung des Arbeitszeitgesetzes das Ziel – nämlich Arbeits- und Gesundheitsschutz – immer im Blick bleibt. Vonseiten der Arbeitgeberverbände wurde jüngst erneut eine längere Lebensarbeitszeit gefordert. Wie stehen Sie dazu? Und wie weit sind die geplante Aktienrente und die Reform der Riester-Rente gediehen, die beide für eine stärkere Kapitaldeckung des in Deutschland überwiegend umlagefinanzierten Alterssicherungssystems sorgen sollen? Durch eine Aufhebung der Hinzuverdienstgrenze wollen wir Arbeit für Rentner attraktiver machen, wenn diese dazu gesundheitlich noch in der Lage sind. Den immer wieder aus dem Hut gezauberten Vorschlag einer „Rente mit 69“ lehne ich dafür vehement ab. Mit der Lebensrealität der meisten Menschen hat das nichts zu tun. Wer am Flughafen Koffer wuchtet, im Krankenhaus Patienten hebt oder andere Arten anstrengender Arbeit hat, kann das einfach nicht so lange leisten. Schon jetzt erreichen viele in ihrem Beruf nicht das Renteneintrittsalter, weil sie einfach nicht mehr können, weil harte Arbeit nun einmal hart in die Knochen geht. Eine noch höhere Regelaltersgrenze bedeutet für viele Menschen schlicht versteckte Rentenkürzungen. Das ist mit mir nicht zu machen. Wichtig ist mir, das Rentenniveau langfristig bei 48 Prozent zu stabilisieren, damit auch im Alter ein ordentlicher Lebensstandard sicher ist. Zugleich muss eine tragfähige Finanzierung auch langfristig gewährleistet sein. Dies wird mit dem geplanten Rentenpaket II umgesetzt. Wir werden unter anderem einen Kapitalstock aufbauen und so die finanzielle Basis der Rentenversicherung verbreitern. Dies wird vom Bundesministerium der Finanzen vorbereitet, ebenso wie die Reform der privaten Altersvorsorge. Das Modell der dualen Ausbildung in Deutschland gilt international gemeinhin als vorbildlich. Der vielfach beklagte Fachkräftemangel trifft aber auch die Berufsschulen im Land, hier droht ein Teufelskreis. Wird es gemeinsame Initiativen von Bund und Ländern geben, um das System „Berufsschule/ Duale Ausbildung“ zu stärken? Wir alle – Eltern, Freunde, Entscheidungsträger – müssen noch lauter als bisher für berufliche Ausbildung werben. Die Bundesregierung tut das Ihre, zum Beispiel mit dem Sommer der Berufsausbildung und dem inzwischen fast schon sprichwörtlichen Hinweis, dass wir nicht nur Master, sondern auch Meister brauchen. Der Bedarf an Fachkräften ist ja beileibe nicht nur in akademischen Berufen augenfällig. Ob in Werkstatt oder Backstube – eine berufliche Ausbildung ist der Start in ein spannendes Berufsleben und eröffnet gute Perspektiven für die Zukunft. Duale Ausbildung braucht aber nicht nur Ausbildungsbetriebe, sondern auch gute Berufsschulen. Dazu gehört eine ordentliche Ausstattung, und der Beruf „Berufsschullehrer“ muss attraktiver werden. Hier sind die Länder in der Pflicht, aber auch in der Allianz für Aus- und Weiterbildung wird das angegangen. Bereits jetzt fördert der Bund die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, um die Lehramtsausbildung für berufliche Schulen zu verbessern und junge Studierende für ein solches Studium zu begeistern. Die Konferenz zur Zukunft Europas hat zuletzt Empfehlungen für mehr europäische Sozialpolitik ausgesprochen. Wie steht die Bundesregierung dazu? Und welche konkreten weiteren Schritte in der europäischen Sozialpolitik erwarten Sie? Für mich ist klar, dass wir auch auf europäischer Ebene handeln müssen. Gerade erst haben wir uns auf eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der EU verständigt. Das ist ein historischer Moment in der EU-Sozialpolitik – und ein wichtiger Schritt, um das Leben von vielen Beschäftigten in Europa zu verbessern. Aktuell verhandeln wir über eine Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei Plattformarbeit. Ich unterstütze sehr, dass wir einen europäischen Weg finden, der Fairness auch in einer digitalen Wirtschaft gewährleistet. In Kürze erwarten wir von der Kommission einen Vorschlag für eine Ratsempfehlung zur Stärkung nationaler Mindestsicherungssysteme. Auch für dieses Thema habe ich mich schon während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 starkgemacht. Denn starke Sozialstaaten werden die Menschen in Europa auch künftig besser durch mögliche Krisen bringen. ■ Eine noch höhere Regelaltersgrenze bedeutet für viele Menschen schlicht versteckte Rentenkürzungen. Das ist mit mir nicht zu machen. FOKUS 21 dbb magazin | Oktober 2022

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