dbb magazin 03/2016 - page 5

Das sind die Erkenntnisse
unserer Arbeitsmarktforscher.
Man sollte diese Zahlen jedoch
nicht missverstehen. Bei ein-
heimischen Langzeitarbeits­
losen geht es auch nicht
schneller.
Wenn es gelingt, insbesondere
die jungen Menschen, die zu
uns kommen, in das deutsche
Regelschulsystem und in Aus-
bildung zu bringen, dann wer-
den sie später einen Beitrag
zur Deckung der Nachfrage
am Arbeitsmarkt leisten
können.
<<
dbb magazin
Einer Studie des BA-eigenen
Instituts für Arbeitsmarkt-
und Berufsforschung zufolge
liegt das Lohnniveau von Mig-
ranten unter 30 Jahren an-
fangs bei nur 60 Prozent des
durchschnittlichen Lohnni-
veaus. Auch nach zehn Jahren
Berufstätigkeit erreichen sie
erst 86 Prozent des allgemei-
nen Durchschnittslohns. Wie
ist Ihre Einschätzung, Herr
Scheele?
<<
Detlef Scheele
Sowohl bei der Kompetenzer-
hebung als auch bei vergleich-
baren Daten für Asylbewerber
und Flüchtlinge stehen wir
noch ganz am Anfang.
Die Forschungsergebnisse des
IAB zeigen auf, dass die Lohn-
entwicklung von Migranten
wesentlich davon abhängt, in
welchen ethnischen Netzwer-
ken sie sich bewegen. Ein eth-
nisches Netzwerk mit niedri-
gem Bildungsniveau fördert
tendenziell auch negative Ef-
fekte. Dort sinken die Bildungs-
und Beschäftigungschancen
für Migranten, und der Lohn-
abstand gegenüber Deutschen
kann sich erhöhen. Positive
Effekte entstehen dagegen,
wenn ethnische Netzwerke
mit hohem Bildungsniveau
Anreize für Aus- und Weiterbil-
dung stimulieren, den Zugang
zu besseren Arbeitsplätzen
erleichtern und damit den
Lohnanpassungsprozess
beschleunigen.
Daraus ergibt sich für mich die
Schlussfolgerung: Die Gesell-
schaft muss Anreize für eine
Aus- beziehungsweise Weiter-
bildung schaffen, damit der Zu-
gang zu qualifizierten Arbeits-
plätzen erleichtert wird.
<<
dbb magazin
Vor einem Jahr wurde der flä-
chendeckende Mindestlohn
von 8,50 Euro eingeführt.
Nicht zuletzt aufgrund der
in den Arbeitsmarkt strömen-
den (ungelernten) Migranten
werden Flexibilisierungen
und Sonderlösungen ins Ge-
spräch gebracht, um auch
weniger qualifizierten Men-
schen Jobchancen zu eröff-
nen: Wäre eine solche Option
hilfreich?
<<
Detlef Scheele
Das ist eine politische Entschei-
dung. Als Arbeitsmarktexperte
wäre es für mich das falsche
Signal, weil es die Konkurrenz
zwischen Einheimischen und
Flüchtlingen befördert. Ande-
rerseits ist die Zahlung des
Mindestlohnes ein Ansporn
für alle, Flüchtlinge so zu quali-
fizieren, dass der Mindestlohn
durch ihre Produktivität auch
erwirtschaftet wird.
Zudem gibt es ja auch andere
Möglichkeiten, die Einstellung
von Migranten zu fördern. Ar-
beitsagenturen und Job-Center
können für einen begrenzten
Zeitraum Eingliederungszu-
schüsse als Ausgleich für eine
Minderleistung in einer Einar-
beitungszeit gewähren.
<<
dbb magazin
Auf der dbb Jahrestagung in
Köln haben Sie im Rahmen ei-
ner Podiumsdiskussion über
die konkreten Herausforderun-
gen für die öffentliche Verwal-
tung beim Umgang mit der
Flüchtlingssituation die Integ-
ration von 350 000 Flüchtlin-
gen in den Arbeitsmarkt als re-
alistisch bezeichnet. Wie sehen
Sie die Integrationschancen
auf dem Arbeitsmarkt?
<<
Detlef Scheele
Wenn man eine Million Flücht-
linge nach Bleibewahrschein-
lichkeit und Alter differenziert,
werden bei einer Schutzquote
von 50 Prozent – die sicher
steigt – 350 000 Menschen
im erwerbsfähigen Alter pro
Jahr in unseren Arbeitsmarkt
kommen. Bei 31,4 Millionen
sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigten ist das eine Grö-
ßenordnung, die quantitativ
gut am Arbeitsmarkt zu be­
wältigen ist.
Hinzu kommt, dass wir weiter
einen außerordentlichen Zu-
wachs an Beschäftigung ver-
zeichnen – alleine im vergan-
genen Jahr über 700 000 neue
Arbeitsplätze – und der Ar-
beitsmarkt mit Blick auf die
längere Erwerbstätigkeit Älte-
rer und die steigende Erwerbs-
beteiligung von Frauen sehr
aufnahmefähig ist.
<<
dbb magazin
Die BA und alle ihre Beschäf-
tigten „vor Ort“ stehen auf-
grund der zu vermittelnden
Migranten vor großen zusätzli-
chen Belastungen, die mit dem
vorhandenen Personal nicht zu
bewältigen sind: Welche per-
sonalpolitischen Konsequen-
zen werden Sie ziehen?
<<
Detlef Scheele
Wir rechnen damit, dass die
zusätzlichen Belastungen
durch Asylbewerber ab Mitte
des zweiten Quartals beson-
ders in den Job-Centern spür-
bar werden. Zum Ende des ers-
ten Quartals haben wir 2800
neue Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter an Bord, 800 be-
fristet und 2000 festange-
stellt. Natürlich versuchen wir,
die erfahrenen, ehemals be­
fristeten Kräfte zu gewinnen,
weil bei Ihnen das Know-how
vorhanden ist.
Wir werden auch bis Mitte des
zweiten Quartals mit der Fort-
bildung der Neuen fertig und
sind dann für die anstehenden
Aufgaben gut aufgestellt.
<<
Detlef Scheele
Jahrgang 1956, studierte von
1979 bis 1984 Politik-, Sport- und
Erziehungswissenschaften mit
den Schwerpunkten Regierungs-
lehre und Sportgeschichte an der
Universität Hamburg. Im An-
schluss war er von 1985 bis 1987
Persönlicher Referent des Ham-
burger SPD-Landesvorsitzenden.
Von 1987 bis 1995 war er im Zent-
rum zur beruflichen Qualifizie-
rung, zebra e.V., beschäftigt, ab
1991 als Geschäftsführer. In den Jahren 1995 bis 2008 arbeitete
Scheele, wiederum als Geschäftsführer, bei der Hamburger Arbeit
– Beschäftigungsgesellschaft mbH (HAB) und ab 1997 auch als Ge-
schäftsführer der Arbeitsstiftung Hamburg – Gesellschaft für Mobi-
lität im Arbeitsmarkt mbH. 2008 war er als beamteter Staatssekre-
tär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales aktiv, dort war er
bis 2009 tätig. Daraufhin war er von 2010 bis 2011 Sprecher der Ge-
schäftsführung, ELBE-Werkstätten GmbH. Von 2011 bis 2015 war
Scheele Senator für Arbeit, Soziales, Familie und Integration der
Freien und Hansestadt Hamburg. Seit 2015 ist er Mitglied des
Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit und zuständig für den
Arbeitsmarkt. Detlef Scheele ist verheiratet und hat drei Kinder.
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