dbb magazin 5/2019 - page 20

„Gut, probieren wir es aus: ich
frage Sie“, sagt Karoline Herr­
mann mit einladender Geste.
Horst Günther Klitzing über­
legt kurz und beginnt dann zu
erzählen. „Wenn ich darüber
nachdenke, haben sich die
Sympathie für Europa und das
Bekenntnis zum europäischen
Gedanken bei mir mit zuneh­
mender Lebenserfahrung ent­
wickelt. Während meiner Kind­
heit – ich bin Jahrgang 1948
– flammte bei jedem unvorher­
sehbaren politischen Ereignis
die Angst vor dem Ausbruch
eines weiteren Krieges auf.
Die europäische Einigung
spielte im Alltag keine große
Rolle. Das änderte sich, als
der französische Staatspräsi­
dent Charles de Gaulle 1962
Deutschland besuchte. Ich war
14 Jahre alt und verfolgte die
Annäherung der beiden gro­
ßen alten Staatsmänner Ade­
nauer und de Gaulle mit wach­
sendem Interesse. Dann kam
die Sensation: de Gaulle hielt
seine Rede in Bonn in deut­
scher Sprache! Und auf einmal
breitete sich Hoffnung aus,
dass Franzosen und Deutsche,
ehemals erbitterte Erzfeinde,
zu einer Aussöhnung finden
könnten. Aus diesem Geiste
entwickelte sich das Deutsch-
Französische Jugendwerk, das
die ersten Schüleraustausch­
aktionen organisierte. 1966
zog ich dann aus Nordrhein-
Westfalen ins Saarland – und
bekam Europa pur. Aufgrund
dieser persönlichen Erfahrun­
gen bleibt die deutsch-franzö­
sische Kooperation für mich
der Motor der europäischen
Integration. Was de Gaulle
und Adenauer in den 1960ern
begonnen haben, muss von
Bundeskanzlerin Merkel und
Staatspräsident Macron unbe­
dingt weiterentwickelt werden.“
„Ich denke, auch die Europäi­
sche Union selbst könnte gute
Argumente für ihre Existenz
liefern“, greift Karoline Herr­
mann die Idee von der Weiter­
entwicklung auf. „Sie könnte
Aufklärung über ihre Geschich­
te und ihre Funktionsweise
leisten und ihren Mehrwert
an Schulen. Und sie könnte
mehr zivilgesellschaftliches En­
gagement – etwa organisierte
Exkursionen nach Brüssel für
Jugendverbände und -organi­
sationen – fördern. Im wirkli­
chen Leben ist Europa oft zu
kompliziert. Und abschreckend
bürokratisch. In meiner Arbeit
beim Landkreis Nordwest­
mecklenburg habe ich zum Bei­
spiel mit dem Förderprogramm
,Jugend stärken im Quartier‘ zu
tun, für das es auch Projekt­
mittel aus dem Europäischen
Sozialfonds gibt. Zum einen
sind die Fördermöglichkeiten,
die die EU bietet, hoffnungslos
unübersichtlich und in den
einzelnen Mitgliedstaaten
streckenweise vollkommen
unbekannt. Zum anderen sind
die Förderrichtlinien so kom­
plex, dass sich da viele gar
nicht herantrauen. Ich erinnere
mich gut an ein Seminar, dass
die CESI Youth im Rahmen von
Erasmus+ beantragt und aus­
gerichtet hatte. Da waren wir
von der dbb jugend natürlich
beteiligt. Die Beantragung des
Seminars war so kompliziert
und an so viele Voraussetzun­
gen geknüpft, dass die CESI
Youth es kein weiteres Mal be­
antragt hat. Wir haben darauf
entschieden, es gar nicht erst
zu versuchen.“
„Oh ja, das kenne ich aus der
Zeit, als ich mich für meine Ge­
werkschaft, den Deutschen
Philologenverband, noch bei
der CESI engagiert habe“, sagt
Horst Günther Klitzing und
lacht. „Ich möchte es vorsichtig
formulieren: Die Europaver­
waltung kammir stets ein we­
nig zu bombastisch vor. Das
hat mich immer abgestoßen.“
Karoline Herrmann: „Das kann
ich aus eigener Erfahrung
nachvollziehen. Europa muss in
bürokratischer Hinsicht unbe­
dingt transparenter und barrie­
refreier werden, sonst sinkt die
Akzeptanz zwangsläufig.“
cri/iba
generationengespräch
<<
Senioren und Jugend einig
Europas Mehrwert erfahrbar machen
dbb jugend und dbb bundesseniorenvertretung wollen Europa und
Europaarbeit besser erfahrbar machen. Aus ihrer Sicht sind beide
Bestandteile der öffentlichen Daseinsvorsorge. Immerhin wird ein
immer größer werdender Teil unseres Lebens in Brüssel gestaltet.
Ein diverser öffentlicher Dienst, wie man ihn sich für die Zukunft
wünscht, muss deswegen Europa immer mitdenken und mit an­
bieten: Der Staat und seine Behörden und Verwaltungen könnten
sich durchaus intensiver in der Europaarbeit engagieren – warum
keine Arbeitsvermittlung, die bei Interesse der Arbeitsuchenden
auch EU-weit schaut? Warum nicht Bürgerbeauftragte, in deren
Zuständigkeitsbereich Know-how in Sachen EU-Förderprogramme
und -mittel abrufbar ist? Warum nicht mehr öffentlicher und koor­
dinierter Einsatz bei der Gründung von Städte-, Schul- und Ausbil­
dungspartnerschaften? Hier könnte noch so viel getan werden,
was zu einer höheren länderübergreifenden Akzeptanz der EU
führt, weil es den Mehrwert der Union konkret erfahrbar macht.
„Wir sollten besser
kommunizieren,
was Europa für jede
Einzelne und jeden
Einzelnen bedeutet.“
„Ich brauche meine
Generation nicht zu
belehren, wie wichtig
es ist, gerade jetzt
europäisch-demokra-
tisch zu wählen.“
20
dbb
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